Die gute alte, neue Zeit
Mit einem konzertanten „Rosenkavalier“feiern die Stuttgarter auf der Bühne mit rund 200 Mitwirkenden so eine Art musikalischen „Freedom Day“. Das Publikum ist begeistert.
Sind halt aso – die jungen Leut“, seufzt im Walzertakt der neureiche Herr von Faninal, der seine Tochter für einen Adelstitel an den derben Baron Ochs auf Lerchenau hatte verkuppeln und verkaufen wollen. „Ja, ja“, bestätigt die Feldmarschallin, die ihren Liebhaber nun endgültig verloren hat und spürt, dass ihre besten Tage vorbei sind. Die beiden sitzen für diesen kleinen Dialog in der Intendantenloge der Stuttgarter Staatsoper – das Geschehen kommentierend fast so wie Waldorf und Statler aus der Muppet Show. Sophie und Octavian aber besingen ihr Liebesglück unter heilig-himmlischen Klängen: „Ist ein Traum, kann nicht wirklich sein . . .“
„Der Rosenkavalier“von Richard Strauss ist eine „Komödie für Musik“über die Vergänglichkeit, eigentlich ein Weltuntergangsstück, uraufgeführt 1911, kurz vor dem Krieg. Und andererseits eine Oper, die eine gute alte Zeit beschwört, die es nie gegeben hat. Die Zeit, die sei ein sonderbar Ding, weiß die Feldmarschallin: „Wenn man so hinlebt, ist sie rein gar Nichts./ Aber dann auf einmal, da spürt man nichts als sie./ Sie ist um uns herum, sie ist auch in uns drinnen./ In den Gesichtern rieselt sie./ im Spiegel da rieselt sie . . .“Wer also nostalgisch über die Vergänglichkeit sinnieren möchte in dieser Corona-pandemie, die auch lange die öffentliche Kultur zum Stillstand brachte und so manche Gewissheit schon auf den Prüfstand stellte, der ist beim „Rosenkavalier“gut aufgehoben.
Rund 200 Mitwirkende
Die Staatsoper Stuttgart ging einen Schritt weiter und hat mit dieser Oper am Sonntag geradezu einen „Freedom Day“gefeiert: eine Aufführung mit rund 200 Mitwirkenden, die sich am Ende auf der Bühne drängten, um den Jubel des Publikums entgegenzunehmen.
Im März 1911 hatte ein Sonderzug rund 400 Opern-fans von Berlin nach Dresden gebracht, die endlich den „Rosenkavalier“erleben wollten – morgens um drei waren sie wieder zurück am Anhalter Bahnhof. „Mehr Mobilisierung ging wohl noch nie von einem Musiktheaterwerk aus“, heißt es jetzt im Stuttgarter Programmheft: „Gestern wie heute – im Herbst 2021 nach entbehrungsreichen Monaten noch viel stärker als zuvor – zeigt sich: Live und in Farbe ist doch einfach am besten.“
Stimmt. Und die Vergänglichkeit ist auch das, was Oper so reizvoll macht: „dass es sie nur so lange gibt, wie sie aufgeführt wird und dass sie nur im leibhaftigen Beisammensein von Publikum und Ausführenden wirklich existiert“. Was dann jetzt bewiesen wurde, und zwar eindrucksvoll. Allerdings: nur in einer konzertanten Aufführung, ohne Bühnenbild, aber durchaus gespielt. Und mit einer silbernen Rose als Requisit, überreicht von Octavian an eine Sophie (Beate Ritter), die verlegen und nervös in einem prachtvollen Kleid dasteht wie eine Debütantin beim Wiener
Opernball. Die viel gerühmte Stuttgarter „Rosenkavalier“-inszenierung Stefan Herheims von 2009 war aktuell nicht realisierbar, weil im Frühsommer coronabedingt nicht die aufwändigen Kostümproben möglich gewesen waren. Und der Zuschauerraum des Opernhauses ist, trotz 3G-regel und Maskenpflicht, in Stuttgart noch nach dem Schachbrettmuster besetzt, jeder zweite Platz bleibt frei.
Auf der Bühne aber: die ganze Klangpracht, das riesige, hervorragende Staatsorchester. Generalmusikdirektor Cornelius Meister, der hörbar auch schon Chefdirigent des ORF Radio-symphonieorchesters in Wien gewesen ist, also den Walzer, den Heurigen kennt, leitete einen ungekürzten „Rosenkavalier“: virtuos-rasant die Vorspiele zu den Aufzügen, gerne bei Bedarf herzhaft theatralisch laut und dann wieder im Silberglanz, weich, äußerst auskostend die Strauss’sche Nostalgie.
Das Ensemble: top. Und in zwei Fällen Weltklasse: Diana Haller singt einen grandiosen Octavian, jugendlich ungestüm wie kultiviert, hoch emotional präsent, mit einer ungeheuren Mezzo-wucht. Und Simone Schneider als Feldmarschallin: mit erfahrener Grandezza, jede Silbe deklamatorisch auserzählend, mit einer großen Wärme in der Stimme. David Steffens ist ein Baron Ochs mit technisch perfektem Bass, aber eigentlich zu elegant, noch fehlt ihm das Derbe, der Schmäh in der Melodielinie.
Das war ein Viereinhalb-stunden-ereignis. Die Oper lebt – live.