Steinmeiers Risiko
Es ist mal wieder keine leichte Reise für den Bundespräsidenten gewesen. In der Ukraine hat Frank-walter Steinmeier an der Gedenkveranstaltung für das größte Einzelmassaker des Zweiten Weltkriegs auf europäischem Boden teilgenommen. Er ist tief in die Provinz des Landes gereist, um außerdem an ein weniger bekanntes, aber nicht weniger grausiges Verbrechen von Nazi-deutschland zu erinnern. Der Umgang mit der Schuld gehört auch fast 80 Jahre nach Kriegsende noch immer zu den Hauptaufgaben eines deutschen Staatsoberhaupts.
Man muss sagen, dass Steinmeier das gut macht. Sein weißer Schopf ist im Ausland wie im Inland ein verlässliches Signal dafür, dass sich da ein Aufrechter kümmert. Dass Steinmeier trotz seines westfälischen Temperaments und seiner etwas verschlungenen Ausdrucksweise ein herzlicher Typ ist, der gerne mit den Menschen lacht und vielen ausländischen Kollegen freundschaftlich verbunden ist, macht die schwierige Aufgabe ein bisschen leichter. Kein Wunder also, dass sich laut Umfrage eine große Mehrheit der Bürger eine zweite Amtszeit für Steinmeier wünscht. Doch ob das klappt, ist offen. Und so ist der Bundespräsident derzeit auch in eigener Sache unterwegs.
Für Steinmeier ist es zunächst mal eine gute Nachricht, dass nun alle Zeichen auf Ampel stehen. Denn auch wenn seine Spd-mitgliedschaft wegen des höchsten Staatsamtes ruht: Dem echten Sozialdemokraten Steinmeier dürfte eine Spd-geführte Regierung die erneute Nominierung wohl kaum verweigern. Auch die FDP hat ihm schon frühzeitig und öffentlich Unterstützung für eine zweite Amtszeit signalisiert. Gewählt wird im Februar nächsten Jahres durch die Bundesversammlung aus Abgeordneten
des Bundestags und Ländervertretern. Rechnerisch verfügen SPD, Grüne und FDP dort über eine Mehrheit.
Doch es ist noch nicht soweit. Gut möglich, dass auch das höchste Staatsamt in den kommenden Wochen dort landet, wo es nach Meinung vieler eigentlich nicht hingehört: auf dem Koalitionsverhandlungstisch nämlich. Wenn drei Parteien am Ende neben guter Politik auch gute Posten wollen, dann lässt sich auch das Bundespräsidentenamt dort nicht völlig heraushalten. Verhandlungsgegenstand zwischen den Parteien war es schon immer, nur gaben sich alle Beteiligten große Mühe, genau dies zu
Für Steinmeier ist es zunächst mal eine gute Nachricht, dass nun alle Zeichen auf Ampel stehen.
kaschieren. Auch jetzt dürfte an dieser Stelle etwas mehr Diskretion herrschen als bei anderen Fragen.
Der Startschuss für ein vergleichsweise offenes Rennen wurde im Mai gegeben: von Steinmeier selbst, als er eine Art Initiativbewerbung einreichte. Er setzte damit auch einen Kontrapunkt zur sehr deutschen Sichtweise, dass „Politik“etwas Anrüchiges ist, von dem sich ein Bundespräsident möglichst fern zu halten hat. Sein Schritt war zudem ein frühes Zeichen für das, was Grünen-chef Robert Habeck nun so beschreibt: Deutschland lernt Politik gerade ein bisschen neu. Zu dieser neuen Zeit gehört allerdings auch die Dringlichkeit der Gleichberechtigung, und deswegen ist Steinmeiers größtes Problem nun vermutlich dies: keine Frau zu sein.