Heidenheimer Zeitung

Viele Baustellen

Die Arbeit stapelt sich in den Gerichten. Mit neuen Stellen will Ministerin Marion Gentges Abhilfe gegen die Überlastun­g schaffen.

- Von Theo Westermann

Die Problem-agenda ist lang, die Wulf Schindler, Vorsitzend­er des „Vereins der Richter und Staatsanwä­lte in Baden-württember­g“der neuen Justizmini­sterin Marion Gentges (CDU) vorträgt. Die Justiz sieht sich nämlich massiv unter Druck. Schindler lobt auf der Hauptversa­mmlung des rund 1900 Mitglieder starken Verbandes zwar den Personalau­fwuchs der vergangene­n fünf Jahre, verweist im Gegenzug aber auf viele neue Aufgaben.

Es fehle an Servicekrä­ften, die Digitalisi­erung leide unter dem Mangel an fachkundig­er Anleitung vor Ort. Die mit vielen Erwartunge­n befrachtet­e E-akte, die Standort für Standort in der Landesjust­iz eingeführt wird, bewertet Schindler so: „Wir arbeiten mit der E-akte nicht schneller als früher – nur anders“.

Gentges redet in ihrer Antwort die Dinge nicht schön, bekennt sich ausdrückli­ch zu einer Justiz, „die in der Lage ist, das Recht in angemessen­er Zeit umzusetzen“. Ansonsten leide das Vertrauen der Bürger in den Rechtsstaa­t. Auch sie erinnert an den Stellenauf­wuchs der vergangene­n fünf Jahre und die aktuell 450 vorgesehen­en neuen Stellen für die Justiz im Haushaltse­ntwurf für 2022, für die sie grünes Licht vom Ministerpr­äsidenten und vom Finanzmini­ster bekommen hat. „Diese Stellen sind notwendig,“so Gentges, die ebenfalls auf viele auch vom Gesetzgebe­r gewollte zusätzlich­e Aufgaben verweist. Unsere Redaktion blickt auf die wichtigste­n Baustellen in der Justiz:

Massenklag­everfahren

Land- wie Oberlandes­gerichte sehen sich einer Welle von Massenklag­en gegenüber. Konkret geht es dabei zur Zeit um Dieselklag­en oder Kapitalanl­egerklagen. Im besonderen Ausmaß betroffen sind Land- und Oberlandes­gericht Stuttgart. Eine Antwort ist hier kurzfristi­g mehr Personal, wie jüngst für das Landgerich­t Stuttgart. Langfristi­g wirken könnte die von der Justizmini­sterkonfer­enz vorgeschla­gene Einführung eines sogenannte­n Vorabentsc­heidungsve­rfahrens – sprich: einer schnellen höchstrich­terlichen Entscheidu­ng –, das Klarheit für die Zivilgeric­hte schaffen könnte.

Aber es gibt auch Juristen, die die Wirksamkei­t bezweifeln und eher auf Musterfest­stellungsk­lagen setzen. Mit der Verbandskl­agerichtli­nie der EU, die bis Ende 2022 in nationales Recht umgesetzt werden muss, könnten weitere Massenklag­en folgen. Das jüngst novelliert­e Netzwerkdu­rchsetzung­sgesetz gegen Hetze im Internet mit der Verpflicht­ung,

bestimmte Taten zu melden, wird für die Justiz im Land laut Ministerin Gentges 17.500 zusätzlich­e Verfahren im Jahr bedeuten

Überlastun­g der Fachgerich­te

Bei den Verwaltung­sgerichten ist der Berg an oft aufwendige­n Asylklagen nach wie vor nicht abgebaut. In den vergangene­n Jahren erhielten sie deutlich mehr Personal. Die Zahl der Klagen ging zurück, aber viele Altfälle müssen noch bearbeitet werden. In den Sozialgeri­chten stapeln sich tausende von Klagen von Krankenkas­sen gegen Kliniken wegen möglicherw­eise zu viel bezahlter Behandlung­skosten. Hintergrun­d ist ein Bundesgese­tz, das Ausschluss­fristen für Erstattung­sansprüche vorsieht

Zunehmende Gewalt

Viele Gerichte im Land stellen auch außerhalb von Strafproze­ssen eine veränderte Sicherheit­slage fest. Immer öfter gehören

Justizwach­tmeister zur festen Besetzung im Gerichtssa­al auch bei Zivilproze­ssen, speziell bei Familiensa­chen, vorsorglic­h beantragt von Richtern wegen zunehmend gewaltbere­iter Verfahrens­beteiligte­r. Immer öfter werden Richter auch Opfer von Hass und Hetze in den sozialen Netzwerken.

Hier wünscht man sich Beistand vom Dienstherr­n. Unter Druck steht zudem das Justizpers­onal in den Gefängniss­en wegen der ständig steigenden Belegung der Haftanstal­ten und einer ebenfalls immer schwierige­r werdenden Klientel.

Beschleuni­gte Verfahren

Immer wenn es um die Überlastun­g der Justiz geht, wird die Forderung nach beschleuni­gten Verfahren bei Strafsache­n erhoben. Diese werden von den Gerichten im Land wenig genutzt, weil ein beschleuni­gtes Verfahren an gewisse, auch zeitaufwen­dige Bedingunge­n geknüpft ist. Oft wird zum zeitsparen­den Strafbefeh­l statt einer Anklage gegriffen. An drei Standorten im Land wurden nun beschleuni­gte Verfahren ausprobier­t, mit Erfolg, so Gentges. Voraussetz­ung für die Einführung an weiteren Gerichten ist aber mehr Personal, was für 2022 ebenfalls vorgesehen ist.

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Foto: Patrick Seeger/dpa Auch im Justizvoll­zug fehlen Stellen.
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Foto: Marijan Murat/dpa Marion Gentges (CDU), Ministerin der Justiz und für Migration.

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