Drama am Elbrus
Eine Gruppe Bergsteiger wird am höchsten Gipfel des Kaukasus von einem Schneesturm überrascht. Fünf Menschen sterben. Nun werden Schuldige gesucht.
Die Probleme hätten an einem Seilgeländer beim Abstieg begonnen. „Das Wetter verschlechterte sich rasant, der Luftdruck fiel, mit einer Windgeschwindigkeit von 70 Meter pro Sekunde jagte uns feiner, staubiger Schnee ins Gesicht“, erzählt der Bergführer Anton Nikiforow. „Die Leute fingen an zu erblinden, mein Kollege konnte nach einer halben Stunde nichts mehr sehen, ich unten am Bergsattel.“Bei diesen Worten saß Nikiforow schon in einem Moskauer Tv-studio, mit einem von dunkelroten Frostwunden und Schuldbewusstsein entstellten Gesicht.
Am vergangenen Donnerstag geriet am Elbrus, dem mit 5642 Metern höchsten Gipfel des Kaukasus, eine Gruppe von 15 Freizeitalpinisten und vier Bergführern bei minus 20 Grad in einen Schneesturm. Fünf Menschen kamen um, elf landeten mit Erfrierungen im Krankenhaus. Die Katastrophe rief eine nationale Debatte über Gründe und Verantwortliche hervor. Das Staatsfernsehen veranstaltete eine Sondersendung der Talkshow „Pust Goworit“. Dort flehte am Ende Nikiforow den ebenfalls vom Frost gezeichneten Bergtouristen Dmitri Parachin um Verzeihung für den Tod von dessen Frau Irina Galtschuk an.
Das russische Ermittlungskomitee hat mittlerweile ein Strafverfahren wegen „Fahrlässigkeit bei einer Dienstleistung, die zum Tod von zwei und mehr Menschen führte“eröffnet. Nikiforows Chef Denis Alimow, der Inhaber der Firma „Elbrus Guide“, wurde festgenommen, er soll bereits gestanden haben.
Die Zeitung Komsomolskaja Prawda zitierte eine Erklärung, die „Elbrus Guide“seine Kunden unterschreiben lasse: „Sie sind einverstanden, dass Ihr Aufenthalt in Höhen von über 3000 Meter zu Verletzungen oder zum Tod führen können.“Auch der örtliche Katastrophenschutzoffizier Albert Chadschijew kritisiert Alimow: „Die Wettervorhersage war schlecht, wir haben alle gewarnt. Andere Gruppen verzichteten auf einen Aufstieg, diese nicht.“
Für fünf Menschen kam die Rettungsmannschaft zu spät.
Allerdings starteten in dieser Nacht mindestens zwei weitere Gruppen zum Elbrus-gipfel. Der höchste Berg Russlands und Europas ist sehr populär. Auch weil er ohne Kletterpassagen zu „erwandern“ist. Nach Angaben des Alpinismus-verbands Russland, hat sich die Zahl der Begeher in den vergangenen Jahren auf etwa 15 000 verdoppelt.
Eine professionell geführte Elbrus-tour kann man für umgerechnet knapp 500 Euro buchen. Ein Großteil der Anbieter drängt Vorbereitung und Besteigung auf einen achttägigen Kurzurlaub zusammen, obwohl die elbruserfahrene Bergtouristin Natalja Rutkowskaja unserer Zeitung sagte, für 5600 Meter bedürfe es mindestens 14 Tage Akklimatisation.
Naturgewalt, keine Achterbahn
Unter Bergsteigern gilt der Elbrus als unberechenbar, dort lauern Wetterumbrüche und Gletscherspalten. Aber vor allem die Tücken der sauerstoffarmen Höhe: Sie kann außer zu Schwindel und Übelkeit auch zu lebensgefährlichem Druckanstieg im Gehirn führen. Der Elbrus sei keine Achterbahn, wo es Todesunfälle nur gäbe, wenn der Veranstalter schlampe, sondern eine Naturgewalt, sagt der Alpinist Kiril Filtschenkow
dem Kanal TV Doschd. „Wer dorthin geht, kann die Verantwortung für das eigene Leben bei keinem Führer abgehen.“
Am Unglückstag wurde einer jungen Frau schon beim Anstieg schlecht, ein Bergführer kehrte mit ihr zurück, sie aber konnte sich nicht mehr auf den Beinen halten, verlor das Bewusstsein und starb. Andere Gipfelstürmer schwächelten offenbar, die Gruppe
brauchte etwa zehn Stunden bis zum Gipfel. Auf dem Abstieg holte sie das Unwetter ein, ein Mann brach sich ein Bein, vier weitere Teilnehmer konnten sich nicht mehr auf den Beinen halten und erfroren, auch Irina Galtschuk.
Der Bergführer Nikiforow hatte die sterbende Frau mit seinem Kollegen Taulan Kipkejew zurückgelassen, um andere ins Tal zu bringen. „Wir hatten kein Recht, die zu verlassen, die hilflos und stöhnend im Schnee lagen“, klagt Kipkejew in der Talkshow. „Aber wir konnten auch die nicht allein lassen, die noch gehen konnten.“
Galtschuks Ehemann Parachin weigerte sich trotzdem, Nikiforow den Tod seiner Frau zu verzeihen. Obwohl sich später in der Sendung herausstellte, dass sie asthmakrank zum Elbrus aufgebrochen war.