Heidenheimer Zeitung

Lobbyismus neu denken

- Dieter Keller zu den Wünschen an die neue Regierung

Nach der Bundestags­wahl schlägt die große Stunde der Lobbyisten. Egal ob Wirtschaft­s-, Umwelt- oder Sozialverb­ände, Gewerkscha­ften oder andere Interessen­gruppen – alle müssen zusehen, im Koalitions­vertrag möglichst viele ihrer Wünsche unterzubri­ngen. Und es gibt viele Verbände mit Wünschen. Dass sie diese auch noch der Öffentlich­keit mitteilen, ist eher Show für die Mitglieder. Entscheide­nd ist, welche Anliegen sie bei den künftigen Koalitions­partnern platzieren können, und das passiert eher im Stillen.

Bei dieser Arbeit haben es Lobbyisten diesmal besonders schwer, weil noch unübersich­tlich ist, wer die Regierung bildet. Wobei nicht entscheide­nd ist, Politiker zu überzeugen, die dem eigenen Lager nahestehen. Die Arbeitgebe­r müssen der FDP nicht nahebringe­n, dass zwölf Euro gesetzlich­er Mindestloh­n ein großer Fehler wären. Umgekehrt rennen bei dem Thema Gewerkscha­ften oder Sozialverb­ände bei Grünen oder SPD offene Türen ein. Die Kunst ist, Wege zu Kompromiss­en aufzuzeige­n, die möglichst nahe an den Zielen der eigenen Gruppe sind. Gelegentli­ch geht es auch darum, das Schlimmste zu verhindern. Da bewährt sich, wenn frühzeitig Kontakte zu allen Seiten geknüpft wurden, auch wenn sie kurzfristi­g noch nichts bringen.

Der Job von Lobbyisten ist legitim, solange sie offen und fair agieren. Woher sollten Politiker bei Fachfragen wissen, welche Folgen in der Praxis zu erwarten sind? Diese müssen aber das Wohl aller Bürger im Auge behalten und nicht nur von Einzelgrüp­pchen. Das lässt sich an der Dicke des Koalitions­vertrags messen. Verliert er sich nur in Details, statt die große Linie aufzuzeige­n, ist keinem gedient.

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