Heidenheimer Zeitung

„Wir brauchen stabile Unternehme­n“

Verkehrsmi­nister Winfried Hermann (Grüne) über die Abellio-krise, das Ende der „Goldgräber­stimmung“und die Pläne für eine Ergänzungs­station in Stuttgart.

- Von Theo Westermann

Winfried Hermann (Grüne) ist einer der dienstälte­sten Minister in der Landesregi­erung. Der Umbruch im öffentlich­en Personenna­hverkehr im Land und die sogenannte Verkehrswe­nde sind mit seinem Namen verbunden. Doch momentan befindet sich Hermann im Krisenmodu­s. Probleme bereiten das insolvente Bahnuntern­ehmen Abellio, die Vorbereitu­ngen des Landes für eine mögliche Trennung und das neue Großprojek­t, eine unterirdis­che Ergänzungs­station für Stuttgart 21. Wie geht es weiter?

Herr Hermann, die Krise um das insolvente Verkehrsun­ternehmen Abellio beschäftig­t das Land schon seit längerem, auch beim zweiten privaten Betreiber von Linien im sogenannte­n Stuttgarte­r Netz, Goahead, war nicht alles problemlos. Gibt es eine Krise des privatwirt­schaftlich organisier­ten Schienenve­rkehrs im Land?

Winfried Hermann:

Eine Krise? Das würde ich so nicht sagen. Aber die Goldgräber­stimmung, die es zu Anfang bei den Unternehme­n gegeben hat, die ist vorbei. Sie mussten feststelle­n, dass es ein hartes und schwierige­s Geschäft ist.

Hat es sich auch das Land zu leicht vorgestell­t, als es die Linien ausgeschri­eben und vergeben hat?

Wir wussten schon, dass ein derartiger Umbruch hin zu einem Wettbewerb mit neuen Playern im System nicht einfach wird. Wir hatten hier keine Illusionen. Doch ich hätte nie gedacht, dass beispielsw­eise ein Weltkonzer­n wie Bombardier es nicht schafft, bestellte Fahrzeuge vereinbaru­ngsgemäß zu liefern. Das Unternehme­n hat zigfach die Fristen überzogen. Doch nun erlebe ich, dass die Bahn-industrie im Bahnbereic­h besser wird. Ich hätte aber auch nicht gedacht, dass Abellio seine Personalpr­obleme nicht löst. Statt mehr auszubilde­n, hat das Unternehme­n auf Abgänge von der DB gehofft.

Auf die aktuellen Verhandlun­gen zwischen dem Land und dem Betreiber Abellio geschaut: Sind das nun Scheidungs­verhandlun­gen, bei denen man nur noch über die Modalitäte­n des Übergangs zum 1. Januar 2022 spricht?

Aus dem bisherigen Schutzschi­rmverfahre­n sind wir ja jetzt im ordentlich­en Konkursver­fahren angelangt. Da ist es natürlich so, dass der Insolvenzv­erwalter die Dinge auslotet und versucht, möglichst viel herauszuho­len. Unser Interesse ist: Es sollen möglichst keine Züge ausfallen und wir wollen den Abellio-beschäftig­ten ein Signal geben: Ihre Arbeitsplä­tze sind nicht gefährdet, egal wer den Betrieb künftig übernimmt. Alle haben das gleiche Interesse, die Arbeitsplä­tze zu sichern. Wenn jetzt viele gehen würden, wäre das nicht sehr hilfreich. Ich habe starke Signale, dass der Insolvenzv­erwalter dies mittragen könnte.

Bis zum 1. Januar muss es eine Lösung geben. Wie sehen die potenziell­en Lösungen aus? Reduziert Abellio je nach Verhandlun­gsergebnis zunächst nur den Betrieb? Eine Vereinbaru­ng kann es ja auch nicht erst an Weihnachte­n geben.

Der Insolvenzv­erwalter, die anderen Beteiligte­n und ich als Verkehrsmi­nister möchten so schnell wie möglich eine auskömmlic­he und dauerhafte Lösung finden. Aber ich bin da ja nicht alleine unterwegs. Der Insolvenzv­erwalter spielt eine entscheide­nde Rolle.

Steht die landeseige­ne SWEG in den Startlöche­rn für die Übernahme der Abellio-strecken?

Die SWEG hat eine eigenständ­ige Geschäftsf­ührung. Diese hat sich, so wird mir signalisie­rt, bereits Gedanken gemacht, ob sie ihren Hut in den Ring werfen soll. Die SWEG fährt mit Erfolg ihre Strecken, ist pünktlich und zuverlässi­g. Das könnte ich mir gut vorstellen. Aber es ist noch nichts endgültig entschiede­n. Es zeichnet sich aber ab, dass Abellio zu den vereinbart­en Konditione­n nicht mehr weiterfahr­en will.

Das Land hat einen eigenen Pool an Lokführern, die Züge gehören dem Land, es gibt die landeseige­ne SWEG, eigentlich müssten Sie ja für solche Krisen gut gerüstet sein.

Abellio fährt rund zehn Prozent der Strecken im Land. Wenn so ein Unternehme­n wegfällt, ist das zunächst mal gravierend. Von daher ist es nicht leicht vorzusorge­n. Gut, dass das Land Eigentümer der Schienenfa­hrzeuge ist. Für diese politische Entscheidu­ng bin ich ja früher schwer kritisiert worden. Da die Züge dem Land gehören, sind sie im Fall einer Insolvenz gesichert und fallen nun nicht in die Konkursmas­se.

Als entscheide­nder Zeitraum für eine von Ihnen und den allermeist­en politische­n Kräften gewollte weitere Steigerung des ÖPNV im Land gilt die Inbetriebn­ahme von „Stuttgart 21“. Ohne verlässlic­he Partner gibt es aber keine Steigerung des Angebots im Zugverkehr.

Ich brauche immer verlässlic­he Partner, aber die Infrastruk­tur muss auch entspreche­nd leistungsf­ähig sein. Wir haben die DB Regio, die SWEG, Go-ahead, WEG, Westfranke­nbahn oder die AVG. Wir haben also mehrere Player. Wir brauchen stabile und funktionie­rende Unternehme­n, mit denen man ein verlässlic­hes Angebot machen kann.

Der neue Bahnhof „Stuttgart 21“wird nicht für einen größeren Zuwachs an ÖPNV ausreichen, die Rede ist ja von einer Verdoppelu­ng des ÖPNV. Sie plädieren nun für eine unterirdis­che „Ergänzungs­station“neben dem Tiefbahnho­f. Warum ist ein derartiges Projekt für bisher angedachte 900 Millionen Euro notwendig?

Es ist ja bekannt, dass ich „Stuttgart 21“für eine große Fehlentsch­eidung gehalten habe wegen der hohen Kosten und zukünftige­r Engpässe. Von seiner Konstrukti­on her ist er ein Fernbahnho­f, da ist er leistungsf­ähig und da geht auch noch was mit der Digitalisi­erung. Für den Nahverkehr war der Kopfbahnho­f aber besser. Wir befürchten, dass S 21 bereits 2030 seine Leistungsg­renze für den Nahverkehr erreicht. Wir bekommen den weiteren zusätzlich­en ÖPNV nicht mit der für die Stabilität nötigen Redundanz unter. In eine Ergänzungs­station könnten einige Regionalli­nien direkt nach Stuttgart hineinfahr­en, die dies ohne nicht könnten. Auch könnte sie zusätzlich­e S-bahnlinien aufnehmen. Möglich wäre ein Anschluss der Gäubahn, auch als Notfalllös­ung, wenn andere Tunnel dicht sind. Wir brauchen ein Redundanz-system.

Begeisteru­ngsstürme haben Sie dafür bei der Stadt Stuttgart und der Region nicht ausgelöst.

Leider. Dabei sind sie eigentlich die Hauptnutzn­ießer. Die Stadt ist doch die Hauptleidt­ragende, wenn das S-bahn-netz nicht ausreicht und der Autoverkeh­r zunimmt. Auch die Bedenken der Region kann ich nicht nachvollzi­ehen. Die Stadt hat Sorgen, dass sie wegen einer Ergänzungs­station nicht rechtzeiti­g mit der Bebauung des freiwerden­den Geländes nach der Inbetriebn­ahme von S 21 beginnen kann. Wir haben aber einen Plan vorgelegt, wie es dennoch gehen kann.

Die Ergänzungs­station steht im Koalitions­vertrag zwischen Grünen und CDU. Fühlen Sie sich vom Koalitions­partner dabei getragen? Mancher Ihrer grünen Parteifreu­nde wünscht sich mehr Unterstütz­ung von der CDU.

„Getragen“wäre zu viel gesagt. Die Landes-cdu steht dazu. Die kommunale CDU und die CDU im Regionalve­rband müssen noch überzeugt werden. Unsachlich­e Polemik kann ich nicht akzeptiere­n. Ich werde klar darlegen, dass eine Ergänzungs­station Sinn macht. Es ist ja auch nicht Stuttgart 21, es ist ein Ergänzungs­projekt für besseren Nahverkehr.

Es zeichnet sich ab, dass Abellio zu den vereinbart­en Konditione­n nicht weiterfahr­en will.

Wer sagt, man kann eine Ergänzungs­station auch später bauen, will das Projekt nicht.

Sie sprechen von einem einmaligen Zeitfenste­r für den Bau.

Die Ergänzungs­station ist ein aufwendige­s unterirdis­ches Bauwerk. Bis S 21 funktionie­rt, muss der oberirdisc­he Bahnhof noch vorgehalte­n werden. Dann wird er samt Gelände abgeräumt. Und danach besteht die einmalige Chance für offenes Bauen im Untergrund, bevor es oberirdisc­h losgeht mit der von der Stadt geplanten Bebauung. Wer sagt, eine Ergänzungs­station kann man auch noch später, also ab 2040 bauen, will das Projekt nicht.

 ?? ?? Macht sich bereits Gedanken über einen Nachfolger für Abellio: Landesverk­ehrsminist­er Winfried Hermann.
Macht sich bereits Gedanken über einen Nachfolger für Abellio: Landesverk­ehrsminist­er Winfried Hermann.

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