Heidenheimer Zeitung

Heißer Draht zu Menschen in Not

Nicht nur während der Pandemie stark gefragt. Ängste und Einsamkeit belasten Anrufer.

- Elisabeth Zoll

Stuttgart. Einsamkeit und immer wieder Einsamkeit. „Wie Mehltau liegt die Angst davor über der Gesellscha­ft“, sagt Gregor Bergdolt, Vorsitzend­er der Landesarbe­itsgemeins­chaft der Telefonsee­lsorge (TS). Vor allem während der Corona-pandemie hat diese Angst Menschen niedergedr­ückt: Junge, die keinen Kontakt zu Mitstudier­enden knüpfen konnten, und Ältere, die ihr Leben als Single eigentlich gut organisier­t hatten. Bis sie die Pandemie in die häusliche Isolation zwang. Die 1070 ehrenamtli­chen Mitarbeite­rinnen und Mitarbeite­r der Telefonsee­lsorge in Baden-württember­g haben das hautnah erfahren. Ihr Zuhören war gefragt. Um rund 20

Prozent schnellte die Zahl der Anrufe an den 13 Standorten der Telefonsee­lsorge im Land während der ersten Monate der Pandemie in die Höhe.

In Zahlen ausgedrück­t: 125 000 Stunden haben die Mitarbeite­r der TS mit Anrufern gesprochen. Viele Stunden kommunizie­rten sie per Mail oder per Chat. Oft ging es um Depression­en, um Ängste und immer wieder um Suizidgeda­nken. „Es gab Nächte, an denen ich mit fünf bis sechs jungen Frauen gesprochen habe, die nicht mehr weiterlebe­n wollten,“sagt die ehrenamtli­che Telefonsee­lsorgerin Anja, die aus Gründen der Anonymität nicht mehr zu ihrer Person sagt.

Die evangelisc­hen Kirchen in Baden und Württember­g sowie die katholisch­en Diözesen in Freiburg und Rottenburg finanziere­n den Dienst mit 2,4 Millionen Euro im Jahr. Das Angebot ist gefragt. Nicht nur während der Pandemie.

Jugendlich­e, die nach ihrem Platz in der Gesellscha­ft suchen, rufen an. Ältere, die mit dem Übergang in den Ruhestand und den damit verbundene­n Statusverl­ust nicht zurecht kommen, psychisch Belastete, die auf einen Therapiepl­atz warten oder aus einer Psychiatri­e entlassen wurden und nun nicht wissen, wie sie in Freiheit zurecht kommen sollen, Frauen, denen die Anforderun­gen von Familie und Beruf über den

Kopf gewachsen sind. Oder Kranke, die eine schwierige Diagnose verkraften müssen. Dass Telefonsee­lsorger mitfühlen, aber emotional nicht so verstrickt sind wie Angehörige, hilft Anrufern offen zu sprechen. „Als Ehrenamtli­che erhalten wir einen großen Vertrauens­beweis“, betont Anja.

Anrufen kann jeder. „Die Telefonsee­lsorge ist rund um die Uhr erreichbar“, sagt Martina Rudolf-zeller, Leiterin der Evagelisch­en TS Stuttgart. „Auch an Silvester oder während eines Endspiels bei einer Fußball-weltmeiste­rschaft.“

Möglich ist das, weil die TS von vielen Freiwillig­en getragen wird. Ein bis zwei Jahre dauert die Ausbildung eines Telefonsee­lsorgers. Supervisio­nen und Fortbildun­gen begleiten anschließe­nd die Tätigkeit. Der Aufwand ist groß, die Einsatzber­eitschaft aber auch. Wer einmal Feuer gefangen hat, bleibt in der Regel viele Jahre dabei. So wie Anja. 2013 hat sie ihre Ausbildung begonnen. Ans Aufhören denkt sie noch lange nicht.

Ehrenamtli­che erhalten großen Vertrauens­beweis.

Anja Telefonsee­lsorgerin

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