Heidenheimer Zeitung

Schubert, mal anders

- Burkhard Schäfer

Schuberts „Unvollende­te“

und „Große“Sinfonien kennt wohl fast jeder, seine frühen Sinfonien fristen im Vergleich dazu ein Schattenda­sein. Wie aufregend gerade diese Werke sein können, zeigt das B’rock Orchestra, das unter der Leitung von René Jacobs alle Schubert-sinfonien für das Label Pentatone (Vertrieb: Naxos) einspielt. Auf dem jetzt erschienen­en Album interpreti­eren die Musiker die Nummern 4 & 5 – auf packende Art und Weise.

Wofür steht „B’rock“in Ihrem Orchester?

René Jacobs:

Das B verweist nach Belgien, weil das Orchester dort gegründet wurde und auch die meisten Musiker von dort kommen. „Rock“ist die zweite Silbe von Barock, weil das Orchester Musik vom 17. bis zum 20. Jahrhunder­t spielt – und zwar jeweils auf den Instrument­en, für die die Musik geschriebe­n wurde. Für Schubert bedeutet das: auf klassische­n Instrument­en. Die Vorteile gegenüber den etwas weiter entwickelt­en romantisch­en und modernen Instrument­en sind: größere Flexibilit­ät und feinere Phrasierun­gskunst der auf Darmsaiten und mit weniger Vibrato spielenden Streicher. Die Naturhörne­r und -trompeten klingen quasi gefährlich­er und aufregende­r. Die dynamische­n Kontraste können „brutaler“herausgear­beitet werden und den Dialog zwischen Streichern und Holzbläser besser dramatisie­ren.

Wie verhalten sich die Sinfonien 4 und 5 zueinander?

Sie bilden, wie auch schon die Nummern 2 und 3, ein Paar, das jeweils den zwiegespal­tenen Schubert offenbart. Die Vierte ist extrem ambitionie­rt, will den Hörer mit ihrer verschwend­erischen Länge verblüffen. Die Fünfte ist dagegen komprimier­ter, demütiger und von der ruhelosen Vierten sozusagen befreit. Nr. 4 ist rebellisch und durch Beethoven geprägt, während Nr. 5 Beethovens „Bizarrerie“abweist und Mozart zu Füßen liegt. Vielleicht kann man sagen, dass 4 den männlichen Schubert zeigt und 5 den weiblichen.

Warum trägt die Vierte den Namen „Tragische“?

Schubert nannte das Werk so, weil c-moll von den Musiktheor­etikern, -wissenscha­ftlern und -liebhabern seiner Zeit als tragisch gedeutet wurde. Am 8. September 1816 schrieb er in sein Tagebuch: „Der Mensch gleicht einem Balle, mit dem Zufalle u. Leidenscha­ft spielen.“Diese Idee drückt er in allen vier Sätzen der Sinfonie aus – und genau das muss im Orchester zu hören sein. Alle Musiker müssen spielen, als ob ihr Leben davon abhängt – weil man nie weiß, was Zufall und Leidenscha­ft mit uns vorhaben.

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