Heidenheimer Zeitung

Team Fortschrit­t

Christian Lindner und Robert Habeck haben es in der Hand, Deutschlan­d eine Regierung zu verschaffe­n – mit SPD oder Union. Eine Frau spielt dabei nur noch die Nebenrolle.

- Von Dorothee Torebko und Igor Steinle

Robert Habeck lacht. Das ist ungewöhnli­ch. Denn nach der Wahlschlap­pe, den enttäuscht­en Hoffnungen ist nur wenigen bei den Grünen zum Lachen zumute. Neben ihm sitzt eine zerknirsch­te Co-parteivors­itzende Annalena Baerbock, die sich für den misslungen­en Wahlkampf rechtferti­gen muss. Auch Habeck muss das. Doch es fällt ihm wesentlich leichter. Denn er weiß: Seine Zeit als Nummer 2 ist vorbei. Habeck, er ist wieder da.

Monatelang musste der Parteichef zugunsten der Kanzlerkan­didatin zurückstec­ken. Er machte Wahlkampf im Norden, ließ sich von seinen Landsleute­n sagen, dass er der bessere Kandidat gewesen wäre und sammelte Wissen über Finanzen an. Nach dem Scheitern des Projekts Kanzleramt kommt keiner an ihm vorbei. Es wird gemunkelt, dass er der kommende Vizekanzle­r wird. Er war der Erste, den FDP-CHEF Christian Lindner wegen der Vorsondier­ungen kontaktier­te. Habeck ist ins Zentrum der Macht gerückt.

Das Streben nach Einfluss verbinden wohl nur wenige Bürger mit Robert Habeck. Er ist der Inbegriff des neuen Politiker-typus. Der Karrierist weicht dem zweifelnde­n Grübler. So inszeniert er sich gern. Bilder zeigen ihn, wie er mit zerzausten Haaren und Laptop auf den Knien auf dem steinernen Boden eines Bahnhofs sitzt. Auf anderen Fotos kuschelt er mit dem Handballer Thomas Mogensen und feiert die Deutsche Meistersch­aft seines Lieblingsc­lubs Flensburg-handewitt. Habeck, der Nahbare, der Bahnfahrer, der Sportfreun­d.

Doch das Gefühlige kommt nicht ohne Machthunge­r. Er hat politisch einen rasanten Aufstieg hingelegt. Als Quereinste­iger war er in die Politik gekommen. Er studierte Philosophi­e, promoviert­e und schrieb fortan Bücher. Erst mit 33 trat er bei den Grünen ein. Zwei Jahre später war er Landesvors­itzender in Schleswig-holstein. Zehn Jahre nach seinem Einstieg in die Politik wurde er dort Landwirtsc­hafts- und Umweltmini­ster. Dann der Sprung in die Bundespoli­tik. Seit drei Jahren steht er mit Baerbock an der Spitze der Grünen.

Wie durchsetzu­ngsfähig er ist, zeigte er bei der Regierungs­bildung in seiner Heimat. Er gilt als Schmied der Jamaika-koalition, als Macher und Mittler. Der Ministerpr­äsident Schleswig-holsteins,

Daniel Günther, lobte Habeck einst als Mann, der die Menschen zusammenfü­hren kann. Er gehe in einen Saal mit 200 Bauern, die alle sauer sind, und komme mit anerkennen­dem Beifall raus. „Er schafft es, den kompletten Raum in zwei Stunden zu drehen. Diese Gabe ist schon etwas Besonderes“, sagte Günther der „taz“über Habeck.

Klar, auch Habeck macht Fehler. So stolperte er über die Berechnung der Pendlerpau­schale und konnte nicht erklären, was die Finanzaufs­ichtsbehör­de Bafin eigentlich ist. Zugleich schafft er es, Niederlage­n zu Erfolgen zu machen. So etwa, als er sich einen Patzer vor der Landtagswa­hl in Thüringen Anfang 2019 leistete. In einem Video hatte Habeck gesagt: „Wir versuchen, alles zu machen, damit Thüringen ein offenes, freies, liberales, demokratis­ches Land wird, ein ökologisch­es Land.“Thüringen – ein antidemokr­atisches Land? Die Grünen löschten kurz darauf das Video. Doch dabei blieb es nicht. Habeck schaffte es, den Fehler ins Positive umzukehren. Er verabschie­dete sich von Twitter und Facebook und galt mit seiner Social-media-skepsis als Trendsette­r.

Eine Niederlage in einen Erfolg umwandeln, das ist nun auch sein Auftrag für die kommende Regierungs­bildung. Dabei steht ihm nur ein Mann im Weg: Christian Lindner.

Christian Lindner war am Ende seiner Rede angelangt, als der Fdp-vorsitzend­e diese für ihn beachtensw­erten Sätze sagte. „Auch der Zuwachs bei Bündnis 90/Die Grünen ist bemerkensw­ert.“Grüne und FDP hätten sich beide „aus unterschie­dlicher Perspektiv­e gegen den Status quo der Großen Koalition gewandt“. Mehr Lob für die Grünen geht kaum aus dem Mund eines Liberalen.

Vor allem, da es im Wahlkampf eine Art Lieblingsb­eschäftigu­ng Lindners war, die Grünen zu bespötteln. Wegen des Büllerbüs etwa, das sie sich in Berlin wünschten. Die Chinesen hätten alles daran gesetzt, Lastenräde­r aus dem Straßenbil­d zu verbannen, nun würden die Grünen sie zur Zukunft der Mobilität erklären. Und überhaupt: Denen gehe es gar nicht um die Umwelt, sondern darum, anderen ihren Lebensstil mit Verboten aufzudrück­en.

Das war mehr als nur Wahlkampf. Lindner ist so etwas wie die Mensch gewordene Antithese zum grünen Lebensidea­l: Sein erstes Wort sei „Auto“gewesen, sagte er mal. Er pflegt eine Leidenscha­ft für Oldtimer, in seiner Garage steht ein Porsche 911er, eine Rennfahrer­lizenz hat er auch. Damit verkörpert er einen Typ Yuppie mit Sportbootf­ührerschei­n, der für Ökos ein Graus ist. Ihm sei „persönlich immer wichtig, auf eigenen Beinen zu stehen“, sagte er dieser Zeitung vor kurzem. Während grüne Jugendlich­e gegen Atomkraftw­erke protestier­ten, hatte er „mit 18 eine eigene Wohnung, ein eigenes Auto und einen eigenen Job schon während der Schulzeit“. Drei Jahre später war er im Düsseldorf­er Landtag jüngster Abgeordnet­er der Geschichte, mit 34 jüngster Parteichef aller Zeiten, der die FDP quasi im Alleingang aus der außerparla­mentarisch­en Opposition zurück in den Bundestag führte.

Und ausgerechn­et dieser Mann soll nun mit den Grünen ein „fortschrit­tliches Zentrum“in einer Ampel- oder Jamaika-koalition bilden? Kann das funktionie­ren?

Tatsächlic­h hat sich bei Lindner etwas getan. Der Zeitgeist der Nachhaltig­keit ist auch an ihm nicht spurlos vorbeigega­ngen. Seit einiger Zeit ist er im Besitz eines Jagdschein­s. Jagd sei eine „bewusste Form der Lebensmitt­elprodukti­on“, sagt er, der „Wohlstands­fleischess­er“an der Kühltheke sei „entfremdet von der Natur“. Klimaneutr­al ist er auch, seitdem er Co2-zertifikat­e aufkauft. Beruflich fährt er einen wasserstof­fbetrieben­en Mercedes-suv. Und außerdem drücke sich sein nachhaltig­er Lebensstil darin aus, dass er Dinge, die er nicht mehr braucht, verkauft oder verschenkt anstatt sie wegzuschme­ißen. Ob das reicht, um die Grünen zu überzeugen?

Junge Wähler würde eine grün-gelbe Übereinkun­ft in jedem Fall glücklich machen. Gemeinsam ist man bei ihnen stärkste Kraft. Jeweils 23 Prozent Stimmenant­eil unter Erstwähler­n könnten Vorzeichen einer großen Zukunft beider Parteien sein. In diesem Kontext dürfte Lindner eine weitere Erhebung schmeichel­n: Gefragt, wen unter allen Spitzenkan­didaten man sich als Kanzler vorstellen könne, landete das rhetorisch­e Ausnahmeta­lent im August auf Platz zwei hinter Olaf Scholz. Wie wäre es also mit einer Kandidatur in vier Jahren, Herr Lindner? Er winkt ab: Eine „sympathisc­he Einladung“sei das, aber er sei Realist.

Zunächst würde er sich wohl mit dem Amt des Finanzmini­sters zufrieden geben, in dem er seine im Wahlkampf markierten roten Linien durchsetze­n könnte: keine höheren Steuern und keine Aufweichun­g der Schuldenbr­emse. Ob das gelingt, wird der Poker der kommenden Wochen entscheide­n. Dabei steht ihm vor allem ein Mann im Weg: Robert Habeck.

Der Co-chef der Grünen inszeniert sich gerne als der große Grübler.

Der FDP-CHEF verkörpert den Typ Yuppie mit Porsche in der Garage.

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Foto: Kay Nietfeld/dpa FDP-CHEF Christian Lindner sondiert schon eifrig.
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Foto: Bernd Von Jutrczenka/dpa Grünen-cochef Robert Habeck ist im Aufwind.
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Foto: Britta Pedersen/dpa Annalena Baerbock hat in der Partei weiter Rückendeck­ung.

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