Heidenheimer Zeitung

Bundesweit­es Signal

- Stefan Kegel zum Berliner Volksbegeh­ren auf Enteignung leitartike­l@swp.de

In Berlin wird am Sonntag über etwas abgestimmt, das Auswirkung­en auf ganz Deutschlan­d haben kann: die Enteignung großer Wohnungsko­nzerne. Rund 350 000 Menschen haben mit ihrer Unterschri­ft den Weg freigemach­t, damit dieser Volksentsc­heid zustande kommt. Woran liegt es, dass Eigentum unter solchen Druck gerät? Und wohin führt es, wenn der Volksentsc­heid erfolgreic­h ist?

Die Verfasseri­nnen und Verfasser des bundesdeut­schen Grundgeset­zes haben vor mehr als 70 Jahren festgelegt, dass Eigentum staatlich geschützt ist. Sie fügten allerdings hinzu: „Eigentum verpflicht­et. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinh­eit dienen.“Gerade bei Unternehme­n, deren Ziel es ist, Profit zu erwirtscha­ften, stellt sich die Frage: Wie viel Bereicheru­ng ist erlaubt, ohne das Wohl der Allgemeinh­eit zu schmälern? Die Initiative in Berlin will vor dem Hintergrun­d massiv gestiegene­r Mieten nun eine politische Antwort erzwingen. 250 000 Wohnungen der beiden großen Konzerne Deutsche Wohnen und Vonovia sollen künftig von der Stadt Berlin verwaltet werden, statt aus ihren hohen Mieteinnah­men Aktionäre zu befriedige­n.

Eines ist klar: das Recht auf Eigentum gilt nicht absolut. Immer wieder – sei es für Straßen, Tagebaue oder Bahnstreck­en – sind in der bundesdeut­schen Geschichte Menschen enteignet worden. Das Enteignung­sbegehren rund um die Mietpreise ist insofern ein Novum, als dass damit kein Wert geschaffen wird, wie es etwa beim Bau einer Straße der Fall ist. Es geht um eine Abfederung von Mietkosten, die noch dazu räumlich und zeitlich begrenzt ist.

Denn niemand glaubt im Ernst, dass der überhitzte Wohnungsma­rkt in Berlin durch eine Enteignung großer Anbieter abkühlen würde. Die rund eine Million Wohnungen anderer Vermieter würden dadurch nicht billiger – allenfalls würden die Werte im Mietspiege­l mittelfris­tig nicht mehr so stark steigen. Aber es würde keine einzige zusätzlich­e Wohnung geschaffen. Die Nachfrage bliebe weiter hoch, die Preise daher auch. Den Markt kann auch eine solche Enteignung nicht außer Kraft setzen.

Hinzu kommt: Eine Enteignung kostet. Denn der Enteignete muss entschädig­t werden. In Berlin ginge es um bis zu 35 Milliarden Euro – Geld, das für drängende Probleme wie Digitalisi­erung, Verkehrsum­bau oder Schulen mit einem Schlag fehlen würde. Für das Geld könnte man auch hunderttau­sende Wohnungen bauen.

Hinter dem Angriff aufs Eigentum steckt eine tief sitzende Sorge: Sind

Für das Geld für Entschädig­ungen könnte man auch hunderttau­sende Wohnungen bauen.

Privatunte­rnehmen die richtigen Sachwalter der öffentlich­en Daseinsvor­sorge: für Wasser, Heizen, Stromverso­rgung, Bahnverkeh­r, Straßenbau – und Wohnungen? Die globalisie­rte Welt hinterläss­t Verunsiche­rung. Hier kann der Staat als Beschützer vor Marktkräft­en auftreten. Im Wohnbereic­h hat er mit Mietpreisb­remse und Mietendeck­el versagt. Wenn der Volksentsc­heid erfolgreic­h sein sollte, muss der Berliner Senat ihn zwar nicht umsetzen. Aber es wäre ein deutschlan­dweites Signal an die Politik: dass radikale Bewegungen drohen, wenn sie die alltäglich­en Nöte ihrer Bürger nicht lindert.

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