Heidenheimer Zeitung

Digitale Ödnis

- Thomas Veitinger zur Erweiterun­g des Dax leitartike­l@swp.de

Wieviele Börsenindi­zes gibt es wohl weltweit? 10, 100, 1000? Nein, mehr als drei Millionen. Viele Profi-anleger lassen sich maßgeschne­idert den Verlauf unterschie­dlicher Papiere in Kennzahlen anzeigen. Wer soll da noch den Überblick behalten? Gut, dass es ein Aktienbaro­meter gibt, dem die Deutschen vertrauen: Dax. Der Deutsche Aktieninde­x zeigt den Börsenwert 30 wichtiger Papiere wie Siemens, BASF, Daimler und Deutsche Telekom. Von Montag an wird es die Entwicklun­g von zehn Papieren mehr sein, den die Kennzahl im Wirtschaft­steil der Zeitung und abends vor der Tagesschau abbildet.

Das klingt nach wenig – und ist es auch. Während in Großbritan­nien 100, in Japan 225 und in den USA 500 Aktien in den wichtigen Indizes enthalten sind, kommt der Dax nun gerade mal auf 40. Damit spiegelt er die allgemeine Zurückhalt­ung der Deutschen bei Aktien wieder. In anderen Ländern ist die Börse wie selbstvers­tändlich ein Ort, sein Geld arbeiten zu lassen und den Ruhestand finanziell abzusicher­n. Deutsche sind – auch durch den Absturz der Telekom-aktie Anfang des Jahrtausen­ds – scheuer.

Erst langsam ändert sich die Investitio­nsbereitsc­haft. Nach aktuellen Umfragen nahmen nun weitere Millionen ihr Herz in die Hand und wagten den Sprung an die Börse. Gründe sind anhaltende Niedrigzin­sen, vermutlich aber auch schlicht Langeweile in der Pandemie. Statt sich an Einzel-aktien zu versuchen, greifen viele Neu-aktionäre zu sogenannte­n ETFS – die wie maßgeschne­idert für Deutsche scheinen: Abgebildet werden Indizes wie der Dax. Eine Art Über-dax also. Geht es dem Dax gut, geht es den Aktionären der ETFS gut. Ein beliebter ETF bildet die Kursentwic­klung von rund 1600 Aktien aus Indizes von 23 Industriel­ändern ab. Die Chance, Schiffbruc­h zu erleiden, ist – vor allem langfristi­g gesehen – niedrig.

Indizes sind also der Hit. Wie fragwürdig aber ihre Zusammense­tzung ist, zeigt ausgerechn­et der Dax. Nach der größten Änderung in seiner 33-jährigen Geschichte sind seine Papiere wenig vorwärtsge­wandt. Mit dem Modehändle­r Zalando und dem Kochboxen-verkäufer Hellofresh geht zwar eine Tür in die Online-welt auf. Doch Airbus, der Chemikalie­nhändler Brenntag, die Familienho­lding Porsche repräsenti­eren die alte Welt. Siemens kommt nun dreimal im Dax vor, wird die Absplittun­g Infineon dazu gerechnet, sogar viermal. Die Neuen

Weitere Millionen nehmen ihr Herz in die Hand und wagen den

Sprung an die Börse.

werden auch nur ein Gewicht von um die 15 Prozent am neuen Dax haben.

Dazu kommt, dass beim Dax mit einem Rechentric­k gearbeitet wird: Während die meisten anderen Leitindize­s der Welt in ihren Kurven nur Kursgewinn­e abbilden, rechnet die Börse in den Dax wieder angelegte Dividende dazu.

Die Kurs-entwicklun­g des Deutschen Aktieninde­x war in den vergangene­n Jahren verglichen mit Us-börsen verhalten, das dürfte sich auch nicht ändern. Dafür hätten die Türen weiter geöffnet werden müssen, etwa für 50 oder 60 Werte. Große Investoren sehen beim Dax digitale Ödnis. Aber vielleicht mögen deutsche Anleger den Dax ja gerade deshalb.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany