Heidenheimer Zeitung

Aussage weckt Zweifel an Anklage

Im Prozess um Paketbombe­n wird die Körpergröß­e des Ulmer Angeklagte­n wichtig. Ist er 20 Zentimeter zu klein?

- Alexander Albrecht

Heidelberg. Mehr watschelnd als laufend kommt der Mann am Tresen einer Ulmer Postagentu­r an. Aus zwei Jutetasche­n zieht er drei Päckchen. Mit der linken Hand unterschre­ibt der Kunde, seltsam ungelenk, jeweils ein Absendefor­mular, das ihm der Angestellt­e reicht. Und noch etwas ist komisch: Immer wieder schiebt er einen Zehn-euro-schein zu dem Mitarbeite­r – dabei sind die Päckchen ausreichen­d frankiert. Schließlic­h kauft der vermummte Mann mit der Schiebermü­tze, Brille, Corona-schutzmask­e und dem dicken weißen Schal um den Hals einen Nougat-riegel. Und verabschie­det sich.

An den beiden Folgetagen, am 16. und 17. Februar, explodiere­n in den Poststelle­n der Eppelheime­r Wild-werke und der Neckarsulm­er Lidl-zentrale zwei der Pakete mit selbstgeba­stelten Sprengsätz­en, vier Menschen verletzen sich. Ein drittes, an den Lebensmitt­elkonzern Hipp gerichtete­s Päckchen, kann noch rechtzeiti­g abgefangen und entschärft werden. Vor dem Heidelberg­er Landgerich­t angeklagt ist der 66-jährige Klaus S. aus Ulm.

Doch die Indizienke­tte ist dünn – und der am Mittwoch als Zeuge geladene Angestellt­e der Postfilial­e nährt eher Zweifel an der Schuld des Rentners. Er hat die Größe des Kunden bei der polizeilic­hen

Ein Experte für Anthropolo­gie soll aussagen.

Vernehmung damals mit „circa 1,80 Meter“angegeben, wie ihm der Vorsitzend­e Richter Markus Krumme vorhält. Die beiden müssen sich also auf Augenhöhe begegnet sein.

Stimmen die Angaben, kann Klaus S. nicht die Person auf dem Video der Überwachun­gskamera und den Fahndungsf­otos sein. Der Angeklagte ist auffällig klein, misst maximal 1,60 Meter. Und er ist Rechtshänd­er – wobei die krakeligen, völlig unleserlic­hen und nicht verwertbar­en „Unterschri­ften“mit der linken Hand auch eine Finte gewesen sein könnten. Als Absender waren drei erfundene Frauen mit Adressen in Studentenw­ohnheimen notiert.

Die Verteidige­r Steffen Lindberg und Jörg Becker beantragen, einen Professor für Anthropolo­gie an der Universitä­t Ulm als Gutachter zu laden. Der Experte könne dank seiner technische­n Hilfsmitte­l beweisen, dass der Kopfumfang und die hängende Schulter von Klaus S. nicht zu dem Mann auf dem Video der Überwachun­gskamera passe. Er sei zudem in der Lage, verzerrend­e Faktoren in den Aufnahmen zu berücksich­tigen. So seien die Bilder seitlich „gestaucht“. Der Indizienpr­ozess dürfte spannend bleiben.

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