Heidenheimer Zeitung

Noch nicht abgestempe­lt

Manche Wertzeiche­n bringen bei Auktionen Millionen ein. Doch die allermeist­en Marken sind wenig bis gar nichts wert. Was tun, wenn man zwei Wäschekörb­e voller Alben erbt?

- Präsident Händlerver­band Von Thomas Veitinger

Briefmarke­nexperten können knallhart sein: „Die Kiste hat noch einen Wert – wenn der Inhalt ausgeleert wird.“Dass der Inhalt aus Briefmarke­n besteht, spielt für Volker Schilling keine Rolle. Es ist dem Philatelis­ten herzlich egal, ob Menschen dafür jahrelang mühsam die Wertzeiche­n von Briefumsch­lägen ausgerisse­n oder abgelöst haben. Ob schöne Blumen oder Tiere zu sehen sind. Oder sie einmal Liebesschw­üre beförderte­n. Der Mitarbeite­r des Auktionsha­uses Gärtner in Bietigheim-bissingen schätzt nur ihren Wert – und hat dafür ziemlich wenig Zeit zur Verfügung: „Manchmal“, sagt der gelernte Meteorolog­e, der sein Hobby zum Beruf gemacht hat, „kommen ganze Paletten davon an“.

Schilling blättert die Briefmarke­nalben rasend schnell durch. Er stapelt Propaganda­karten aus der Ns-zeit, trennt Briefe mit vielen Marken, Stempeln und Express-klebern von anderen mit nur einer Marke. Wenn etwa ein Brief mit einer Marke nicht verschickt wurde, ist er für ihn „weniger interessan­t“.

Ob wohl was Außergewöh­nlicces dabei ist? „Lustig“sei die Mischung ja schon, bewertet Schilling unsere Sammlung. Aber Wertvolles gebe es eher nicht, macht er alle Hoffnungen des Erben auf Reichtum zunichte.

Die meisten Briefmarke­n hätten heute keinen oder so gut wie keinen Wert. Es gebe einfach zu viele davon. Was im 19. Jahrhunder­t eine Freizeitbe­schäftigun­g weniger großbürger­licher Honoratior­en war, vor 100 Jahren als Sammelleid­enschaft einiger galt, entdeckten viele Deutschen nach 1945 als Hobby. Mehr als 2 Millionen Briefmarke­n-abos der Post lieferten etwa in den 1970er Jahren Marken in deutsche Wohnzimmer. „Deutschlan­d ist ein Sammlerlan­d“, sagt Schilling. Nachkriegs­marken seien in großer Menge auf dem Markt.

Entspreche­nd heftig ist oft die Enttäuschu­ng von Besitzern oder

Es stimmt nicht, dass Briefmarke­nsammeln out ist. Stereotype­s Sammeln aber schon. Wolfgang Lang

deren Erben, die wäschekörb­eweise Alben vorbeibrin­gen. „Der Wert mancher Sammlungen aus der Nachkriegs­zeit liegt sogar deutlich unter dem Preis, den die Sammler dafür einst zahlen mussten“, sagt Christoph Gärtner. Der heutige Geschäftsf­ührer hat mit 15 D-mark Startkapit­al eines der größten Auktionshä­user für Briefmarke­n weltweit gegründet. Initialzün­dung war 1974 eine Zigarrensc­hachtel mit Briefmarke­n von seinem Opa. Heute erzielen seine 40 Angestellt­e 25 Millionen Euro Umsatz im Jahr mit drei

Auktionen und den anschließe­nden Verkäufen. Knapp 180 000 Adressen stehen in seiner Datenbank. Bei manchen Versteiger­ungen kommen 30 000 Posten unter den Hammer, sagt Gärtner, „eine irre Menge“.

Kostbarste­s Exponat war bislang eine Rote Mauritius – Porto für den Versand einer Einladung zu einem Kostümball vor 174 Jahren. Sie wechselte für 8,1 Millionen Euro den Besitzer. Aber auch eine Sammlung skurriler Whisky-flaschen, eine von Picasso bemalte Ansichtska­rte und ein Bogen der ersten deutschen Briefmarke „Schwarze Einser“brachten viel ein. Das erste Lurchi-heft der einst in Kornwesthe­im ansässigen Schuhfabri­k Salamander von 1937 war einem Sammler 12 200 Euro wert. Eine Briefmarke mit der Schauspiel­erin Audrey Hepburn 158 000 Euro. Bis zu einem Viertel vom Erlös gehen jeweils an das Auktionsha­us.

„Je älter, desto interessan­ter“, fasst Reinhard Küchler den Wert von Briefmarke­n zusammen. Der Geschäftsf­ührer vom Bund Deutscher Philatelis­ten ist selbst aber „weg von Briefmarke­n“und sammelt stattdesse­n sogenannte Belege: Briefe und Postkarten. Diese erzählen Geschichte­n und machen Zeitgeschi­chte begreifbar­er. Etwa die eines Mannes, der seinem Vater beichtet, dass es mit der Reise nach Südamerika doch nichts wurde und er in der Französisc­hen Fremdenleg­ion gelandet sei. Notgeld-scheine aus Württember­g vor 100 Jahren zeigen den damaligen Metallmang­el.

Wolfgang Lang, Präsident des Händerverb­ands, sagt: „Es stimmt nicht, dass Briefmarke­nsammeln out ist, das stereotype Sammeln aber schon.“Soziale Philatelie heißt das. Das Pflichtbew­usstsein von einst – Katalog kaufen, Marken sammeln, Zacken zählen, abhaken, fertig – gebe es nur noch selten. Es werde freier gesammelt, etwa nach Feuerwehr- oder Traktoren-motiven. Marvel-comic-motive könnten ein Thema sein. Aber auch Schiffspos­tstempel, Feldpost und Briefmarke­n russischer Kosmonaute­n.

Auktionato­r Christoph Gärtner hält den Umschlag mit der „Roten Mauritius“in der Hand.

Chinesisch­e Briefmarke­n sind derzeit beliebt. Das liegt auch daran, dass die Chinesen selbst Briefmarke­n sammeln. Die 1968 herausgege­bene Marke „Das ganze Land ist rot“zeigt Mao und China in rot, Taiwan wird aber in Weiß abgebildet. Weil die Marke vom Postminist­erium schnell vom Markt genommen wurde, ist sie selten, ein Exemplar erzielte bei einer Auktion einen Preis von 2 Millionen Us-dollar. Auch in unserer mitgebrach­ten Sammlung sind einige chinesisch­e Marken, die von Gärtner auf 200 Euro geschätzt werden.

Die Stiftung Warentest empfiehlt beim Versuch, den Wert einer Sammlung einzuschät­zen, zunächst einen Besuch im Online-auktionsha­us Ebay oder dem Michel-katalog, den es online gibt. Allerdings liegen die Preise dort meist deutlich unter dem Katalogwer­t, wissen die Verbrauche­rschützer. Gebe es Hinweise auf wertvolle Exemplare, sollte ein Philatelis­tenverein über den Bund deutscher Philatelis­ten oder ein Händler kontaktier­t werden. Allerdings könnten Sammler oder Verkäufer selbst Interesse haben und deren Wert deutlich zu tief ansetzen. Deshalb sei eine zweite Meinung wichtig. Ein Sachverstä­ndiger kostet aber Geld.

Auktionshä­user haben nach Ansicht der Verbrauche­rschützer Interesse daran, die Marken bestmöglic­h zu verkaufen, weil sie eine Provision vom Verkaufswe­rt bekommen. Sie nehmen aber nur bestimmte Sammelobje­kte in ihre Versteiger­ung mit auf.

Wer nicht wisse, wohin mit seinen weniger wertvollen Marken, könne sie immer noch der Briefmarke­nstelle Bethel geben, die Behinderte mit dem Sortieren beschäftig­t.

Als Anlageobje­kt seien Briefmarke­n zu spekulativ, urteilt die Ing-bank und sieht im Sammeln „eher ein schönes Hobby als eine lukrative Wertanlage“.„niemand kann das Ergebnis von Auktionen vorhersehe­n“, sagt auch Lang. „Man geht ja auch nicht Fußballspi­elen und fragt sich, was dabei wohl finanziell herausspri­ngt.“

 ?? Foto: Fredrik Von Erichsen/dpa ?? Die erste deutsche Briefmarke „Der schwarze Einser“von 1849 ist schon einiges wert, vor allem wenn er Druckfehle­r hat. Den kompletten Schalt-doppelboge­n gibt es aber nur einmal. Er brachte bei einer Auktion mehr als 1,5 Millionen Euro ein.
Foto: Fredrik Von Erichsen/dpa Die erste deutsche Briefmarke „Der schwarze Einser“von 1849 ist schon einiges wert, vor allem wenn er Druckfehle­r hat. Den kompletten Schalt-doppelboge­n gibt es aber nur einmal. Er brachte bei einer Auktion mehr als 1,5 Millionen Euro ein.

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