Alle Würfel sind noch nicht gefallen
Das „Forum Bildung und Entwicklung Heidenheim“diskutierte zum Thema nachhaltiges Heidenheim. Geladen waren Fachleute aus dem Kreis und der Stadt Heidenheim.
Vier große Würfel standen am Donnerstagabend bei der Podiumsdiskussion zum Thema „Nachhaltigkeit“auf der Bühne der Stadtbibliothek Heidenheim. Sie standen exemplarisch für die vier Themencluster des Abends: Lernen, Wirtschaft, Konsum und Wohnen. Anhand dieser vier Bereiche wurden die „17 Ziele der Nachhaltigkeit“der Vereinten Nationen diskutiert. Zu diesen vier Themen hatte das Forum acht Fachleute aus dem Kreis und der Stadt Heidenheim geladen, die über den aktuellen und zukünftigen Wandel der Gesellschaft sprachen. In jeweils zwei Viererrunden berichteten sie, moderiert von Wolfgang Heinecker, von ihren Erfahrungen aus der Praxis.
Tobias Müller, vom Unverpackt-laden „Tante Heidi“, erläuterte beim Thema „Konsum“über die Möglichkeiten der Digitalisierung im Lebensmitteleinzelhandel und die Chancen, sein Warenangebot möglichst konsequent mit Produkten von lokalen oder regionalen Erzeugern zu bestücken. Die Klimaschutzmanagerin des Landkreises, Linda Beer, wies auf die Notwendigkeit der Klimafolgenanpassung bei Bauten und Projekten der öffentlichen Hand hin.
Nachhaltigkeit und Wirksamkeit
Holger Nagel, Schulleiter des Hellenstein-gymnasiums, versuchte darzulegen, wie im schulischen Kontext das Thema Nachhaltigkeit um die Komponente „Wirksamkeit“ergänzt werden muss. Und Architekt Wolfgang Sanwald sprach, als es um das „Wohnen“ging, vom Bewusstseinswandel in seiner Branche: „Wir sind Vertreter einer Gilde, die aus einer ganz langen und festgefahrenen Tradition kommt. Diese Tradition zu verändern, hat in der Baubranche lange gedauert. Wenn man sich mit dem Thema Nachhaltigkeit aber nicht befasst, dann kippt man hinten runter.“Sanwald erwähnte in diesem Zusammenhang auch die sogenannte „graue Energie“, also die verbrauchten Ressourcen, die in Bestandsbauten bereits „gespeichert“sind.
Zum Themencluster „Wirtschaft“erläuterte „Eine Welt“-regionalpromoterin Simone Schliemann am Beispiel der internationalen Lieferketten die Bedeutung des zivilgesellschaftlichen Engagements bei der Einflussnahme auf das Zustandekommen neuer Gesetze. Kommunikationsdesigner Nico Hensel griff in gewisser Weise den von Wolfgang Sanwald ins Spiel gebrachten Bewusstseinswandel auf und forderte
Niemand von uns kann allein die Welt retten. Wolfgang Heinecker
quasi, reinen Tisch zu machen, wenn unser Leben und Wirtschaften zukunftsfähig werden soll: „Um etwas Neues zu denken, muss man die Fähigkeit haben, alles, was man weiß, zu vergessen.“Und Luise Kammel, Gründerin des Modelabels cølú, erläuterte anhand ihrer Kollektion, dass es auch in der Mode möglich ist, ökologisch, regional orientiert und fair zu produzieren.
Die Regionalmanagerin der Bio-musterregion Heidenheim, Johanna Böll, wies auf die zentrale Bedeutung der Landwirtschaft für eine „enkeltaugliche Zukunft“hin. „Landwirtschaft hat zwei Gesichter: Auf der einen Seite wird sie als Teil des Problems gesehen, andererseits ist sie definitiv auch Teil der Lösung.“Das fange bei einer flächenangepassten Tierhaltung – Stichwort Gülleausbringung und Futtermittelversorgung – an, und höre beim ökologisch bewussten Umgang mit der Artenvielfalt oder der Fruchtfolge nicht auf, so Böll.
Zwei wichtige Aspekte des Themas „Nachhaltigkeit“wurden leider de facto gar nicht angesprochen. Das war zum einen der Bereich Mobilität. Immerhin ist der Verkehrssektor mit einem Anteil von etwa 20 Prozent der drittgrößte Verursacher von Treibhausgasemissionen nach der Energieerzeugung und der Industrie in Deutschland. Und über 90 Prozent dieser Emissionen entfallen auf den Straßenverkehr.
Individuelle Mobilität wird aber für die Menschen auf dem Land oder in mittelgroßen Städten wie Heidenheim eine ganz andere Bedeutung behalten, als sie das für die Bewohner von Großstädten mit ihrem gut ausgebauten öffentlichen Nahverkehr haben wird.
Soziale Gerechtigkeit
Leider kam auch der Zusammenhang von Nachhaltigkeit und sozialer Gerechtigkeit an diesem Abend zu kurz. Denn Nachhaltigkeit kostet, man muss sie sich leisten können. Wenn Nachhaltigkeit allein zu einer Veranstaltung derjenigen wird, die über das dafür notwendige Monatseinkommen verfügen, wird sie wohl erstens keine Konsequente sein und hat zweitens das Potenzial, den sozialen Frieden in Deutschland gefährden zu können. Oder mit den Worten des Moderators Wolfgang Heinecker formuliert: „Niemand von uns kann allein die Welt retten, wir müssen es schon zusammen tun.“
Im anschließenden World-café – eine Art Sammelbüchse für die Ideen und Vorschläge der Zuhörerinnen
und Zuhörer der Podiumsdiskussion – wurde dieser Aspekt dann zumindest schriftlich den Veranstaltern mit auf den Weg gegeben. Das Format der Podiumsdiskussion zum Thema „Nachhaltigkeit“sollte unbedingt fortgesetzt werden, dann sinnvollerweise erweitert um Vertreter aus der Großindustrie. Denn genau dort entscheidet sich hauptsächlich, ob unsere Gesellschaft eine nachhaltige werden kann. Allein durch einen bewussteren privaten Konsum wird das kaum zu schaffen sein.