Warum der mutmaßliche Täter von Brokstedt frei war
Nach dem tödlichen Angriff in dem Regionalexpress bleiben viele Fragen offen. Vor allem die Arbeit der Justizbehörden wird kritisch beleuchtet. Ein Überblick.
Berlin/brokstedt. Nach der Messerattacke in einem Zug im schleswig-holsteinischen Brokstedt am Mittwoch, bei der ein 16-jähriges Mädchen und ein 19-jähriger Mann getötet sowie mehrere Menschen verletzt wurden, bleiben Fragen offen. Vor allem wird Kritik am Umgang der Justiz mit dem Tatverdächtigen Ibrahim A. laut. Der 33-jährige staatenlose Palästinenser war mehrfach verurteilt und erst vor wenigen Tagen aus der Untersuchungshaft entlassen worden.
Welche Fehler werden der Justiz vorgeworfen?
Das Verfahren dauerte zu lang. Ibrahim A. war freigekommen, weil die Dauer der Untersuchungshaft drohte, die Strafe des Gerichts zu überschreiten. Nach Angaben der Hamburger Justizbehörde sei bei einer psychiatrischen Begutachtung vor Entlassung zudem keine Fremdund
Selbstgefährdung festgestellt worden. Laut „Welt“hatte allerdings schon das Amtsgericht St. Georg beim Urteilsspruch im vergangenen Jahr die Wahrscheinlichkeit zur erneuten Straffälligkeit auf 50 Prozent geschätzt.
Hätte der Mann abgeschoben werden müssen?
Nein, das setzt voraus, dass die betroffene Person „vollziehbar ausreisepflichtig“ist. Laut einer Sprecherin des Kieler Sozialministeriums war dies bei dem Mann nicht der Fall. Laut Wissenschaftlichem Dienst des Bundestages ist der Aufenthalt Staatenloser rechtmäßig, wenn sie über einen Aufenthaltstitel verfügen. Dem Tatverdächtigen wurde 2016 sogenannter subsidiärer Schutz gewährt. 2021 sei zwar ein Verfahren auf Rücknahme des Schutzes eingeleitet worden. Der Ausgang ist laut Kieler Innenministerium aber unklar.
Warum ist die Abschiebung Staatenlosen schwierig? von
Es müsste sich ein Staat finden, der die abgeschobene Person aufnimmt. Eine Ausweisung dürfe nur aus Gründen der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung erfolgen, erklärte Holger Hoffmann, Rechtsanwalt für Flüchtlingsrecht, im Asylmagazin des Informationsverbundes Asyl & Migration.
Eine Abschiebung von Staatenlosen an frühere Aufenthaltsorte ist auch möglich, wenn kein Staatsangehörigkeitsstatus geklärt wurde, so ein Bericht des Staatenlosigkeits-index. Nach Medienberichten ist dieser beim Tatverdächtigen von Brokstedt aber unbekannt. In seiner Heimat Gaza soll er vor seiner Flucht 2014 nach Deutschland durch die Hamas misshandelt worden sein, heißt es in Gerichtsunterlagen.
Greift die Justiz hart genug gegen Intensivtäter durch?
Beim gesetzlichen Rahmen für den Datenaustausch zwischen Behörden sei „noch Luft nach oben“, sagt Günter Krings, rechtspolitischer Sprecher der CDU-/CSU-BUNdestagsfraktion, gegenüber dieser Zeitung. „Kettenbewährungsstrafen“würde die Union gern einen Riegel vorschieben. Diese sollten „grundsätzlich nicht mehr möglich sein, damit Straftäter, die innerhalb der laufenden Bewährungszeit erneut wegen einer Gewalttat verurteilt werden, künftig nicht erneut auf Bewährung der Haftstrafe entgehen können“, sagt Krings.