Bundesweites Signal
In Berlin wird am Sonntag über etwas abgestimmt, das Auswirkungen auf ganz Deutschland haben kann: die Enteignung großer Wohnungskonzerne. Rund 350 000 Menschen haben mit ihrer Unterschrift den Weg freigemacht, damit dieser Volksentscheid zustande kommt. Woran liegt es, dass Eigentum unter solchen Druck gerät? Und wohin führt es, wenn der Volksentscheid erfolgreich ist?
Die Verfasserinnen und Verfasser des bundesdeutschen Grundgesetzes haben vor mehr als 70 Jahren festgelegt, dass Eigentum staatlich geschützt ist. Sie fügten allerdings hinzu: „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen.“Gerade bei Unternehmen, deren Ziel es ist, Profit zu erwirtschaften, stellt sich die Frage: Wie viel Bereicherung ist erlaubt, ohne das Wohl der Allgemeinheit zu schmälern? Die Initiative in Berlin will vor dem Hintergrund massiv gestiegener Mieten nun eine politische Antwort erzwingen. 250 000 Wohnungen der beiden großen Konzerne Deutsche Wohnen und Vonovia sollen künftig von der Stadt Berlin verwaltet werden, statt aus ihren hohen Mieteinnahmen Aktionäre zu befriedigen.
Eines ist klar: das Recht auf Eigentum gilt nicht absolut. Immer wieder – sei es für Straßen, Tagebaue oder Bahnstrecken – sind in der bundesdeutschen Geschichte Menschen enteignet worden. Das Enteignungsbegehren rund um die Mietpreise ist insofern ein Novum, als dass damit kein Wert geschaffen wird, wie es etwa beim Bau einer Straße der Fall ist. Es geht um eine Abfederung von Mietkosten, die noch dazu räumlich und zeitlich begrenzt ist.
Denn niemand glaubt im Ernst, dass der überhitzte Wohnungsmarkt in Berlin durch eine Enteignung großer Anbieter abkühlen würde. Die rund eine Million Wohnungen anderer Vermieter würden dadurch nicht billiger – allenfalls würden die Werte im Mietspiegel mittelfristig nicht mehr so stark steigen. Aber es würde keine einzige zusätzliche Wohnung geschaffen. Die Nachfrage bliebe weiter hoch, die Preise daher auch. Den Markt kann auch eine solche Enteignung nicht außer Kraft setzen.
Hinzu kommt: Eine Enteignung kostet. Denn der Enteignete muss entschädigt werden. In Berlin ginge es um bis zu 35 Milliarden Euro – Geld, das für drängende Probleme wie Digitalisierung, Verkehrsumbau oder Schulen mit einem Schlag fehlen würde. Für das Geld könnte man auch hunderttausende Wohnungen bauen.
Hinter dem Angriff aufs Eigentum steckt eine tief sitzende Sorge: Sind
Für das Geld für Entschädigungen könnte man auch hunderttausende Wohnungen bauen.
Privatunternehmen die richtigen Sachwalter der öffentlichen Daseinsvorsorge: für Wasser, Heizen, Stromversorgung, Bahnverkehr, Straßenbau – und Wohnungen? Die globalisierte Welt hinterlässt Verunsicherung. Hier kann der Staat als Beschützer vor Marktkräften auftreten. Im Wohnbereich hat er mit Mietpreisbremse und Mietendeckel versagt. Wenn der Volksentscheid erfolgreich sein sollte, muss der Berliner Senat ihn zwar nicht umsetzen. Aber es wäre ein deutschlandweites Signal an die Politik: dass radikale Bewegungen drohen, wenn sie die alltäglichen Nöte ihrer Bürger nicht lindert.