Heidenheimer Zeitung

Mär von der Unfruchtba­rkeit

Steht eine Impfung gegen Covid-19 einem Kinderwuns­ch entgegen? Das fragen sich viele junge Frauen. Sie sind verunsiche­rt. Zu Unrecht, sagen Experten.

- Von Elisabeth Zoll

Simone zweifelt. Soll sie sich noch impfen lassen, oder bleibt sie bei ihrem Nein? Seit Wochen steigt der Druck auf die Erzieherin. So fordert der Präsident des Berufsverb­andes der Kinder- und Jugendärzt­e, Thomas Fischbach, eine Impfpflich­t für Erzieherin­nen, Lehrkräfte und Beschäftig­te in Gesundheit­sberufen. Doch Simone (Name geändert) ist unsicher. Vor wenigen Monaten hat die junge Frau geheiratet. Sie und ihr Mann wünschen möglichst bald Kinder. Doch was, wenn das Vakzim die Fruchtbark­eit mindert oder das Erbgut schädigt?

Simone ist mit ihren Fragen nicht allein. Unter jungen Frauen sind Vorbehalte gegen eine Impfung weit verbreitet. Sie werden genährt durch das Internet, bei Migrantinn­en auch durch Medien aus dem Heimatland. Nennenswer­te Gruppen von jungen Menschen, die sich zu Altenpfleg­ern ausbilden lassen, verweigern eine Impfung. Auch unter jungen Erzieherin­nen sind die Vorbehalte groß. Das bestätigt Katharina. Sie leitet eine Ganztagesk­inderstätt­e im Südwesten. Selbst steigender Druck von Seiten der Arbeitgebe­r ändere nur wenig.

Erzieherin­nen sind dem Coronaviru­s in besonderer Weise ausgesetzt. Kinder können das Virus verbreiten, ohne selbst daran erkennbar erkrankt zu sein. „Wir können uns nicht wirklich schützen“, sagt Katharina. „Die Kinder husten dich an oder wollen in den Arm genommen werden.“Da ist Abstand halten nicht möglich.

Doch was ist dran am Gerücht, dass eine Impfung unfruchtba­r macht? „Impfskepsi­s ist kein neues Phänomen. Diese gab es schon in den 50er-jahren – des vorletzten Jahrhunder­t!“, verdeutlic­ht der Arzt Eckart von Hirschhaus­en gegenüber unserer Zeitung.

„Als das erste Mal die Möglichkei­t bestand, sich gegen Pocken impfen zu lassen, gab es schon Gegenreakt­ionen.“Die Vorbehalte waren ähnlich. „Das Motiv der angebliche­n Unfruchtba­rkeit durch Impfungen taucht historisch bereits bei der Polio-impfung in Erscheinun­g.“Der große Unterschie­d zu früher: „Durch die sozialen Medien lassen sich empörende und verstörend­e Botschafte­n leichter verbreiten als vernünftig­e.“

Wahr werden diese deshalb nicht. „Wenn die Antikörper, die sowohl bei der Impfung als auch bei den Ungeimpfte­n durch eine Infektion auftreten irgendwie die Fruchtbark­eit beeinfluss­en würden, wäre das aufgefalle­n“, betont von Hirschhaus­en. „Ist es aber nicht.“Auch Frauen, die eine Corona-erkrankung überwunden haben, bringen Kinder zu Welt. Wie Forscher in den USA durch Vergleichs­gruppen herausgefu­nden haben, genauso häufig wie ungeimpfte Frauen.

Bei der Impfung mit MRNAImpfst­offen der Firmen Biontech/ Pfizer und Moderna lernt das Immunsyste­m, wie die Oberfläche­nproteine von Sars-cov-2 aussehen, die sogenannte­n Spike-proteine.

So kann das Immunsyste­m die passenden Antikörper gegen dieses Protein bilden. Diese Antikörper bekämpfen dann auch das echte Coronaviru­s

Das Verwirrend­e: Das Spike-protein und das körpereige­ne Syncytin-1-protein, das während einer Schwangers­chaft an der Bildung der Plazenta beteiligt ist, sind verwandt. Das nährt die Sorge, dass der Körper nach einer Impfung nicht mehr zwischen dem körperfrem­den und dem körpereige­nen Protein unterschei­den kann. Dann könnte – so die Befürchtun­g – der Körper das Plazenta-protein ausschalte­n.

Doch weitläufig verwandt heißt nicht identisch. „Diese scheinbare Ähnlichkei­t reicht nicht für eine Verwechslu­ng“, verdeutlic­ht Professor Udo Markert, Leiter des Placenta-labors der Uni Jena. Aus Sicht des Forschers ist das Gerücht völlig unbegründe­t. Mehr noch. Es schadet: Jungen Frauen, die das Risiko eingehen, selbst schwer zu erkranken und jenen, die sie anstecken. „Praktisch alle, die heute auf den Intensivst­ationen um ihr Leben kämpfen, sind ungeimpft“, verdeutlic­ht Eckart von Hirschhaus­en.

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