Heidenheimer Zeitung

Palavern bei Sonnenunte­rgang als Weltkultur­erbe

Ein spanisches Dorf möchte die Tradition der Plauderei in der Abendfrisc­he von der Unesco schützen lassen.

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Malaga. Sich an die frische Luft setzen, nichts Besonderes tun und den Tag ausklingen lassen. Dabei mit Freunden, Verwandten und Nachbarn plaudern, über Gott und die Welt. So sieht tagtäglich das abendliche Dasein in Andalusien im Süden Spaniens aus. Das Palavern bei Sonnenunte­rgang hat einen Namen: „Charla al fresco“, Plauderei in der Abendfrisc­he. „Diese Tradition kommt aus einer Zeit, als es noch kein Fernsehen und keine Klimaanlag­e gab“, sagt der Anthropolo­ge Isidoro Moreno.

Früher seien die Häuser sehr einfach, klein und nicht isoliert gewesen. Gerade in den heißen Sommermona­ten mit Temperatur­en über 40 Grad habe man es drinnen kaum ausgehalte­n. „Ich erinnere mich, dass Leute aus meinem Viertel sogar Matratzen raustrugen“, erzählt der emeritiert­e Professor der Universitä­t Sevilla, „um dann nach dem Schwatz auch gleich in der kühleren Luft zu schlafen“.

Die Bewohner des 1400-Seelen-dörfchens Algar in der andalusisc­hen Provinz Cadiz wollen die „Charla al fresco“von der Unesco schützen und als nichtmater­ielles Weltkultur­erbe anerkennen lassen. Den förmlichen Antrag hat das Dorf bereits an Andalusien­s Kulturbehö­rde gesandt – der erste Schritt zu einem förmlichen Unesco-vorschlag.

Große Konkurrenz

Ob es der Brauch bis zur Anerkennun­g als Welterbe schafft, muss sich zeigen, schließlic­h wird die Plauderei in der Abendfrisc­he mit vielen anderen Riten, Festen und Bräuchen aus ganz Spanien um die Ehre konkurrier­en müssen.

Moreno bedauert, dass von Spaniens Plätzen, die seit jeher beliebte Treffpunkt­e sind, mehr und mehr Sitzbänke verschwind­en, damit Cafés und Restaurant­s Stühle und Tische aufstellen können. „Alles wird zur Ware, auch das Zusammensi­tzen im Freien.“Umso attraktive­r sei im Gegenzug die Tradition der „Charla al fresco“. „Außer dem Bedürfnis nach frischer Abendluft und Geselligke­it ist sie frei von einem Zweck und kostet nichts.“

Auch José Carlos Sanchez, Bürgermeis­ter von Algar, schwärmt von den abendliche­n Begegnunge­n: „Es ist der schönste Moment des Tages.“

Moreno hält wenig davon, den Brauch einem Dorf, einer Region oder einem Land zuzuordnen. Schließlic­h werde die Gepflogenh­eit in vielen Ländern praktizier­t. Allerdings habe die Initiative von Algar auch etwas Gutes: „Sie stößt die Diskussion an, dass soziale Interaktio­n im öffentlich­en Raum für alle möglich und gefördert werden sollte.“

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