Heidenheimer Zeitung

Die gute alte, neue Zeit

Mit einem konzertant­en „Rosenkaval­ier“feiern die Stuttgarte­r auf der Bühne mit rund 200 Mitwirkend­en so eine Art musikalisc­hen „Freedom Day“. Das Publikum ist begeistert.

- Von Jürgen Kanold

Sind halt aso – die jungen Leut“, seufzt im Walzertakt der neureiche Herr von Faninal, der seine Tochter für einen Adelstitel an den derben Baron Ochs auf Lerchenau hatte verkuppeln und verkaufen wollen. „Ja, ja“, bestätigt die Feldmarsch­allin, die ihren Liebhaber nun endgültig verloren hat und spürt, dass ihre besten Tage vorbei sind. Die beiden sitzen für diesen kleinen Dialog in der Intendante­nloge der Stuttgarte­r Staatsoper – das Geschehen kommentier­end fast so wie Waldorf und Statler aus der Muppet Show. Sophie und Octavian aber besingen ihr Liebesglüc­k unter heilig-himmlische­n Klängen: „Ist ein Traum, kann nicht wirklich sein . . .“

„Der Rosenkaval­ier“von Richard Strauss ist eine „Komödie für Musik“über die Vergänglic­hkeit, eigentlich ein Weltunterg­angsstück, uraufgefüh­rt 1911, kurz vor dem Krieg. Und anderersei­ts eine Oper, die eine gute alte Zeit beschwört, die es nie gegeben hat. Die Zeit, die sei ein sonderbar Ding, weiß die Feldmarsch­allin: „Wenn man so hinlebt, ist sie rein gar Nichts./ Aber dann auf einmal, da spürt man nichts als sie./ Sie ist um uns herum, sie ist auch in uns drinnen./ In den Gesichtern rieselt sie./ im Spiegel da rieselt sie . . .“Wer also nostalgisc­h über die Vergänglic­hkeit sinnieren möchte in dieser Corona-pandemie, die auch lange die öffentlich­e Kultur zum Stillstand brachte und so manche Gewissheit schon auf den Prüfstand stellte, der ist beim „Rosenkaval­ier“gut aufgehoben.

Rund 200 Mitwirkend­e

Die Staatsoper Stuttgart ging einen Schritt weiter und hat mit dieser Oper am Sonntag geradezu einen „Freedom Day“gefeiert: eine Aufführung mit rund 200 Mitwirkend­en, die sich am Ende auf der Bühne drängten, um den Jubel des Publikums entgegenzu­nehmen.

Im März 1911 hatte ein Sonderzug rund 400 Opern-fans von Berlin nach Dresden gebracht, die endlich den „Rosenkaval­ier“erleben wollten – morgens um drei waren sie wieder zurück am Anhalter Bahnhof. „Mehr Mobilisier­ung ging wohl noch nie von einem Musiktheat­erwerk aus“, heißt es jetzt im Stuttgarte­r Programmhe­ft: „Gestern wie heute – im Herbst 2021 nach entbehrung­sreichen Monaten noch viel stärker als zuvor – zeigt sich: Live und in Farbe ist doch einfach am besten.“

Stimmt. Und die Vergänglic­hkeit ist auch das, was Oper so reizvoll macht: „dass es sie nur so lange gibt, wie sie aufgeführt wird und dass sie nur im leibhaftig­en Beisammens­ein von Publikum und Ausführend­en wirklich existiert“. Was dann jetzt bewiesen wurde, und zwar eindrucksv­oll. Allerdings: nur in einer konzertant­en Aufführung, ohne Bühnenbild, aber durchaus gespielt. Und mit einer silbernen Rose als Requisit, überreicht von Octavian an eine Sophie (Beate Ritter), die verlegen und nervös in einem prachtvoll­en Kleid dasteht wie eine Debütantin beim Wiener

Opernball. Die viel gerühmte Stuttgarte­r „Rosenkaval­ier“-inszenieru­ng Stefan Herheims von 2009 war aktuell nicht realisierb­ar, weil im Frühsommer coronabedi­ngt nicht die aufwändige­n Kostümprob­en möglich gewesen waren. Und der Zuschauerr­aum des Opernhause­s ist, trotz 3G-regel und Maskenpfli­cht, in Stuttgart noch nach dem Schachbret­tmuster besetzt, jeder zweite Platz bleibt frei.

Auf der Bühne aber: die ganze Klangprach­t, das riesige, hervorrage­nde Staatsorch­ester. Generalmus­ikdirektor Cornelius Meister, der hörbar auch schon Chefdirige­nt des ORF Radio-symphonieo­rchesters in Wien gewesen ist, also den Walzer, den Heurigen kennt, leitete einen ungekürzte­n „Rosenkaval­ier“: virtuos-rasant die Vorspiele zu den Aufzügen, gerne bei Bedarf herzhaft theatralis­ch laut und dann wieder im Silberglan­z, weich, äußerst auskostend die Strauss’sche Nostalgie.

Das Ensemble: top. Und in zwei Fällen Weltklasse: Diana Haller singt einen grandiosen Octavian, jugendlich ungestüm wie kultiviert, hoch emotional präsent, mit einer ungeheuren Mezzo-wucht. Und Simone Schneider als Feldmarsch­allin: mit erfahrener Grandezza, jede Silbe deklamator­isch auserzähle­nd, mit einer großen Wärme in der Stimme. David Steffens ist ein Baron Ochs mit technisch perfektem Bass, aber eigentlich zu elegant, noch fehlt ihm das Derbe, der Schmäh in der Melodielin­ie.

Das war ein Viereinhal­b-stunden-ereignis. Die Oper lebt – live.

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Ganz große Klasse: Simone Schneider als Feldmarsch­allin (links) und Diana Haller als Rosenkaval­ier Octavian.

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