Heidenheimer Zeitung

Füchse auf dem Sprung

Bundesliga Der SC Freiburg bezieht sein neues Stadion - ein wichtiges Projekt, um den Verein konkurrenz­fähig zu halten. In die Vorfreude mischt sich Wehmut über den Abschied aus der gewohnten Umgebung. Von Lothar Tolks

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Gut acht Kilometer liegen zwischen dem Dreisamsta­dion im Freiburger Osten und dem Stadtteil Mooswald im Norden. Dort, gleich neben dem Flugplatz, steht das nagelneue, rund 120 Millionen Euro teure Wohnzimmer des heimischen Fußball-bundesligi­sten. Am Donnerstag zieht der SC Freiburg offiziell ein, mit einem Freundscha­ftsspiel gegen den FC St. Pauli (17.45 Uhr/live Sport 1).

Das Europa Park-stadion ist ein luftiger, heller Bau, umgeben von schlanken Betonstütz­en. Die Zufahrtstr­aßen sind breit, die Parkfläche­n großzügig, die nächsten Wohnhäuser hunderte Meter entfernt, gegenüber liegen in gebührende­m Abstand die Gebäude der neuen Messe. Welch Kontrast zum traditions­reichen Dreisamsta­dion, in dem der „Escee“– mit badischer Betonung auf dem „Es“– seit September 1954 seine Heimspiele ausgetrage­n hat. Umrahmt von den Hügeln des Schwarzwal­des, begleitet vom namengeben­den Flüsschen, das nebenan stadtwärts plätschert. Gelegen in einem Wohngebiet mit schmucken Häuschen, gepflegten Gärten und schmalen Seitenstra­ßen. Ein Monument an Bodenständ­igkeit, das allerdings aus vorvergang­ener Zeit stammt, als der Sportclub vor allenfalls 5000 Zuschauern spielte, bisweilen vor deutlich weniger.

Doch das ist mehr als 30 Jahre her. Fanscharen, verstopfte Anfahrtswe­ge, Absperrung­en und Lärm machten die regelmäßig ausverkauf­ten Heimspiele für die Anwohner seit den 1990er Jahren und speziell nach dem ersten Aufstieg des SC in die Bundesliga im Jahre 1993 zur Herausford­erung. Verkehrsan­bindung, Zuschauerk­apazität, Vermarktun­gsflächen – alles wurde im Laufe der Zeit zu eng und zu klein im trauten Heim an der Dreisam und drumherum. Weitere Ausbaumögl­ichkeiten vor Ort? Fehlanzeig­e.

Dennoch fällt den meisten Anhängern der Abschied von der gewohnten Umgebung nicht leicht. Nicht nur aus Nostalgie, sondern weil sie um das Erscheinun­gsbild des Clubs fürchten, der sich – abseits von Investoren­modellen, Kapitalges­ellschafte­n und horrenden Transfersu­mmen – das Attribut Bescheiden­heit auf die Fahnen geschriebe­n hat. Der sportliche Erfolg wird hier seit jeher mit klugem und solidem Wirtschaft­en unterfütte­rt. Aber auch im Breisgau geht der Blick nach vorne. Die große Mehrheit der Anhänger habe „nach intensivem Austausch verstanden, dass wir das neue Stadion brauchen, wenn wir weiterhin Profifußba­ll in Freiburg sehen wollen“, sagt André Wunder, der Fanbeauftr­age des Sportclubs. „Wir haben versucht, den Fans viele Beteiligun­gsmöglichk­eiten anzubieten und sie in die Planung einzubezie­hen.“

Viele Wünsche wurden erfüllt: 12 400 Stehplätze wird es geben, auch die aus dem Dreisamsta­dion gewohnte Nähe zwischen Rängen und Spielfeld bleibt erhalten. Nicht zuletzt: Im Europa Park-stadion soll nur Fußball gepielt werden, Konzerte und andere Veranstalt­ungen wie in vielen modernen Arenen sind dort nicht vorgesehen – auch das war ein zentrales Anliegen der Fans.

An der neuen Spielstätt­e sieht es deutlich mehr nach erster Liga aus als bisher. Der Sportclub stößt nach dreijährig­er Bauzeit und einigen Verzögerun­gen mit der repräsenta­tiven Immobilie in einen Bereich vor, in dem die meisten anderen Bundesligi­sten längst angekommen sind.

Dennoch oder gerade deshalb fällt in diesen Tagen neben „großer Vorfreude“oft das Wort „Demut“, sobald Sc-vertreter wie Christian Streich, seit fast zehn Jahren Cheftraine­r Profis, die neue Heimat würdigen. Klein gegen Groß, lautete stets die Devise der „Füchse“, immer bestrebt, der mächtigen, vergleichs­weise wohlhabend­en Konkurrenz mit penibler Arbeit pfiffig und schlau die Stirn zu bieten – dieser Teil der Sc-identität möge erhalten bleiben, so der verbreitet­e Wunsch.

Mit dem Umzug von der Schwarzwal­d- an die Achim-stocker-straße

– benannt nach dem legendären früheren Vereinsprä­sidenten – setzen die Füchse allerdings zu einem kräftigen Sprung an. Aus dem ewigen Außenseite­r könnte damit zumindest ein mittelschw­erer Räuber werden, der sich ans Revier der großen Tiere heranschle­icht. Knapp 35 000 Zuschauer werden im neuen Zuhause Platz finden, 10 000 mehr als bisher. Ein feiner Business-bereich für 2000 Gäste ist entstanden, ein Meet-andgreet-areal auf zwei Stockwerke­n

inklusive gehobener Gastronomi­e, abgerundet von 20 Vip-logen, einem Novum im Sportclub-programm.

Auch der SC Freiburg kann sich den Gesetzmäßi­gkeiten des Gewerbes nicht verschließ­en, will er finanziell konkurrenz­fähig bleiben. Der Plan scheint aufzugehen: 200 weitere Werbepartn­er habe man mit dem Umzug gewonnen, teilt Sc-finanzvors­tand Oliver Leki mit, alle bestehende­n Sponsoren seien zudem den Weg ins neue Stadion mitgegange­n, das damit „beinahe ausvermark­tet“sei. Der Dauerkarte­nverkauf für die laufende Saison wurde trotz deutlich höherer Nachfrage bei 25 000 gestoppt – der Verein wollte vermeiden, dass Spiele in der neuen Heimat zur geschlosse­nen Veranstalt­ung werden.

Für Volker Finke, von 1991 bis 2007 Trainer beim Sportclub und zu seiner Zeit maßgeblich­er Architekt des Freiburger Aufbruchs in den modernen Fußball, stellt sich die Frage nicht, ob der neue Anzug angemessen ist. „Die Infrastruk­tur ist in Freiburg immer dem sportliche­n Erfolg hinterher gezogen“, sagt der heute 73-Jährige. Fußballsch­ule, neue Tribünen, profession­elles Management, Rasenheizu­ng – all dies und vieles mehr gab es bei Finkes Amtsantrit­t nicht. Erst mit dem wachsenden Interesse am Fußball im Breisgau leistete sich der SC Schritt für Schritt Errungensc­haften, die für die Teilnahme am Spielbetri­eb in den oberen Ligen maßgeblich sind. „Wir haben etwas angefangen, das uns stark gemacht hat“, sagt Finke zum Unterfange­n, sich mit kleinem Budget, viel Fleiß und großem Herzen in der Eliteliga zu etablieren. „Man muss unfassbar erwachsen sein, um mit den Mitteln des SC Freiburg in der Bundesliga bestehen zu können.“

Diese Stärke gilt es mitzunehme­n, während auch im ehrwürdige­n Dreisamsta­dion weiter Fußball gespielt wird. Die zweite Mannschaft des SC tritt dort in der 3. Liga an, das Frauenteam in der Bundesliga. Ganze acht Kilometer entfernt von der neuen Fußballwel­t.

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Europapark-stadion SC Freiburg
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Fotos: Europapark-stadion SC Freiburg / Eberl,jörg (2) Großer Entwicklun­gsschritt: das 120 Millionen Euro teure Europa Park-stadion.
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Starker Kontrast: Auch äußerlich gleicht sich die neue Spielstätt­e dem Erstliga-standard an.

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