Heidenheimer Zeitung

Eine Küste voller Klippen

Heute treffen sich Grüne und Union zu Vorsondier­ungen. Dann ist die erste Runde abgeschlos­sen. Wie geht es weiter?

- Von Igor Steinle und Dorothee Torebko

Gut eine Woche sind die Bundestags­wahlen her. Seitdem die Parteien miteinande­r sondieren, gibt es fast täglich neue Metaphern für die Gespräche zwischen ihnen. Vom Brücken bauen war bereits die Rede, von Schrauben, die gerade gesetzt sein müssen, und immer gehe es konstrukti­v zu. Der langen Reihe an Beschreibu­ngen für die Vorsondier­ungsgesprä­che hat Volker Wissing am Sonntag nun eine neue hinzugefüg­t: Klar sei, dass es Klippen gebe in den Gesprächen mit der SPD, sagte der Fdp-generalsek­retär nach dem ersten Zusammentr­effen mit den Sozialdemo­kraten am Sonntagnac­hmittag.

Kurz darauf setzte man sich mit der Union zusammen. Da gab es anscheinen­d auch noch Klippen, aber weit weniger als bei den Sozialdemo­kraten. Vor allem in der Steuerpoli­tik gebe es Differenze­n zu überwinden, so Wissing am nächsten Tag im ZDF. Die Frage, die sich das ganze Land deswegen stellt, lautet: Ist die Steuer-klippe auf dem Weg zu einer Ampel-regierung überwindba­r?

Erschweren­d dürfte hier wirken, dass es zwischen FDP und SPD keine etablierte­n Kommunikat­ionskanäle gibt. Während liberale Abgeordnet­e sich regelmäßig mit Grünen austausche­n, gibt es solche Gesprächsk­reise mit der SPD nicht. Vertrauen muss neu aufgebaut, Verständni­s füreinande­r geschaffen werden.

Äußerungen von Spd-vorstandsm­itglied Kevin Kühnert, der den Fdp-vorsitzend­en Christian Lindner als „Luftikus“bezeichnet­e oder von SPD-CHEF Norbert Walter-borjans, der von liberaler „Voodoo-ökonomie“sprach, sind hierfür sicherlich nicht hilfreich. Walter-borjans ist, nachdem Kanzlerkan­didat

Olaf Scholz seinen Parteikoll­egen Mäßigung auferlegte, zwar zurückgeru­dert: Man sei noch im Wahlkampfm­odus gewesen. In der FDP wurden die Äußerungen aber durchaus als Zeichen gedeutet, was in einer Koalition mit der SPD auf sie zukommen könnte.

Ähnliche Bedenken gibt es bei den Liberalen allerdings auch gegenüber der Union. Offiziell heißt es zwar stets, es gehe um Inhalte, nicht um Personen. Das personelle Tohuwabohu rund um den Cdu-chefposten relativier­t jedoch die inhaltlich­e Nähe. Dieser müsse man auch die Solidität und

Verlässlic­hkeit eines möglichen Koalitions­partners gegenübers­tellen, heißt es in der Fraktion.

„CDU und CSU müssen klären, ob sie wirklich eine Regierung führen wollen“, sagte auch Lindner und kritisiert­e zugleich Überlegung­en in der Union, erst mal abzuwarten, ob Verhandlun­gen von Grünen und FDP mit der SPD womöglich scheitern würden. Dies könne man dem Land nicht antun; eine zügige Regierungs­bildung sei nötig.

Wie es auf dem Weg dahin weitergeht, wird man vielleicht am Mittwoch erfahren. Die FDP will die Gespräche zwischen Union und Grünen am Dienstagvo­rmittag abwarten und sich dann noch mal mit den Grünen über weitere Schritte rückkoppel­n. Beide Parteien könnten miteinande­r absprechen, ob sie mit einem Partner, also SPD oder Union, weiter sondieren wollen. Eine weitere Möglichkei­t: Es werden parallele

Dreiergesp­räche mit Rot und

Schwarz geführt.

Auf Letzteres könnten etwa die Äußerungen Lindners hinweisen, der mit der Union „ernsthafte“Gespräche führen will. Aber auch Hamburgs Zweite Bürgermeis­terin Katharina Fegebank (Grüne) hat ihre Partei davor gewarnt, sich frühzeitig auf die SPD als Regierungs­partner festzulege­n. Was damit zu tun haben könnte, dass sie in der Hansestadt bereits mit Scholz verhandelt hat und hautnah erleben konnte, dass er ein gewiefter Taktiker ist. Wichtig in den Gesprächen mit Scholz sei, „ausgeschla­fen zu sein“und „ein Pokerface“aufzusetze­n. Sie mahnte zudem, nicht zu vergessen, dass es eben auch Alternativ­en zur Ampel gebe – Jamaika.

Allerdings sind auch zwischen Grünen und Union die Klippen zuletzt größer geworden. So gehe man zwar „offen“in die Gespräche mit CDU und CSU, sagte Parteichef­in Annalena Baerbock am Wochenende in Berlin. Allerdings ist man in der Fraktion und Partei nicht nur irritiert über das Personal-chaos in der Union. Auch das Gebaren führender Unionspoli­tiker, die im Wahlkampf noch scharf vor einem links-grünen Bündnis gewarnt hatten, nur um sich nach den ersten Hochrechnu­ngen an die Grünen anzuschmie­gen, sorgte für Irritation­en. Diese 180-Grad-wende habe Vertrauen gekostet, sagte jüngst Fraktionsv­ize Konstantin von Notz.

Gegen eine grün-gelb-schwarze Koalition spricht zudem, dass die Basis querschieß­en könnte. Die Grünen wollen ihre Parteimitg­lieder nicht nur über einen Koalitions­vertrag und Ministerpo­sten abstimmen lassen. Auch die Aufnahme von Koalitions­gesprächen muss laut einem Parteibesc­hluss von einem Parteitag abgesegnet werden. Dieser könnte einerseits als Druckmitte­l für Sondierung­en eingesetzt werden, um möglichst viele eigene Inhalte durchsetze­n zu können.

Anderersei­ts könnte er die Grünen aber auch in die Bredouille bringen, sollte es am Ende doch auf Jamaika hinauslauf­en. Denn die Parteibasi­s favorisier­t ganz klar ein Ampelbündn­is. Bereits am Wochenende will die Grüne Jugend ein Zeichen setzen und auf einem Bundeskong­ress gegen eine Jamaika-koalition votieren. „Es gibt nicht einen Grund für Jamaika – aber viele Gründe dagegen. Für uns kommt eine Jamaika-koalition nicht in Frage“, heißt es in einem Dringlichk­eitsantrag des Bundesvors­tands.

Am Mittwoch könnten sich Grüne und FDP über weitere Schritte rückkoppel­n.

 ?? Foto: Michael Kappeler/dpa ?? Fdp-generalsek­retär Volker Wissing sah nach ersten Gesprächen mit der SPD noch Klippen, die zu überwinden seien.
Foto: Michael Kappeler/dpa Fdp-generalsek­retär Volker Wissing sah nach ersten Gesprächen mit der SPD noch Klippen, die zu überwinden seien.

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