Lese im Katastrophengebiet
Die Sturzflut im Sommer hat großen Schaden auch bei den regionalen Winzern verursacht. Aber der Zusammenhalt ist groß.
Eva Lanzerath schneidet gut gelaunt mit ihrer Rebschere im Weinberg über der Ahr Trauben ab. „Die Weinlese ist ein besonderes Feeling, das darf für mich in keinem Jahr fehlen, auch nicht in diesem Corona- und Flutjahr.“Die angehende Grundschullehrerin hat gerade ihre Amtszeit als 72. Deutsche Weinkönigin beendet. Sie stammt aus dem Ahrtal, in dem am 14. und 15. Juli eine Sturzflut nach extremem Starkregen 133 Menschen getötet hat. 65 der 68 Weinbaubetriebe in dem als Rotweinparadies bekannten Flusstal sind von dem Hochwasser betroffen. Ihr Gesamtschaden wird auf 160 Millionen Euro geschätzt. Dennoch läuft die Weinernte auf Hochtouren.
Laut dem Geschäftsführer des Weinbauverbands Ahr, Knut Schubert, kostet der Aufbau eines neuen Weinbaubetriebs 1,2 bis 1,5 Millionen Euro. Bei zerstörten Rebflächen schlügen Neuanpflanzungen mit rund 60 000 Euro pro Hektar zu Buche, zudem könnten in den ersten drei Jahren noch keine Trauben gelesen werden. Die meisten Ahrwinzer haben nach Schuberts Worten keine Elementarschadenversicherung und hofften nun auf die Wiederaufbauhilfe von Bund und Ländern. Viele beschädigte Winzerbetriebe liegen unten im Flusstal. Ihre Rebflächen sind dagegen als höhere und Steillagen in dem Tal oft nicht beeinträchtigt worden.
Allerdings erwartet er wegen des „insgesamt zu feuchten Wetters in diesem Jahr“eine eher unterdurchschnittliche Erntemenge. Das Deutsche Weininstitut hat kürzlich auch bundesweit auf regenbedingten regionalen Pilzbefall hingewiesen.
Bundesagrarministerin Julia Klöckner (CDU), vor 25 Jahren selbst Deutsche Weinkönigin, hat von einer großen Solidarität der Winzer aus allen Regionen Deutschlands und der ganzen Welt gesprochen. Von überall aus der Branche kam Hilfe. Eva Lanzerath sagt: „Die Keller im Ahrtal sind größtenteils wieder hergerichtet oder die Winzer haben sich zusammengeschlossen und helfen sich gegenseitig oder haben Hallen angemietet. Hier kennt jeder jeden.“
Die Sturzflut im Juli hat auch Tausende Fahrzeuge im Ahrtal beschädigt. Laut Schubert haben mobile Werkstätten etliche Winzertraktoren repariert, vor allem ältere Modelle ohne viel Elektronik: „Da ist Unglaubliches geleistet worden.“Auch Weinpressen und Etikettiermaschinen seien instandgesetzt oder als Ersatz verliehen worden.
Orignalverschlammte Etiketten
Hinzu kommen mehrere Spendenaktionen für Weingüter und Restaurants. Etwa die Hilfsaktion „Flutwein“unter anderem des Ahrwein-vereins mit örtlichen Gastronomen. Rund 4,5 Millionen Euro kamen dabei nach Angaben der Initiatoren bis Anfang Oktober zusammen. Fast 50 000 Unterstützer bestellten demnach etwa 175 000 Flaschen, außen „originalverschlammt“. Jede Flasche sei somit ein Unikat.
Und die Stimmung jetzt bei der Weinlese im Katastrophengebiet? Die Ex-weinkönigin Eva Lanzerath zeigt sich positiv überrascht. Dazu trügen die vielen freiwilligen Helfer bei. Kürzlich habe ihrer Familie eine 25-köpfige Gruppe aus Köln geholfen. „Sie hatten kaum Ahnung vom Weinbau, aber großes Interesse“, berichtet die 23-Jährige. „Die hatten viel Spaß. Wir haben nachher Wein verkostet und jeder hat eine Flasche mitgenommen.“