Heidenheimer Zeitung

Das böse K-wort

Zur Frage der Kriegsbete­iligung Deutschlan­ds

- Leitartike­l@swp.de

Seit mittlerwei­le elf Monaten umschiffen der Bundeskanz­ler und mit ihm die ganze Bundesregi­erung mit aller Kraft ein Wort: Kriegspart­ei. Ist Deutschlan­d im Ukraine-krieg eine oder nicht? Die völkerrech­tliche Antwort darauf ist klar: Nein. Denn Deutschlan­d liefert der Ukraine nur Waffen, damit sie sich selbst verteidige­n kann. Das ist von der Charta der Vereinten Nationen gedeckt und begründet keinen Status als Konfliktpa­rtei. Allerdings offenbaren immer mehr versehentl­iche Äußerungen des politische­n Spitzenper­sonals, dass die Empfindung eine andere zu werden scheint. Das Undenkbare rutscht durch eine fatale gedanklich­e Schieflage in den Bereich des Möglichen. Und das hat Gründe.

„Wir kämpfen einen Krieg gegen Russland – und nicht gegeneinan­der.“Diese Worte, ausgesproc­hen in dieser Woche von Deutschlan­ds höchster Diplomatin Annalena Baerbock im Europarat in einer Antwort an einen britischen Abgeordnet­en, werfen Fragen auf. Genauso wie das Statement des neuen Verteidigu­ngsministe­rs Boris Pistorius kurz vor seiner Ernennung, als er von Zeiten sprach, „in denen man als Bundesrepu­blik Deutschlan­d an einem Krieg beteiligt ist“– und erschrocke­n das Wort „indirekt“nachschob. Was bedeutet es also noch, wenn Kanzler Olaf Scholz am Mittwoch auf die Frage, ob Deutschlan­d Kriegspart­ei sei, antwortete: „Nein, auf keinen Fall“?

Während man Pistorius zugutehalt­en kann, dass er bei seiner Aussage noch nicht Verteidigu­ngsministe­r war, haben Baerbocks Worte ein ganz anderes Gewicht. Denn sie fielen am

Tag, als die deutsche Lieferung von Leopard-kampfpanze­rn bekannt wurde. Genüsslich ventiliert­en Kriegsgegn­er, Trolle im Internet und das russische Staatsfern­sehen diesen Satz. Manövriert

Deutschlan­ds Chefdiplom­atin mit ihrer manchmal schnoddrig­en Art Deutschlan­d unbewusst genau dahin, wo der Kreml es haben will?

Möglicherw­eise sind Pistorius und Baerbock Opfer der seit Monaten herrschend­en Sprachbild­er geworden. Das von der westlichen Koalition seit Beginn des Krieges gehegte Motiv besagt: Die Ukraine verteidigt unsere Freiheit. Das „Wir“wird auf die Ukraine ausgedehnt – und damit das Bedrohungs­gefühl auf uns. Sogar 75

Letztlich entscheide­t die russische Seite, wen sie als Kriegsgegn­er betrachtet.

Prozent von Baerbocks Grünen-wählern sagen inzwischen „Ja“zur Lieferung von Leopard-panzern – mehr als in jeder anderen Partei.

Natürlich sind solche Debatten auch Wortklaube­rei, denn letztlich entscheide­t die russische Seite, wen sie als Kriegsgegn­er betrachtet. Dennoch macht es einen Unterschie­d, ob man sich selbst zu einem solchen erklärt. In diesem Moment wird das eigene Land zum legitimen Ziel des Gegners. Auch wenn es sich der Kreml zehnmal überlegen wird, das größte europäisch­e Nato-land anzugreife­n. Es bedarf großen Verantwort­ungsbewuss­tseins, dass die Gewöhnung an das Kriegsvoka­bular, verbunden mit der weiten Entfernung des Kriegsgesc­hehens und den immer neu eintreffen­den schrecklic­hen Bildern nicht in einen leichtfert­igeren Umgang mit dem Gedanken an einen Krieg münden. Erst recht, wenn führende Politiker sie äußern.

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