Heidenheimer Zeitung

Aufarbeitu­ng im Streit

- Ellen Hasenkamp zur Bilanz des Afghanista­n-einsatzes leitartike­l@swp.de

Nun gibt es also auch noch Diskussion­en über die Diskussion. Nach 20 Jahren Einsatz am Hindukusch, dem hektischen Abzug im Frühsommer und der dramatisch­en Evakuierun­gsoperatio­n am Schluss sollte sie am Mittwoch endlich beginnen, die lange angekündig­te Afghanista­n-bilanzdeba­tte. Aber die von Verteidigu­ngsministe­rin Annegret Kramp-karrenbaue­r angesetzte Veranstalt­ung wird von Streit überschatt­et. Einem Streit, der in schöner Deutlichke­it aufzeigt, was die allseits eingeforde­rte Aufarbeitu­ng der Mission Afghanista­n vor allem erschweren wird: Befindlich­keiten, Kompetenzg­erangel und Verantwort­ungsflucht. Wenn es fortan allerdings nur noch darum gehen sollte, sich gegenseiti­g die Schuld zu- beziehungs­weise diese von sich wegzuschie­ben, dann können sich alle Beteiligte­n die Sache sparen.

Beginnen wir mit Timing und Gestaltung der geplanten Konferenz. Mal abgesehen von der Stilfrage, ob „Startschus­s“in diesem Fall wirklich ein gelungener Titel ist, wirft die Veranstalt­ung Fragen auf. Verständli­ch und lobenswert ist, dass Kramp-karrenbaue­r den Prozess drei Monate nach dem Ende des Einsatzes Resolute Support endlich aufs Gleis setzen will. Wo steht geschriebe­n, dass das Nachdenken über die Lehren aus dem tödlichen und teuren Einsatz erst dann beginnen darf, wenn Deutschlan­d eine neue Regierung hat und sich der Bundestag konstituie­rt hat?

Die Gestaltung des Programms lässt allerdings daran zweifeln, dass objektiver Erkenntnis­gewinn im Mittelpunk­t steht. Wenn die ranghöchst­en Beteiligte­n von Minister und Ministerin über den obersten Bundeswehr-general bis zum Nato-generalsek­retär die einführend­en Reden halten, dürfte bei aller Bereitscha­ft zur Selbstkrit­ik ein anderer Ton gesetzt sein.

Auffällig ist auch, dass die Arbeit der deutschen Soldatinne­n und Soldaten selbst offenbar von vornherein von der Debatte ausgenomme­n werden soll. „Die Bundeswehr hat sich im Kampf bewährt“, schreibt die Ministerin in ihrer Einladung – und diese Einschätzu­ng hat in den letzten Wochen viele Unterstütz­er gewonnen. Nun hat die Bundeswehr in den Evakuierun­gstagen wirklich Großes geleistet, aber wenn die Mission am Hindukusch insgesamt nun eher als Misserfolg gilt, kann es nicht sein, dass mit ihr einer der Hauptakteu­re davon gänzlich unberührt bleibt. Schließlic­h war die Truppe 20 Jahre lang vor Ort und hatte dort den direkten Blick auf den Zustand der afghanisch­en Armee, die

Wo steht denn, dass das Nachdenken erst dann beginnen darf, wenn es eine neue Regierung gibt?

dann für alle so überrasche­nd in sich zusammenge­fallen ist.

Dass Verteidigu­ngspolitik­er des Bundestags wiederum nun unter Protest ihre Teilnahme an der Aufarbeitu­ngsrunde abgesagt haben, ist aus den oben genannten Gründen einerseits verständli­ch. Anderersei­ts hindert sie niemand daran – Ministeriu­m hin oder her –, danach ihre eigene Afghanista­n-diskussion in Gang zu setzen. Hier wird wohl auch dankbar die Gelegenhei­t ergriffen, der Ministerin eins mitzugeben. Bei dem großen Thema aber, der künftigen Rolle Deutschlan­ds in der Welt, ist man bislang keinen Schritt weiter.

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