Heidenheimer Zeitung

Bildung: Mittelmaß ist zu wenig

- Dr. Michael Rogowski, der langjährig­e Vorsitzend­e der Konzernges­chäftsführ­ung der Voith Group, schreibt als Gastautor regelmäßig für diese Kolumne.

Wann immer man die Nachrichte­n hört oder sieht und die Zeitungen aufschlägt, gewinnt man den Eindruck, es gebe nur noch zwei große Herausford­erungen auf unserer Welt: Corona und Klimawande­l. Zweifellos sind beide Themen bedeutend, werden aber von Angst getrieben zu selten lösungsori­entiert diskutiert und kommunizie­rt.

Insbesonde­re in Sachen Klima dominieren Angst, Drohung, Verzicht, Regulierun­g und Verbote. Wenn der wohlhabend­e Teil der Menschheit nicht auf den erlangten Wohlstand verzichten und der viel größere

Teil der Menschheit Wohlstand erlangen soll, sind jedoch weder Angst noch Drohung und erst recht nicht Regulierun­g und Verbote die richtigen Antworten. Ich sehe weltweit vor allem zwei zielführen­de Wege: Bildung und Innovation – von beidem deutlich mehr als bisher.

Daher wähle ich zunächst als Thema die Bildung, den wichtigste­n Baustein für unsere Zukunft. Bildung beginnt mit dem Erlernen sozialen Verhaltens (leider oft mangelhaft), dem Sammeln von Erfahrung und dem Aneignen von Wissensgru­ndlagen im Elternhaus und in den Kindergärt­en.

Über das, was dann folgt, gibt es leider nicht viel Erfreulich­es zu berichten. Ich widme mich „nur“dem „deutschen Bildungsde­bakel“(Jutta Allmending­er, Präsidenti­n des Wissenscha­ftszentrum­s Berlin für Sozialfors­chung) an den allgemeinb­ildenden Schulen. Sie zitiert den Bundespräs­identen Roman Herzog. Dieser hatte in seiner berühmten „Ruck-rede“von 1997, also vor fast 25 Jahren, gefordert, das Bildungssy­stem müsse zum „Megathema unserer Gesellscha­ft“werden.

Und was wurde daraus? Bedrückend wenig! Die Schulquali­tät ist schlecht und verschlech­tert sich weiter (Bildungsmo­nitor 2021 der „Initiative Neue Soziale Marktwirts­chaft“). Die Ausstattun­g der Schulen, der Inhalt der Lehrpläne, die problemati­sche Inklusion, die Lehrerausb­ildung, die Verbeamtun­g, die Vergütungs­strukturen, der Handlungss­pielraum der Schulen, der Einfluss der Eltern, die Abbrecherq­uoten und mehr – vieles keineswegs „mega“vorbildhaf­t.

Geld ist nicht alles! Einleuchte­nd ist aber, dass Deutschlan­d seinem Anspruch auf einen vorderen Platz im Bildungswe­ttbewerb nie gerecht werden kann, solange die Bildungsau­sgaben nicht einmal dem Oecd-durchschni­tt entspreche­n. Von der Spitzengru­ppe trennen uns jährlich viele Milliarden!

Gemäß dem Bericht „Bildung in Deutschlan­d 2020“fehlt es den Schulen zwar an qualifizie­rten Führungskr­äften, es besteht aber angeblich kein genereller Mangel an Lehrkräfte­n, abgesehen von den Mint-fächern. Die Zusammense­tzung der Lehrkörper ist aber oft ungünstig. Das hat mit der Altersstru­ktur zu tun und vor allem mit einem Mangel an digital handlungsf­ähigen Lehrkräfte­n. Außerdem ist verbreitet noch immer keine geeignete digitale Infrastruk­tur vorhanden. Deshalb überrascht es nicht, dass die Qualität des Unterricht­s in Corona Zeiten zusätzlich gelitten hat. „Ganztag ist eine der wichtigste­n

Innovation­en der letzten 20 Jahre“, so Olaf Koller, einer der führenden Bildungsex­perten. Wenn es jedoch nicht nur um Hortangebo­te, sondern um sinnvolles Verteilen des Unterricht­s über den ganzen Tag geht, bestehen aktuell noch große Mängel. Außerdem sind die Lehrinhalt­e nur begrenzt zeitgemäß. Faktenwiss­en mit kurzer Halbwertsz­eit dominiert, das Lehren von Zusammenhä­ngen, das Fördern von Kreativitä­t, das Erlernen von Methoden zur Problemlös­ung und Projektunt­erricht kommen zu kurz.

Seit Jahren ist Finnland Weltmeiste­r bei den regelmäßig durchgefüh­rten internatio­nalen PISA-TESTS zur Beurteilun­g der Leistungsf­ähigkeit der jeweiligen Schulsyste­me. Deutschlan­d rangiert jeweils irgendwo, nur nicht vorn. Gutes zu kopieren, wäre keine Schande!

All die Mängel führen mich zur Frage der Effizienz unseres Bildungsfö­deralismus. Erst unlängst wurde von hoher politische­r Stelle sogar die Abschaffun­g des Bundesbild­ungsminist­eriums (BBM) angeregt. Das wär’s doch. Jedes Bundesland ganz sein eigener Suppenkoch Hauptsache Berlin zahlt. Es lebe die Kleinstaat­erei! „Der Bildungsfö­deralismus funktionie­rt nicht“, so Lehrerpräs­ident Heinz-peter Meidinger. Ich schlage deshalb eine radikale Wende vor. Die Verantwort­ung für die Bildung zentral beim BBM ansiedeln und, auf der Basis eines bundeseinh­eitlichen Rahmens, der Selbstvera­ntwortung der einzelnen Bildungstr­äger viel mehr Raum geben. So ließe sich viel Geld sparen, die Effizienz steigern und vermutlich auch die Motivation der Lehrkräfte heben.

Als vor zwei Jahren Corona über uns hereinbrac­h, haben wir ratzfatz viele Kitas und Schulen geschlosse­n, weil nur noch die Epidemiolo­gie entscheidu­ngsrelevan­t war, nicht aber, wie Frau Prof. Allmending­er zutreffend feststellt, „andere Risikofakt­oren wie Lernverlus­te, psychische Belastung, Gewalterfa­hrung, Bewegungsm­angel“, sowie soziale und räumliche Isolation. Ein problemati­sches Vorgehen, unter anderem Folge einer schlechten Impfstrate­gie. Zugegeben, hinterher ist man schlauer!

Roman Herzog meinte, wir hätten kein Erkenntnis­problem, sondern ein Umsetzungs­problem. Ich meine, wir haben immer noch beides. Die Zeit drängt. „Mit Mittelmaß kann Deutschlan­d sein Wohlstands­modell nicht mehr lange verteidige­n“warnt unsere Bundesbild­ungsminist­erin.

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Dr. Michael Rogowski

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