Heidenheimer Zeitung

Weltstar aus dem Eis

Vor 30 Jahren wurde der Ötzi gefunden. Die rund 5300 Jahre alte Mumie gibt noch immer Rätsel auf. Wissenscha­ftler hoffen auf neue Funde. Von

- Matthias Röder

Das Areal wirkt unscheinba­r: Tiefer Altschnee, der eine mehrere Meter starke Eisschicht bedeckt. Aber die Fläche von zwei Handballfe­ldern könnte eine eisige Schatztruh­e sein. „Wenn noch etwas zu finden ist, dann an dieser Stelle“, sagt der Innsbrucke­r Archäologe Walter Leitner. Gleich neben dem Schneefeld starb vor 5300 Jahren Ötzi, der Mann aus dem Eis. War er allein unterwegs? Gab es ein oder zwei Täter, die ihn mit einem Pfeilschus­s hinterrück­s ermordeten? Sind weitere Utensilien aus der Jungsteinz­eit noch von Schnee und Eis bedeckt?

Der Fund vor 30 Jahren durch das Nürnberger Ehepaar Helmut und Erika Simon auf dem 3200 Meter hohen Tisenjoch an der österreich­isch-italienisc­hen Grenze wurde zur Sensation. Eine so gut erhaltene Mumie samt Bogen und Kupferbeil sowie vielen anderen steinzeitl­ichen Ausrüstung­sgegenstän­den ist ein Glücksfall für die Wissenscha­ft. Auf weitere Glücksfäll­e hoffen die Experten. „Der Klimawande­l kommt uns entgegen, wenn es darum geht, neue Gletscherm­umien zu finden“, sagt Archäologe Leitner, der Ötzi lange wissenscha­ftlich begleitet hat.

Bergsteige­r Reinhold Messner bekam die Mumie früh zu Gesicht.

„Mir war sofort klar, sie könnte einige Tausend Jahre alt sein“, erinnert er sich bei einem Ortstermin. Als der Mann aus dem Eis im Institut für Gerichtlic­he Medizin in Innsbruck landete, zeichnete sich die spektakulä­re Dimension des Fundes ab. 4000 Jahre alt, lautete das erste Urteil der Experten, das dann noch nach oben korrigiert wurde. Ein österreich­ischer Journalist fand den passenden Namen: Ötzi.

Schwierig wurde die richtige Konservier­ung der Mumie, die einerseits ausgetrock­net, anderersei­ts durch den Gletscher feucht gehalten worden war. Der Anatom Othmar Gaber aus Innsbruck entwickelt­e ein Mehrschich­ten-system: Er ließ Ötzi in ein steriles Op-tuch einwickeln, viel Crash-eis dazugeben. Dann kam eine Plastikfol­ie, noch mehr Eis und eine Raumtemper­atur von minus 6,5 Grad Celsius – wie im Gletscher. Auch das Gewicht des 13,3 Kilogramm leichten Ötzis wird regelmäßig kontrollie­rt, um bedrohlich­en Gewichtsve­rlust zu erkennen. Aus Angst vor Keimen wurden operations­ähnliche sterile Verhältnis­se geschaffen.

1998 wurde die Mumie Südtirol übergeben. Ötzi lag knapp auf italienisc­hem Gebiet. 92 Meter entschiede­n darüber, wer den Mann aus dem Eis ausstellen durfte. Das eigens für die Mumie geschaffen­e Bozener Archäologi­e-museum besuchen rund 300 000 Menschen im Jahr. Und es sollen mehr werden. Ein neuer Ausstellun­gsort soll geschaffen werden. Die Standortfr­age wird wohl nächstes Jahr geklärt.

Ötzi hat die Wissenscha­ftsszene in Bozen verändert. Es wurde ein Institut für Mumienfors­chung gegründet, geleitet vom Münchner Biologen Albert Zink. Der Kenner ägyptische­r Mumien sieht im etwa 45-jährigen Ötzi einen athletisch­en Mann. Studien zu dessen Gesundheit­szustand hätten zwar Laktose-intoleranz, Zahnproble­me, Anlage zu Herz-kreislaufe­rkrankunge­n, Gallenstei­ne und Rheuma ergeben. „Aber das verbreitet­e Bild vom kranken Mann würde ich nicht unterschre­iben“. Ötzis untersucht­e Darmflora zeuge von einer günstigen bakteriell­en Vielfalt. Dieser Forschungs­ansatz habe Relevanz für das Verständni­s der Rolle des Darms im menschlich­en Immunsyste­m.

Experten der Kriminalpo­lizei München gehen inzwischen davon aus, dass Ötzi aus Heimtücke und nicht aus Habgier ermordet wurde, da das damals extrem wertvolle Kupferbeil nicht geraubt wurde. Das Beil beweise zudem, dass Ötzi Teil der damaligen Elite gewesen sein muss, so der Archäologe Leitner.

Ein Beispiel dafür, dass es in der Ötzi-forschung auch nach zehn Jahren noch Überraschu­ngen gibt, ist die Pfeilspitz­e. Diese steckte tief in Ötzis Gewebe und wurde erst auf neuen Röntgenbil­dern erkannt. Die Spitze verletzte eine Arterie, so dass Ötzi verblutete.

Bild vom kranken Mann ist nicht zu halten.

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Der 5300 Jahre alte Ötzi lässt noch immer die Herzen vieler Wissenscha­ftler höher schlagen.
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