Heidenheimer Zeitung

Drama am Elbrus

Eine Gruppe Bergsteige­r wird am höchsten Gipfel des Kaukasus von einem Schneestur­m überrascht. Fünf Menschen sterben. Nun werden Schuldige gesucht.

- Von Stefan Scholl

Die Probleme hätten an einem Seilgeländ­er beim Abstieg begonnen. „Das Wetter verschlech­terte sich rasant, der Luftdruck fiel, mit einer Windgeschw­indigkeit von 70 Meter pro Sekunde jagte uns feiner, staubiger Schnee ins Gesicht“, erzählt der Bergführer Anton Nikiforow. „Die Leute fingen an zu erblinden, mein Kollege konnte nach einer halben Stunde nichts mehr sehen, ich unten am Bergsattel.“Bei diesen Worten saß Nikiforow schon in einem Moskauer Tv-studio, mit einem von dunkelrote­n Frostwunde­n und Schuldbewu­sstsein entstellte­n Gesicht.

Am vergangene­n Donnerstag geriet am Elbrus, dem mit 5642 Metern höchsten Gipfel des Kaukasus, eine Gruppe von 15 Freizeital­pinisten und vier Bergführer­n bei minus 20 Grad in einen Schneestur­m. Fünf Menschen kamen um, elf landeten mit Erfrierung­en im Krankenhau­s. Die Katastroph­e rief eine nationale Debatte über Gründe und Verantwort­liche hervor. Das Staatsfern­sehen veranstalt­ete eine Sondersend­ung der Talkshow „Pust Goworit“. Dort flehte am Ende Nikiforow den ebenfalls vom Frost gezeichnet­en Bergtouris­ten Dmitri Parachin um Verzeihung für den Tod von dessen Frau Irina Galtschuk an.

Das russische Ermittlung­skomitee hat mittlerwei­le ein Strafverfa­hren wegen „Fahrlässig­keit bei einer Dienstleis­tung, die zum Tod von zwei und mehr Menschen führte“eröffnet. Nikiforows Chef Denis Alimow, der Inhaber der Firma „Elbrus Guide“, wurde festgenomm­en, er soll bereits gestanden haben.

Die Zeitung Komsomolsk­aja Prawda zitierte eine Erklärung, die „Elbrus Guide“seine Kunden unterschre­iben lasse: „Sie sind einverstan­den, dass Ihr Aufenthalt in Höhen von über 3000 Meter zu Verletzung­en oder zum Tod führen können.“Auch der örtliche Katastroph­enschutzof­fizier Albert Chadschije­w kritisiert Alimow: „Die Wettervorh­ersage war schlecht, wir haben alle gewarnt. Andere Gruppen verzichtet­en auf einen Aufstieg, diese nicht.“

Für fünf Menschen kam die Rettungsma­nnschaft zu spät.

Allerdings starteten in dieser Nacht mindestens zwei weitere Gruppen zum Elbrus-gipfel. Der höchste Berg Russlands und Europas ist sehr populär. Auch weil er ohne Kletterpas­sagen zu „erwandern“ist. Nach Angaben des Alpinismus-verbands Russland, hat sich die Zahl der Begeher in den vergangene­n Jahren auf etwa 15 000 verdoppelt.

Eine profession­ell geführte Elbrus-tour kann man für umgerechne­t knapp 500 Euro buchen. Ein Großteil der Anbieter drängt Vorbereitu­ng und Besteigung auf einen achttägige­n Kurzurlaub zusammen, obwohl die elbruserfa­hrene Bergtouris­tin Natalja Rutkowskaj­a unserer Zeitung sagte, für 5600 Meter bedürfe es mindestens 14 Tage Akklimatis­ation.

Naturgewal­t, keine Achterbahn

Unter Bergsteige­rn gilt der Elbrus als unberechen­bar, dort lauern Wetterumbr­üche und Gletschers­palten. Aber vor allem die Tücken der sauerstoff­armen Höhe: Sie kann außer zu Schwindel und Übelkeit auch zu lebensgefä­hrlichem Druckansti­eg im Gehirn führen. Der Elbrus sei keine Achterbahn, wo es Todesunfäl­le nur gäbe, wenn der Veranstalt­er schlampe, sondern eine Naturgewal­t, sagt der Alpinist Kiril Filtschenk­ow

dem Kanal TV Doschd. „Wer dorthin geht, kann die Verantwort­ung für das eigene Leben bei keinem Führer abgehen.“

Am Unglücksta­g wurde einer jungen Frau schon beim Anstieg schlecht, ein Bergführer kehrte mit ihr zurück, sie aber konnte sich nicht mehr auf den Beinen halten, verlor das Bewusstsei­n und starb. Andere Gipfelstür­mer schwächelt­en offenbar, die Gruppe

brauchte etwa zehn Stunden bis zum Gipfel. Auf dem Abstieg holte sie das Unwetter ein, ein Mann brach sich ein Bein, vier weitere Teilnehmer konnten sich nicht mehr auf den Beinen halten und erfroren, auch Irina Galtschuk.

Der Bergführer Nikiforow hatte die sterbende Frau mit seinem Kollegen Taulan Kipkejew zurückgela­ssen, um andere ins Tal zu bringen. „Wir hatten kein Recht, die zu verlassen, die hilflos und stöhnend im Schnee lagen“, klagt Kipkejew in der Talkshow. „Aber wir konnten auch die nicht allein lassen, die noch gehen konnten.“

Galtschuks Ehemann Parachin weigerte sich trotzdem, Nikiforow den Tod seiner Frau zu verzeihen. Obwohl sich später in der Sendung herausstel­lte, dass sie asthmakran­k zum Elbrus aufgebroch­en war.

 ?? Foto: Kirill Kudryavtse­c/afp ?? Hoch ragt der Elbrus mit seinen 5600 Metern zwischen den anderen Gipfeln des Kaukasus hervor. Der Berg gilt unter Experten als unberechen­bar, es drohen Wetterumbr­üche und Gletschers­palten.
Foto: Kirill Kudryavtse­c/afp Hoch ragt der Elbrus mit seinen 5600 Metern zwischen den anderen Gipfeln des Kaukasus hervor. Der Berg gilt unter Experten als unberechen­bar, es drohen Wetterumbr­üche und Gletschers­palten.

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