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Manche Wertzeichen bringen bei Auktionen Millionen ein. Doch die allermeisten Marken sind wenig bis gar nichts wert. Was tun, wenn man zwei Wäschekörbe voller Alben erbt?
Briefmarkenexperten können knallhart sein: „Die Kiste hat noch einen Wert – wenn der Inhalt ausgeleert wird.“Dass der Inhalt aus Briefmarken besteht, spielt für Volker Schilling keine Rolle. Es ist dem Philatelisten herzlich egal, ob Menschen dafür jahrelang mühsam die Wertzeichen von Briefumschlägen ausgerissen oder abgelöst haben. Ob schöne Blumen oder Tiere zu sehen sind. Oder sie einmal Liebesschwüre beförderten. Der Mitarbeiter des Auktionshauses Gärtner in Bietigheim-bissingen schätzt nur ihren Wert – und hat dafür ziemlich wenig Zeit zur Verfügung: „Manchmal“, sagt der gelernte Meteorologe, der sein Hobby zum Beruf gemacht hat, „kommen ganze Paletten davon an“.
Schilling blättert die Briefmarkenalben rasend schnell durch. Er stapelt Propagandakarten aus der Ns-zeit, trennt Briefe mit vielen Marken, Stempeln und Express-klebern von anderen mit nur einer Marke. Wenn etwa ein Brief mit einer Marke nicht verschickt wurde, ist er für ihn „weniger interessant“.
Ob wohl was Außergewöhnlicces dabei ist? „Lustig“sei die Mischung ja schon, bewertet Schilling unsere Sammlung. Aber Wertvolles gebe es eher nicht, macht er alle Hoffnungen des Erben auf Reichtum zunichte.
Die meisten Briefmarken hätten heute keinen oder so gut wie keinen Wert. Es gebe einfach zu viele davon. Was im 19. Jahrhundert eine Freizeitbeschäftigung weniger großbürgerlicher Honoratioren war, vor 100 Jahren als Sammelleidenschaft einiger galt, entdeckten viele Deutschen nach 1945 als Hobby. Mehr als 2 Millionen Briefmarken-abos der Post lieferten etwa in den 1970er Jahren Marken in deutsche Wohnzimmer. „Deutschland ist ein Sammlerland“, sagt Schilling. Nachkriegsmarken seien in großer Menge auf dem Markt.
Entsprechend heftig ist oft die Enttäuschung von Besitzern oder
Es stimmt nicht, dass Briefmarkensammeln out ist. Stereotypes Sammeln aber schon. Wolfgang Lang
deren Erben, die wäschekörbeweise Alben vorbeibringen. „Der Wert mancher Sammlungen aus der Nachkriegszeit liegt sogar deutlich unter dem Preis, den die Sammler dafür einst zahlen mussten“, sagt Christoph Gärtner. Der heutige Geschäftsführer hat mit 15 D-mark Startkapital eines der größten Auktionshäuser für Briefmarken weltweit gegründet. Initialzündung war 1974 eine Zigarrenschachtel mit Briefmarken von seinem Opa. Heute erzielen seine 40 Angestellte 25 Millionen Euro Umsatz im Jahr mit drei
Auktionen und den anschließenden Verkäufen. Knapp 180 000 Adressen stehen in seiner Datenbank. Bei manchen Versteigerungen kommen 30 000 Posten unter den Hammer, sagt Gärtner, „eine irre Menge“.
Kostbarstes Exponat war bislang eine Rote Mauritius – Porto für den Versand einer Einladung zu einem Kostümball vor 174 Jahren. Sie wechselte für 8,1 Millionen Euro den Besitzer. Aber auch eine Sammlung skurriler Whisky-flaschen, eine von Picasso bemalte Ansichtskarte und ein Bogen der ersten deutschen Briefmarke „Schwarze Einser“brachten viel ein. Das erste Lurchi-heft der einst in Kornwestheim ansässigen Schuhfabrik Salamander von 1937 war einem Sammler 12 200 Euro wert. Eine Briefmarke mit der Schauspielerin Audrey Hepburn 158 000 Euro. Bis zu einem Viertel vom Erlös gehen jeweils an das Auktionshaus.
„Je älter, desto interessanter“, fasst Reinhard Küchler den Wert von Briefmarken zusammen. Der Geschäftsführer vom Bund Deutscher Philatelisten ist selbst aber „weg von Briefmarken“und sammelt stattdessen sogenannte Belege: Briefe und Postkarten. Diese erzählen Geschichten und machen Zeitgeschichte begreifbarer. Etwa die eines Mannes, der seinem Vater beichtet, dass es mit der Reise nach Südamerika doch nichts wurde und er in der Französischen Fremdenlegion gelandet sei. Notgeld-scheine aus Württemberg vor 100 Jahren zeigen den damaligen Metallmangel.
Wolfgang Lang, Präsident des Händerverbands, sagt: „Es stimmt nicht, dass Briefmarkensammeln out ist, das stereotype Sammeln aber schon.“Soziale Philatelie heißt das. Das Pflichtbewusstsein von einst – Katalog kaufen, Marken sammeln, Zacken zählen, abhaken, fertig – gebe es nur noch selten. Es werde freier gesammelt, etwa nach Feuerwehr- oder Traktoren-motiven. Marvel-comic-motive könnten ein Thema sein. Aber auch Schiffspoststempel, Feldpost und Briefmarken russischer Kosmonauten.
Auktionator Christoph Gärtner hält den Umschlag mit der „Roten Mauritius“in der Hand.
Chinesische Briefmarken sind derzeit beliebt. Das liegt auch daran, dass die Chinesen selbst Briefmarken sammeln. Die 1968 herausgegebene Marke „Das ganze Land ist rot“zeigt Mao und China in rot, Taiwan wird aber in Weiß abgebildet. Weil die Marke vom Postministerium schnell vom Markt genommen wurde, ist sie selten, ein Exemplar erzielte bei einer Auktion einen Preis von 2 Millionen Us-dollar. Auch in unserer mitgebrachten Sammlung sind einige chinesische Marken, die von Gärtner auf 200 Euro geschätzt werden.
Die Stiftung Warentest empfiehlt beim Versuch, den Wert einer Sammlung einzuschätzen, zunächst einen Besuch im Online-auktionshaus Ebay oder dem Michel-katalog, den es online gibt. Allerdings liegen die Preise dort meist deutlich unter dem Katalogwert, wissen die Verbraucherschützer. Gebe es Hinweise auf wertvolle Exemplare, sollte ein Philatelistenverein über den Bund deutscher Philatelisten oder ein Händler kontaktiert werden. Allerdings könnten Sammler oder Verkäufer selbst Interesse haben und deren Wert deutlich zu tief ansetzen. Deshalb sei eine zweite Meinung wichtig. Ein Sachverständiger kostet aber Geld.
Auktionshäuser haben nach Ansicht der Verbraucherschützer Interesse daran, die Marken bestmöglich zu verkaufen, weil sie eine Provision vom Verkaufswert bekommen. Sie nehmen aber nur bestimmte Sammelobjekte in ihre Versteigerung mit auf.
Wer nicht wisse, wohin mit seinen weniger wertvollen Marken, könne sie immer noch der Briefmarkenstelle Bethel geben, die Behinderte mit dem Sortieren beschäftigt.
Als Anlageobjekt seien Briefmarken zu spekulativ, urteilt die Ing-bank und sieht im Sammeln „eher ein schönes Hobby als eine lukrative Wertanlage“.„niemand kann das Ergebnis von Auktionen vorhersehen“, sagt auch Lang. „Man geht ja auch nicht Fußballspielen und fragt sich, was dabei wohl finanziell herausspringt.“