Lobbyismus neu denken
Nach der Bundestagswahl schlägt die große Stunde der Lobbyisten. Egal ob Wirtschafts-, Umwelt- oder Sozialverbände, Gewerkschaften oder andere Interessengruppen – alle müssen zusehen, im Koalitionsvertrag möglichst viele ihrer Wünsche unterzubringen. Und es gibt viele Verbände mit Wünschen. Dass sie diese auch noch der Öffentlichkeit mitteilen, ist eher Show für die Mitglieder. Entscheidend ist, welche Anliegen sie bei den künftigen Koalitionspartnern platzieren können, und das passiert eher im Stillen.
Bei dieser Arbeit haben es Lobbyisten diesmal besonders schwer, weil noch unübersichtlich ist, wer die Regierung bildet. Wobei nicht entscheidend ist, Politiker zu überzeugen, die dem eigenen Lager nahestehen. Die Arbeitgeber müssen der FDP nicht nahebringen, dass zwölf Euro gesetzlicher Mindestlohn ein großer Fehler wären. Umgekehrt rennen bei dem Thema Gewerkschaften oder Sozialverbände bei Grünen oder SPD offene Türen ein. Die Kunst ist, Wege zu Kompromissen aufzuzeigen, die möglichst nahe an den Zielen der eigenen Gruppe sind. Gelegentlich geht es auch darum, das Schlimmste zu verhindern. Da bewährt sich, wenn frühzeitig Kontakte zu allen Seiten geknüpft wurden, auch wenn sie kurzfristig noch nichts bringen.
Der Job von Lobbyisten ist legitim, solange sie offen und fair agieren. Woher sollten Politiker bei Fachfragen wissen, welche Folgen in der Praxis zu erwarten sind? Diese müssen aber das Wohl aller Bürger im Auge behalten und nicht nur von Einzelgrüppchen. Das lässt sich an der Dicke des Koalitionsvertrags messen. Verliert er sich nur in Details, statt die große Linie aufzuzeigen, ist keinem gedient.