Roman Shida Bazyar: Nachts ist es leise in Teheran (Folge 74)
Es fühlt sich immer komisch an, mit Marie über diese Typen zu lachen, es würde sich besser anfühlen, mit Yasaman über sie zu lachen. Aber Yasaman ist vielmehr besessen davon, alle deutschen Männer schlimm zu finden, sie behauptet, es sei ein Anpassen, ein Sich-unterwerfen, wenn man mit deutschen Männern eine Beziehung eingehe. Sie möchte Iranistik studieren, möchte Journalistin werden, möchte besser werden als diese peinliche weiße Mittelschicht, wie sie es nennt. Ständig fällt mir hier auf, wie gut es ist, dass Yasaman und Marie sich nie begegnet sind.
Laleh, sag mal, wie ist es so, wenn man in Deutschland einen Studienplatz finden möchte?, Nima schaut mich an, während er wieder an seinem Strohhalm saugt. Er ist Student, macht seinen Bachelor in Maschinenbau, wenn alles gut geht. Und er ist beliebt, denn viele der Menschen hier scheinen ihn zu mögen. Noch während er mit mir spricht, steht er plötzlich auf, lacht laut und aufrichtig und umarmt Neuankömmlinge, um sich dann wieder zu mir zu setzen und mit ernster Miene weitere Fragen zu stellen. Ich studiere ja noch nicht, sage ich, Ich weiß es nicht. Ich muss daran denken, wie Mama in der ersten Nacht hier in Teheran ihren Schwestern und Freundinnen von ihrem Studium in Deutschland erzählt hat. Von den Professoren, deren Handschrift sie nicht entziffern konnte, von Vorlesungen, in denen sie manchmal nicht ein einziges Wort verstanden hat, von Lerngruppen, in denen sie den anderen nicht helfen konnte, dafür aber für sie kochte und dann von ihnen alles erklärt bekam. Um Mama machte sich eine respektvolle Stimmung breit. Sie lobten ihren Fleiß und ihren Mut und vor allem ihren akademischen Abschluss an einer ausländischen Universität. Das Diplom in Politikwissenschaften, eine Drei-komma-null zwar, aber sie hat es geschafft, und niemand hier fragt nach ihrem Notendurchschnitt. Auf meinem Pappteller liegt ein durchweichter Donut. Wir sollen bloß nichts essen, hat Avas Mutter uns ermahnt, weil sie doch Abendessen vorbereitet, wir sollen früh zurückkommen, wir sollen mich nicht an Orte führen, an denen ich mich unwohl fühlen könnte. Der fettige Donut ist eine einzige wabbelige Hefemasse mit Zuckerüberzug und wohl das Ungesundeste, was ich in den letzten Wochen gegessen habe. Aber sein Kauf ist eine der wenigen Entscheidungen, die ich hier selbst treffen durfte, und das fühlt sich gut an. Ich kann dir über die deutschen Universitäten nicht viel sagen, erwidere ich, Aber warum fragst du? Du studierst doch hier? Bist du hier nicht zufrieden? Irgendwie finde ich im selben Moment, dass es albern wirkt, so etwas zu fragen. Zufrieden. Wir essen zwar den ganzen Tag und spielen Karten und machen Witze miteinander, aber Wörter wie Zufriedenheit gewinnen eine Absurdität, wenn man sie in den Mund nimmt. Vermutlich, weil man im selben Moment merkt, dass man sie nur dann benutzt, wenn man sie infrage stellt. Nima lacht zischend. Ava schaut mich an, Hier? Zufrieden? Wir könnten hier nicht zu dritt sitzen, wenn die Scheiben nicht getönt wären, wenn um uns herum nicht so viele Menschen säßen, wenn nicht zufällig gerade eine gemäßigtere Phase wäre als vor einigen Jahren noch, ist dir das eigentlich gar nicht klar? Ava sagt das in dem Ton, in dem sie mich vorher gefragt hat, ob mir denn eigentlich nicht auffalle, dass ich so wahnsinnig auffällig sei, dass ich mich anders bewege, dass die Menschen mir an der Nasenspitze ansähen, dass ich eine Ausländerin bin. Ist dir das eigentlich gar nicht klar? Das ist eine Frage, auf die man keine Antwort erwartet, weswegen wir kurz schweigen. Nima tut sehr erwachsen, er redet wie mein Papa, wie vermutlich alle Papas in diesem Raum, als er fragt, Von den Studentenprotesten hast du gehört, oder? Und ich sage, Nein. Ava und Nima wirken nicht enttäuscht, sie wirken sogar ganz aufgeregt, mir davon erzählen zu können. Sie sagen, eine der reformorientierten Zeitungen wurde verboten, Zensur, alle haben auf Khātami gehofft, eine Weile war wirklich alles besser, und dann die Nacht in dem Studentenwohnheim, sie haben das Wohnheim, Nimas Wohnheim, gestürmt und Studenten aus dem Fenster geworfen. Und es ist mir peinlich, aber in mir regt sich ein Lachen, als ich das höre.
Fortsetzung folgt
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