Aussage weckt Zweifel an Anklage
Im Prozess um Paketbomben wird die Körpergröße des Ulmer Angeklagten wichtig. Ist er 20 Zentimeter zu klein?
Heidelberg. Mehr watschelnd als laufend kommt der Mann am Tresen einer Ulmer Postagentur an. Aus zwei Jutetaschen zieht er drei Päckchen. Mit der linken Hand unterschreibt der Kunde, seltsam ungelenk, jeweils ein Absendeformular, das ihm der Angestellte reicht. Und noch etwas ist komisch: Immer wieder schiebt er einen Zehn-euro-schein zu dem Mitarbeiter – dabei sind die Päckchen ausreichend frankiert. Schließlich kauft der vermummte Mann mit der Schiebermütze, Brille, Corona-schutzmaske und dem dicken weißen Schal um den Hals einen Nougat-riegel. Und verabschiedet sich.
An den beiden Folgetagen, am 16. und 17. Februar, explodieren in den Poststellen der Eppelheimer Wild-werke und der Neckarsulmer Lidl-zentrale zwei der Pakete mit selbstgebastelten Sprengsätzen, vier Menschen verletzen sich. Ein drittes, an den Lebensmittelkonzern Hipp gerichtetes Päckchen, kann noch rechtzeitig abgefangen und entschärft werden. Vor dem Heidelberger Landgericht angeklagt ist der 66-jährige Klaus S. aus Ulm.
Doch die Indizienkette ist dünn – und der am Mittwoch als Zeuge geladene Angestellte der Postfiliale nährt eher Zweifel an der Schuld des Rentners. Er hat die Größe des Kunden bei der polizeilichen
Ein Experte für Anthropologie soll aussagen.
Vernehmung damals mit „circa 1,80 Meter“angegeben, wie ihm der Vorsitzende Richter Markus Krumme vorhält. Die beiden müssen sich also auf Augenhöhe begegnet sein.
Stimmen die Angaben, kann Klaus S. nicht die Person auf dem Video der Überwachungskamera und den Fahndungsfotos sein. Der Angeklagte ist auffällig klein, misst maximal 1,60 Meter. Und er ist Rechtshänder – wobei die krakeligen, völlig unleserlichen und nicht verwertbaren „Unterschriften“mit der linken Hand auch eine Finte gewesen sein könnten. Als Absender waren drei erfundene Frauen mit Adressen in Studentenwohnheimen notiert.
Die Verteidiger Steffen Lindberg und Jörg Becker beantragen, einen Professor für Anthropologie an der Universität Ulm als Gutachter zu laden. Der Experte könne dank seiner technischen Hilfsmittel beweisen, dass der Kopfumfang und die hängende Schulter von Klaus S. nicht zu dem Mann auf dem Video der Überwachungskamera passe. Er sei zudem in der Lage, verzerrende Faktoren in den Aufnahmen zu berücksichtigen. So seien die Bilder seitlich „gestaucht“. Der Indizienprozess dürfte spannend bleiben.