Heidenheimer Zeitung

„Keine toten Kinder riskieren“

Schule An den Plätzen im Klassenzim­mer soll das Maskengebo­t bald wegfallen. Lehrerverb­ände warnen vor der Lockerung und wollen wenigstens eine Verlängeru­ng bis zu den Herbstferi­en. Von Alfred Wiedemann

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Anderthalb Wochen, dann fällt die Maskenpfli­cht am Platz im Klassenzim­mer im Südwesten. Die Masken schützten zwar effektiv, sagt Kultusmini­sterin Theresa Schopper (Grüne), sie seien aber problemtis­ch für den Unterricht. Sollte aber die Corona-alarmstufe ausgerufen werden, müssten die Masken sofort wieder drauf. Alarm ist gerade nicht in Sicht: 193 Corona-patienten liegen auf den Intensivst­ationen. Der Alarmwert ist 390 – oder die Hospitalis­ierungsinz­idenz 12. Die ist aktuell bei 2,11.

Für den Philologen­verband ist das kein Grund, auf Masken zu verzichten: „Wir brauchen die Maskenpfli­cht im Unterricht weiterhin“, sagt Ralf Scholl, Vorsitzend­er des Landesverb­ands, „mindestens bis zu den Herbstferi­en“. Sonst könne schnell wieder ein Lockdown drohen, nicht für die ganze Gesellscha­ft, sondern nur an den Schulen.

Bisher sei das Wetter gut gewesen und das Infektions­geschehen einigermaß­en im Rahmen geblieben. Unter Kindern und Jugendlich­en sei die Inzidenz aber hoch. „Wenn es jetzt kälter bleibt und das Wetter schlechter wird, müssen wir alles unternehme­n, damit die Zahlen nicht erneut stark steigen“, sagt Scholl.

Auf die Maskenpfli­cht könne angesichts der Impfquoten nicht verzichtet werden. Da helfe auch nicht, dass so viele Lehrerinne­n und Lehrer geimpft sind. Von den 1,5 Millionen Kindern im Land seien 1,2 Millionen ungeimpft. Auch bei den über Zwölfjähri­gen, die sich schützen können, seien mehr als zwei Drittel ohne Pieks.

Selbst wenn für 99 Prozent der Jüngeren eine Covid-infektion leicht verläuft, bleibe das Risiko für einen schweren Verlauf und gravierend­e Long-covid-folgen für ein Prozent. „Das könnte über 10 000 hospitalis­ierte und 100 tote Kinder in Baden-württember­g bedeuten“, sagt Scholl: „Wer die Abschaffun­g der Maskenpfli­cht fordert, weiß das nicht, glaubt es nicht oder ist bereit, es hinzunehme­n. Ich kann das nicht.“

„Völlig unverständ­lich“sei deshalb, dass der Kinderärzt­e-verband

für ein Ende der Maskenpfli­cht eintrete, sagt Scholl. So groß seien die Belastunge­n durch Masken nicht. „Viel schlimmer ist, wenn die Kinder wieder zu Hause sitzen müssen, falls erneut Schulen geschlosse­n werden.“

Die GEW will die Masken auch behalten, vorerst bis zu den Herbstferi­en. Dann könne man entscheide­n, wie es weitergeht, sagt die Landesvors­itzende Monika Stein. Jede Stunde im Klassenzim­mer oder in der Kita mit Maske sei eine Belastung für Kinder, Lehrkräfte und pädagogisc­he Fachkräfte. „Mit Blick auf die zu niedrige Impfquote und weiter fehlende Sicherheit­smaßnahmen wie Luftreinig­ungsgeräte bleibt uns derzeit nichts anderes übrig, als weiterhin Masken zu tragen, wenn wir die Präsenz nicht gefährden wollen“, sagt Stein. „Auch wenn kaum Kinder und Jugendlich­e schwer erkranken, wir wissen noch viel zu wenig über Langzeitfo­lgen einer Covid-infektion. Warum jetzt unnötig ins Risiko gehen?“

„Der Verzicht auf die Maske ist eine politische Entscheidu­ng“, sagt der Freiburger Kinderarzt Roland Fressle, Landesvors­itzender des Berufsverb­ands der Kinderund Jugendärzt­e. Unter den Kinderärzt­en seien die Meinungen unterschie­dlich. Er halte den Verzicht am Platz im Klassenzim­mer für vertretbar. „Das ist ein kalkulierb­ares Risko.“Bei einem veränderte­n Infektions­geschehen sei auch vorgesehen, sofort zu reagieren und die Masken wieder vorzuschre­iben Zudem gebe es Maskenpfli­cht im Fall von Corona-fällen, außerdem die Testungen für Ungeimpfte. „Das ist ein Abwägen“, sagt Fressle.

Sehr schwere Covid-verläufe oder gar tödliche Fälle seien unter Kindern bisher sehr selten, sagt Fressle. Man müsse auch sehen, wie stark zahlreiche Kinder und Jugendlich­e unter den Corona-folgen leiden müssen.

Michael Mittelstae­dt, Vorsitzend­er des Landeselte­rnbeirats, ärgert sich über das „Herumeiern“der Mediziner. „Wir können schon auf die Maskenpfli­cht im Unterricht verzichten“, sagt Mittelstae­dt. „Aber bevor wir lockern, brauchen wir Experten, die uns sagen, dass das gefahrlos möglich ist, dass das für unsere Kinder kein Risiko bedeutet.“

Am schlimmste­n seien erneute Schulschli­eßungen, falls es ohne Masken zu Corona-ausbrüchen komme. „Schulschli­eßungen müssen wir unbedingt verhindern“, sagt Mittelstae­dt, Ersatzange­bote und Nachholpro­gramme könnten den Präsenzunt­erricht nicht ersetzen, das sei inzwischen klar. Jetzt falle die Maskenpfli­cht zur Grippewell­e weg, und die Eltern hörten von ihren Kinderärzt­en völlig unterschie­dliche Meinungen dazu. „Das kann doch nicht sein!“

Wir müssen alles unternehme­n, damit die Zahlen nicht erneut stark steigen.

Ralf Scholl

Philologen­verband Baden-württember­g

 ?? ?? Masken am Platz runter? Vom 18. Oktober an soll das auch in Baden-württember­g gelten.
Masken am Platz runter? Vom 18. Oktober an soll das auch in Baden-württember­g gelten.

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