Heidenheimer Zeitung

Flüchtling­skrise an Grenze zu Polen

Seit Mitte Juli sind mehr als 2000 illegale Einwandere­r über Belarus nach Deutschlan­d gekommen. Die Erstaufnah­meeinricht­ung in Brandenbur­g ist überfüllt.

- Von Dietrich Schröder

Die junge Frau aus Treplin, einem kleinen Ort in der Nähe von Frankfurt (Oder), war überrascht: „Am helllichte­n Tag kamen mir zwei Gruppen fremdländi­scher Menschen auf einem Radweg entgegen. Die meisten von ihnen Männer, aber auch Frauen und Kinder.“Seit Wochen kommt es entlang der Grenze zu Polen zu ähnlichen Vorfällen. In der Uckermark entdeckte die Bundespoli­zei am Montag nach einem Hinweis 41 Flüchtling­e, darunter neun Frauen und zwei Kinder, die in einem Wald übernachte­n wollten. Es waren Iraker, die angaben, dass Schleuser sie bis an die deutsch-polnische Grenze gebracht hätten. Auch der Zoll stieß bei Kontrollen an den Autobahnen mehrfach auf Kleintrans­porter, in denen Flüchtling­e zusammenge­pfercht waren. Lokführer mussten gefährlich­e Bremsmanöv­er durchführe­n, weil die Migranten selbst über Eisenbahnb­rücken Oder und Neiße überwinden.

Obwohl sich dieses neue Migrations-szenario seit Mitte August abspielt, hat die Berliner Politik davon bisher kaum Kenntnis genommen. Erst drei Tage vor der Bundestags­wahl bestätigte ein Sprecher der Bundespoli­zei auf Nachfrage dieser Zeitung, dass man es seit Wochen mit einer „dynamische­n Entwicklun­g“zu tun habe. Vor der Wahl gab es jedoch keine Pressemitt­eilungen zu den Aufgriffen, offenbar um zu verhindern, dass die AFD in Ostdeutsch­land noch mehr punktet.

Politik reagiert verspätet

Am Mittwoch machte Brandenbur­gs Cdu-innenminis­ter Michael Stübgen bei einem Besuch in der übervollen Landes-aufnahmeei­nrichtung in Eisenhütte­nstadt deutlich, dass der belarussis­che Präsident Alexander Lukaschenk­o die Flüchtling­swelle „künstlich produziert und perfide organisier­t“habe. Stübgen kritisiert­e Bundesauße­nminister Heiko Maas (SPD) dafür, dass dieser bisher nichts unternomme­n habe.

Genauso gut hätte Stübgen aber auch Horst Seehofer (CSU) angreifen können, denn dieser hatte der Bundespoli­zei einen Maulkorb verpasst. Erst Ende September, vier Tage nach der Wahl, hieß es offiziell, dass seit Mitte Juli mehr als 1500 Migranten, vorwiegend aus dem Irak und Syrien, aufgegriff­en wurden. Inzwischen ist die Zahl bereits auf weit über 2000 angestiege­n.

Dass diese Entwicklun­g mit einem Drama zusammenhä­ngt, das sich seit Sommer weiter östlich an der polnisch-belarussis­chen Grenze abspielt, liegt auf der Hand. Seit August hat Polens national-konservati­ve Pis-regierung den Notstand über diese Grenzregio­n verkündet, einen Stacheldra­htzaun errichten lassen und den Grenzschut­z mit Polizei und Armee verstärkt.

Dass es dennoch so vielen gelingt, die Grenze zu überwinden und weiter in Richtung Deutschlan­d zu gelangen, hängt offenbar mit einem perfekten Schleusers­ystem zusammen. „Die gesamte Tour aus dem Irak bis an die deutsch-polnische Grenze kostet um die 10 000 Euro“, verrät ein Mitarbeite­r des polnischen Grenzschut­zes. Bis Ende August flog die Iraqi Airways viermal wöchentlic­h von Bagdad nach Minsk. Inzwischen gibt es auf Druck der EU wöchentlic­h nur noch eine solche Maschine. Dafür landen auch Flieger aus Damaskus sowie aus Istanbul in Minsk. Der regimekrit­ische Social-media-dienst Belsat.eu berichtete am Mittwoch, dass es in belarussis­chen Städten von arabischen Migranten nur so wimmele und dass von den Behörden Druck auf diese Menschen ausgeübt werde, so schnell wie möglich an die polnische oder litauische Grenze zu gelangen. Wer von den polnischen Behörden zurückgesc­hoben wird, werde auf belarussis­cher Seite gedrängt, sofort den nächsten Versuch zu unternehme­n.

In Polen selbst betrachtet­e die geschwächt­e Pis-partei das Problem zunächst als willkommen­es Mittel, um Stärke zu zeigen. Dass man anders als Deutschlan­d bei der Flüchtling­skrise 2015 die gesamte EU vor unerwünsch­ten Einwandere­rn schütze, unter denen sich auch Terroriste­n befänden, wird von führenden Politikern immer wieder verkündet. Laut Umfragen werden die Maßnahmen von mehr als der Hälfte der Polen begrüßt.

Da mittlerwei­le Leichen von Migranten gefunden wurden, die wegen der eiskalten Nächte an der Grenze erfroren sind, ahnt jedoch selbst die Pis-regierung, dass man es zunehmend mit einer humanitäre­n Katastroph­e zu tun bekommt. Neben Menschenre­chtsorgani­sationen wie Amnesty Internatio­nal forderten auch Polens Bischöfe in dieser Woche dazu auf, die Menschen an der Grenze nicht erfrieren oder verhungern zu lassen, sondern ihnen humane Hilfe zu gewähren.

 ?? Foto: Patrick Pleul/dpa ?? Mehrere Migranten sitzen auf einer Wiese vor Containern in der Zentralen Erstaufnah­meeinricht­ung für Asylbewerb­er (ZABH) des Landes Brandenbur­g in Eisenhütte­nstadt. Der Zustrom aus Richtung Polen wächst.
Foto: Patrick Pleul/dpa Mehrere Migranten sitzen auf einer Wiese vor Containern in der Zentralen Erstaufnah­meeinricht­ung für Asylbewerb­er (ZABH) des Landes Brandenbur­g in Eisenhütte­nstadt. Der Zustrom aus Richtung Polen wächst.

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