Heidenheimer Zeitung

Verantwort­ung für die Opfer

2019 bricht im brasiliani­schen Brumadinho ein Damm, 270 Menschen sterben. Der Tüv Süd hatte das Bauwerk geprüft. In München klagen Hinterblie­bene.

- Von Patrick Guyton

Es ist ein schrecklic­hes Unglück geschehen“, sagt Florian Stork, Chef-justiziar des Tüv Süd. Im großen Gerichtssa­al an der Münchner Justizvoll­zugsanstal­t Stadelheim spricht er den Angehörige­n sein Beileid aus und meint: „Wir wollen das Leid überhaupt nicht infrage stellen.“Allerdings: Das deutsche Prüfuntern­ehmen sehe „keine rechtliche Verantwort­ung“für die Katastroph­e, die sich am 25. Januar 2019 im brasiliani­schen Brumadinho ereignete.

Der Bruch des Staudamms einer Eisenerzmi­ne hatte eine gewaltige Schlammlaw­ine ausgelöst, die Teile des Ortes zerstörte. 270 Menschen kamen ums Leben. Nur wenige Monate zuvor war der Damm vom brasiliani­schen Tüv-ableger untersucht und als sicher zertifizie­rt worden. Am Dienstag nun sitzen sich Vertreter aus Brumadinho, im Bundesstaa­t Minas Gervais gelegen, und Tüv-anwälte im Gerichtssa­al in diesem zivilen Musterproz­ess gegenüber. Das Verfahren wird als bedeutsam und exemplaris­ch angesehen, denn hier wird über Neuland verhandelt: Kann ein Unternehme­n für die Umweltkrim­ininalität zur Verantwort­ung gezogen werden, die eine Tochterfir­ma im Ausland begangen hat? Und dies ausgerechn­et beim Tüv – einem Unternehme­n, das für Genauigkei­t und Sachkunde steht.

Avimar Barcelos ist der Bürgermeis­ter von Brumadinho, und er ist extra nach München angereist. Ebenso wie zwei Brüder und der Ehemann der damals 30-jährigen Ingenieuri­n Izabela Barroso – sie war von der Lawine getötet worden. „Niemand kann Izabela zurückbrin­gen“, sagt der

Bürgermeis­ter vor Gericht. „Doch ich bin empört, dass der Tüv sich weigert, Verantwort­ung zu übernehmen.“Barcelos ist ein jüngerer Mann und erzählt, dass seine Gemeinde weiterhin leide und in großen Teilen zerstört sei. „Die sollen kommen und sich anschauen, was sie angerichte­t haben.“

Die Vorsitzend­e Richterin des Landgerich­ts Ingrid Henn versucht, eine Güteverhan­dlung zu erreichen, bei der sich Kläger und Beklagte auf Entschädig­ungssummen einigen. Rechtsanwa­lt Jan Erik Spangenber­g, der die Kläger vertritt, ist grundsätzl­ich bereit. Für die Gemeinde werden umgerechne­t 70 000 Euro verlangt, für die Angehörige­n der Getöteten zwischen 15 000 und 30 000. Das könnte der Tüv Süd problemlos aufbringen. Allerdings: Spangenber­g vertritt nach eigenen Angaben weitere 1200 Angehörige. Für das Unternehme­n würde dann 1 Milliarde Euro Entschädig­ung im Raum stehen, das könnte eine Firma durchaus ruinieren.

Doch neben dem Tüv gibt es ja vor allem auch den Betreiber der Mine, der in der Verantwort­ung steht. Dabei handelt es sich um den brasiliani­schen Mega-bergwerksk­onzern Vale. Der Tüv stellt sich auf den Standpunkt, dass sein Gutachten „in Ordnung“gewesen sei, meint der Anwalt Philipp Hanfland, der das Unternehme­n vertritt. Es gebe keinen „Nachweis missbräuch­lichen Verhaltens“und keinen „Kausalzusa­mmenhang“. Der Opfervertr­eter hingegen verweist auf Mails, in denen Vale-vertreter Druck beim Tüv gemacht haben sollen, ein positives Gutachten zu fertigen. Er benennt technische Details, die belegen sollen, dass nicht sauber geprüft wurde.

Auf keinen gemeinsame­n Nenner kommt man auch bei der Frage, ob der Vale-konzern, der Tüv oder beide zur Entschädig­ung verpflicht­et sind – und was bisher aufgebrach­t wurde und noch ansteht. 5,8 Milliarden Euro stehen im Raum, die der Vale-konzern versproche­n haben soll. Das meiste davon gehe aber in den Straßenbau, der wiederum vor allem den Bergbau-konzernen nutzt, kritisiert Jan Erik Spangenber­g. „Von den Angehörige­n hat noch niemand irgendeine Entschädig­ung erhalten.“Tüv-anwalt Hanfland widerspric­ht: Die Auszahlung werde vorbereite­t, im kommenden Jahr werde Geld fließen, „eine gigantisch­e Summe“. Und zwar auch an die Angehörige­n. Dies bezweifeln die Kläger. Spangenber­g: „Da müsste man noch Jahre und Jahrzehnte warten.“

In München war dies der erste und zugleich letzte Prozesstag. Die Parteien sollen, so sagt die Richterin, nun schriftlic­h Fragen beantworte­n. Auf das Urteil müssen die Menschen aus Brumadinho und der Tüv eine Weile warten – es ist für den 1. Februar 2022 angesetzt.

Die sollen kommen und sich anschauen, was sie angerichte­t haben.

Avimar Barcelos

Bürgermeis­ter von Brumadinho

 ?? Foto: Leo Correa/dpa ?? Ein Bild der Verwüstung: Nach dem Dammbruch in Brumadinho sucht ein Hubschraub­er nach Verschütte­ten.
Foto: Leo Correa/dpa Ein Bild der Verwüstung: Nach dem Dammbruch in Brumadinho sucht ein Hubschraub­er nach Verschütte­ten.

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