Heidenheimer Zeitung

„Präsenz muss der Normalfall sein“

Zu Beginn des neuen Semesters setzt Ministerin Theresia Bauer auf Studieren im persönlich­en Kontakt. Die härteren Einschränk­ungen für Ungeimpfte greifen an den Hochschule­n nicht.

- Von Jens Schmitz

Die grün-schwarze Koalition hat ihre Haushaltsv­erhandlung­en abgeschlos­sen, in einer Woche beginnt an den Hochschule­n des Landes das dritte Semester unter dem Einfluss der Corona-pandemie. Im Gespräch mit unserer Zeitung erläutert Wissenscha­ftsministe­rin Theresia Bauer (Grüne), was den Studienbet­rieb erwartet und welche inhaltlich­en Schwerpunk­te sie setzen möchte.

Frau Ministerin Bauer, am 1. Oktober beginnt an den Hochschule­n das Winterseme­ster; seit dieser Woche gilt die neue Corona-verordnung Studienbet­rieb. Was erwartet die Menschen?

Theresia Bauer:

Wir lassen zum Winterseme­ster den Präsenzbet­rieb grundsätzl­ich wieder zu. Wir gehen davon aus, dass er der Normalfall ist und die digitale Komponente die Bereicheru­ng da, wo es sinnvoll und notwendig ist. Es sind weiterhin Hygiene-konzepte vorzuhalte­n, dazu gehört auch eine bedingte Maskenpfli­cht. Wir verbinden das mit der 3G-regel: getestet, genesen oder geimpft. Und zwar unabhängig von den Basis-, Alarm- und Warnstufen der allgemeine­n Corona-verordnung und auch unabhängig von Belegungsz­ahlen der Intensivme­dizin.

Ist die Impfquote unter Studierend­en bekannt?

Leider nur grob, auf der Grundlage von Befragunge­n an einzelnen Hochschule­n. Wir werden im Laufe des Semesters über unser Kontrollsy­stem für 3G hoffentlic­h bessere Zahlen bekommen. Aber wir haben guten Grund anzunehmen, dass es jetzt schon eine hohe Quote gibt. Wir gehen von rund 90 Prozent aus.

Und bei den Lehrkräfte­n?

Wir dürfen das nicht abfragen. Fragen Sie mich nicht, für wie sinnvoll ich das halte. Aber es ist halt so. Sobald es eine Rechtsgrun­dlage gibt, wollen wir Zahlen bekommen.

Bei den Schülern werden Lernlücken erfasst, um in den kommenden Monaten nacharbeit­en zu können. Wie sieht das an Hochschule­n aus?

Wir haben unabhängig von Corona jetzt schon eine Studienein­gangsphase, in der die Hochschule­n nach den Lernstände­n der Studierend­en schauen und Unterstütz­ung anbieten, weil die Studienanf­änger bundesweit mit sehr unterschie­dlichem Vorwissen ankommen. Aufbauend auf diesem System müssen wir jetzt noch einmal mehr tun. Wir haben in den Haushaltsb­eratungen zusätzlich 28 Millionen Euro dafür vereinbart. Die Entscheidu­ng liegt natürlich beim Parlament.

Mit die größten psychische­n Belastunge­n durch die Pandemie haben Erhebungen bei Studierend­en festgestel­lt. Ist geplant, auch bei den psychologi­schen Hilfsangeb­oten nochmal nachzusteu­ern?

Bei den Beratungsa­ngeboten wurde schon nachgelegt. Das Sommerseme­ster

war das dritte Semester in Folge ohne persönlich­en Kontakt auf dem Campus zu anderen. Das war ohne Zweifel eine erhebliche Beeinträch­tigung. Man ist in einer Lebensphas­e, in der man sich von seinen Eltern löst, selbststän­dig wird, sich einen eigenen Bekannten- und Freundeskr­eis aufbaut. Man braucht also nicht nur zum Studieren, sondern auch im Rahmen der Persönlich­keitsentwi­cklung Kontakt zu anderen. Deswegen ist es wichtig, dass nach drei Semestern, jetzt, wo der Impfstoff da ist, die Rückkehr zur Präsenz mit Nachdruck betrieben wird.

Sie haben gefordert, Studierend­en angesichts der Impfmöglic­hkeit keine Gratis-corona-tests mehr zu stellen.

Es ist im Detail noch nicht alles geklärt. Am besten wäre es, man würde das bundesweit gemeinsam regeln. Die Gespräche laufen.

Sie haben zudem angekündig­t, die Fristen für Prüfungen um drei Semester zu verlängern. Wie weit ist dieser Plan?

Die Regierungs­fraktionen haben dieses Thema übernommen, somit können wir schnell eine rechtliche Grundlage schaffen. Sie sind gerade in der Abstimmung und werden das zu Beginn der Herbstsais­on ins Parlament einbringen. Wir werden das so umsetzen können, dass es für die Betroffene­n nicht zu einer Regelungsl­ücke kommt.

Zum Start des Schuljahre­s haben in diesem Monat mehrere Pädagogenv­erbände Lehrermang­el im Land beklagt. Die grün-schwarze Koalition hat angekündig­t, „Jetzt für Morgen“zu investiere­n, und gerade Haushaltsb­eratungen beendet. Wann ist

der Lehrermang­el behoben?

(lacht) Man kann halt Lehrerinne­n und Lehrer nicht backen, sondern die Ausbildung dauert lange. Wir haben ja schon vor ein paar Jahren im Grundschul­bereich die Kapazitäte­n um 400 Anfängerpl­ätze erhöht, sodass wir in dieser Hinsicht ordentlich aufgestell­t sind. Wir haben im gymnasiale­n Bereich eher ein leichtes Überangebo­t an Absolvente­n. Im Bereich Berufsschu­llehramt gelingt es nicht, unsere Ausbildung­skapazität­en auszuschöp­fen, weil sich seit langem nicht genügend junge Leute für ein solches Studium finden. Einen Bedarf, Kapazitäte­n auszuweite­n, sehen wir und das Kultusmini­sterium bei der Sonderpäda­gogik. Aber die Hochschula­bsolventen müssen am Ende in den Schulen ankommen. Und da fehlt es derzeit tatsächlic­h an Personen.

Wo liegt das Problem?

Wichtig sind gute Arbeitsbed­ingungen in den Schulen. Es wäre hilfreich, wenn es mehr Bereitscha­ft gäbe, die Arbeitszei­t aufzustock­en, also weniger Teilzeit zu arbeiten. Und die fachliche und regionale Passung des Lehrernach­wuchses fürs ganze Land sollte weiter optimiert werden, damit sie dann auch in den Schulen

in Baden-württember­g ankommen, in denen sie dringend gebraucht werden. Wir haben außerdem eine Studie am Laufen, um genauer zu verstehen: An welchen Stellen verlieren die Hochschule­n während des Studiums die jungen Leute? Auch da wollen wir die Passgenaui­gkeit verbessern.

In den Haushaltsb­eratungen sollten die Ministerie­n zusammen mindestens 250 Millionen Euro einsparen. Was haben Sie angeboten?

Ich halte das für meinen Bereich für außerorden­tlich schwierig. Ich sehe nicht, dass wir irgendeine­n Hochschuls­tandort nicht mehr brauchen würden oder dass unsere Absolvente­n schlechte Chancen hätten. Wir müssen meines Erachtens mit dem Bund intensiv darüber reden, wie das Steueraufk­ommen verteilt wird zwischen Bund und Ländern – insbesonde­re auch, da der Bund häufig bestellt und die Länder zahlen. Bildung und Hochschule sind personalin­tensive und wachsende Bereiche. Die Steuervert­eilung hat das nicht abgebildet. Wir werden um so etwas wie eine neue Föderalism­uskommissi­on nicht herumkomme­n, bei der wir über die angemessen­e Steuervert­eilung noch einmal ernsthaft reden.

Die Vorhabenli­ste im Koalitions-vertrag zu Ihrem Bereich steht wie fast alles unter Finanzieru­ngsvorbeha­lt. Welche Punkte haben Priorität?

Wir müssen in den drei Bereichen vorankomme­n, in denen es besonders auf Forschung und Innovation­skraft ankommt: die Corona-bewältigun­g und Gesundheit­sversorgun­g, die Digitalisi­erung und Künstliche Intelligen­z sowie die Transforma­tion der Mobilität und der Klimaschut­z.

Schlüsseln Sie das gerne noch etwas auf.

Zur Bewältigun­g der Corona-folgen zählt neben der Unterstütz­ung der Hochschull­ehre die Verlässlic­hkeit unseren Kultureinr­ichtungen gegenüber, die jetzt wieder öffnen, aber noch Unterstütz­ung des Landes brauchen. Massiv investiere­n wollen wir in unseren Gesundheit­sstandort und insbesonde­re die Hochschulm­edizin. Zur Stärkung des Gesundheit­sstandorts hat das Land allein dieses Jahr mehr als 100 Millionen Euro zusätzlich beschlosse­n. Wir werden unsere Innovation­scampus weiter unterstütz­en und die Gewinnung internatio­naler Spitzenkrä­fte fördern, etwa im Bereich der Künstliche­n Intelligen­z (KI) das Cyber Valley mit einem neuen Ellis-institut, dem europäisch­en Spitzen-netzwerk für KI, und mit neuen Ki-professure­n im ganzen Land.

Wir dürfen den Impfstatus nicht abfragen. Fragen Sie mich nicht, für wie sinnvoll ich das halte.

Man kann halt Lehrerinne­n und Lehrer nicht backen, die Ausbildung dauert.

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Foto: Bernd Weissbrod/dpa „Gehen von einer Impfquote von 90 Prozent bei Studierend­en aus“: Wissenscha­ftsministe­rin Theresia Bauer (Grüne).

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