Aufarbeitung im Streit
Nun gibt es also auch noch Diskussionen über die Diskussion. Nach 20 Jahren Einsatz am Hindukusch, dem hektischen Abzug im Frühsommer und der dramatischen Evakuierungsoperation am Schluss sollte sie am Mittwoch endlich beginnen, die lange angekündigte Afghanistan-bilanzdebatte. Aber die von Verteidigungsministerin Annegret Kramp-karrenbauer angesetzte Veranstaltung wird von Streit überschattet. Einem Streit, der in schöner Deutlichkeit aufzeigt, was die allseits eingeforderte Aufarbeitung der Mission Afghanistan vor allem erschweren wird: Befindlichkeiten, Kompetenzgerangel und Verantwortungsflucht. Wenn es fortan allerdings nur noch darum gehen sollte, sich gegenseitig die Schuld zu- beziehungsweise diese von sich wegzuschieben, dann können sich alle Beteiligten die Sache sparen.
Beginnen wir mit Timing und Gestaltung der geplanten Konferenz. Mal abgesehen von der Stilfrage, ob „Startschuss“in diesem Fall wirklich ein gelungener Titel ist, wirft die Veranstaltung Fragen auf. Verständlich und lobenswert ist, dass Kramp-karrenbauer den Prozess drei Monate nach dem Ende des Einsatzes Resolute Support endlich aufs Gleis setzen will. Wo steht geschrieben, dass das Nachdenken über die Lehren aus dem tödlichen und teuren Einsatz erst dann beginnen darf, wenn Deutschland eine neue Regierung hat und sich der Bundestag konstituiert hat?
Die Gestaltung des Programms lässt allerdings daran zweifeln, dass objektiver Erkenntnisgewinn im Mittelpunkt steht. Wenn die ranghöchsten Beteiligten von Minister und Ministerin über den obersten Bundeswehr-general bis zum Nato-generalsekretär die einführenden Reden halten, dürfte bei aller Bereitschaft zur Selbstkritik ein anderer Ton gesetzt sein.
Auffällig ist auch, dass die Arbeit der deutschen Soldatinnen und Soldaten selbst offenbar von vornherein von der Debatte ausgenommen werden soll. „Die Bundeswehr hat sich im Kampf bewährt“, schreibt die Ministerin in ihrer Einladung – und diese Einschätzung hat in den letzten Wochen viele Unterstützer gewonnen. Nun hat die Bundeswehr in den Evakuierungstagen wirklich Großes geleistet, aber wenn die Mission am Hindukusch insgesamt nun eher als Misserfolg gilt, kann es nicht sein, dass mit ihr einer der Hauptakteure davon gänzlich unberührt bleibt. Schließlich war die Truppe 20 Jahre lang vor Ort und hatte dort den direkten Blick auf den Zustand der afghanischen Armee, die
Wo steht denn, dass das Nachdenken erst dann beginnen darf, wenn es eine neue Regierung gibt?
dann für alle so überraschend in sich zusammengefallen ist.
Dass Verteidigungspolitiker des Bundestags wiederum nun unter Protest ihre Teilnahme an der Aufarbeitungsrunde abgesagt haben, ist aus den oben genannten Gründen einerseits verständlich. Andererseits hindert sie niemand daran – Ministerium hin oder her –, danach ihre eigene Afghanistan-diskussion in Gang zu setzen. Hier wird wohl auch dankbar die Gelegenheit ergriffen, der Ministerin eins mitzugeben. Bei dem großen Thema aber, der künftigen Rolle Deutschlands in der Welt, ist man bislang keinen Schritt weiter.