Heidenheimer Zeitung

„Schön, wieder bei der Truppe zu sein“

Gerade mal eine Woche ist der neue Verteidigu­ngsministe­r im Amt. Er weiß genau: Von ihm wird erwartet, dass der Zustand der Bundeswehr endlich besser wird. Beim Soldatenbe­such trifft er zumindest schon mal den richtigen Ton.

- Von Ellen Hasenkamp

Ein Ministerbe­such bei der Truppe ist etwas, das bei der Bundeswehr immer mittlere Aufregung und große Vorbereitu­ngen auslöst. Es wird etwa ein minutengen­auer Ablauf erstellt, der anschließe­nd mit schöner Regelmäßig­keit zwischen Waffenvorf­ührung, Soldatenge­spräch und Stubenbesi­chtigung unter die Räder kommt. „Hinter dem Zeitplan“zu sein, löst dann zusätzlich­e Hektik aus. Noch schlimmer ist nur eines: wenn der Besuch zu früh kommt.

Es ist zehn Minuten vor der Zeit, als die Limousine von Bundesvert­eidigungsm­inister Boris Pistorius vor der Truppenübu­ngsplatzko­mmandantur Altengrabo­w hält. Gastgeber Oberstleut­nant Eugen Poch und über 60 Journalist­en mit ihren Kameras, Mikrofonen und Smartphone­s haben gerade noch rechtzeiti­g Aufstellun­g genommen. Zum ersten Mal trifft der Neue die Truppe, da ist sogar ein britischer Fernsehsen­der live dabei. Die auf Englisch zugerufene­n Fragen, die sich natürlich um deutsche Panzer drehen, beantworte­t der Spd-minister prompt, kaum dass er die Winterjack­e angezogen und Kommandant Poch die Hand geschüttel­t hat.

Im In- und Ausland werden von Deutschlan­d jetzt sehr dringend Antworten erwartet: Es geht um die Neuaufstel­lung der Bundeswehr und die Rolle der Bundesrepu­blik in der Welt. Es geht um Bürokratie und warme Unterwäsch­e sowie um nukleare Teilhabe und die Verlässlic­hkeit im Bündnis. Und Pistorius, so sieht es aus, scheint sich nicht wegducken zu wollen. Er bringt einen neuen Ton mit und ein neues Tempo. Dass das allein aber nicht reichen wird für das derzeit wohl schwierigs­te Ministeram­t in Berlin, weiß er selbst.

Es ist Pistorius‘ siebter Tag im Job, wie er selber später vorrechnet. „Nächste Woche höre ich auf, zu zählen.“Aber noch ist alles neu, und die ersten Male überschlag­en sich. Bereits in seiner ersten Stunde als Minister hatte er vergangene Woche den französisc­hen Kollegen am Autotelefo­n und den Us-ressortche­f im Büro. 24 Stunden später vertrat er sein Land im Kreis von über 30 Nationen auf der Ukraine-konferenz in Ramstein – und musste dort gleich den Kopf hinhalten für die damals noch unentschlo­ssene deutsche Haltung in Sachen Kampfpanze­r.

Jetzt also: Begegnung mit den Soldaten, Besichtigu­ng der Schießausb­ildung, Fahrt mit dem Schützenpa­nzer. Der Jurist und Berufspoli­tiker Pistorius betritt in robusten Wanderschu­hen die Bundeswehr-wirklichke­it. Es ist ein weiterer Test für ihn, der seit einer Woche Inhaber der Befehls- und Kommandoge­walt (IBUK) einer Truppe mit mehr als 180 000 Soldaten ist. Es ist aber auch eine Art Heimspiel nach einer Woche voller Auswärtsbe­gegnungen: Ein Jahrzehnt lang war er als Innenminis­ter in Niedersach­sen sozusagen auch oberster Polizeiche­f. Ähnliches Milieu, ähnliche Mentalität­en – „das hat er drauf“, sagen die, die ihn aus dem vorherigen Amt kennen.

Die Botschaft lautet: Kenne ich, mag ich

Vor der Schießbahn 18 begrüßt ihn Logistik-kommandeur Thorsten Fennel: „Hallo“, sagt Pistorius, „schön, wieder bei der Truppe zu sein“. Und dann noch, dass ihn das Szenario – feucht-kaltes Wetter, Zielscheib­en, Heidegelän­de mit Kiefern und Birken – an seine „Ausbildung vor 40 Jahren erinnert“. Genau diese Sätze wird Pistorius später während der Pressekonf­erenz noch einmal für alle gut hörbar ins Mikrofon sagen. Kenne ich, mag ich – das ist die Botschaft. Dabei hat er, wie selbstvers­tändlich, statt seiner eigenen grünen Jacke plötzlich einen Flecktarn-parka der Bundeswehr an.

Der 62 Jahre alte Sozialdemo­krat ist nach längerer Zeit und drei Vorgängeri­nnen im Amt wieder ein Ressortche­f, der gedient hat. Beinahe sogar wäre der Wehrdienst­leistende Pistorius Anfang der 80er Jahre am Gepard ausgebilde­t worden, dem Flugabwehr­panzer, den die Bundeswehr zwar längst ausgemuste­rt hat, der inzwischen aber in der Ukraine wertvolle Verteidigu­ngsdienste leistet. „Daraus ist dann nichts geworden“, so erzählt es Pistorius, „weil der Kommandeur einen neuen Fahrer suchte.“

Gleich in seinem allererste­n Statement nach der Ernennung versprach er: „Die Truppe kann sich darauf verlassen, dass ich mich, wann immer es nötig ist, vor sie stellen werde.“In der Bundeswehr kommt so etwas natürlich gut an. Wenngleich es, nach den Erfahrunge­n der zurücklieg­enden Jahre, auch viel Misstrauen und noch mehr Erwartunge­n gibt. Wir haben schon so viel gehört, lautet der Tenor in den Kasernen sowie im Ministeriu­m in Berlin. Es wird Zeit, dass sich wirklich etwas ändert. Dass es endlich besser wird.

Kommandeur Fennel jedenfalls wirkt erstmal zufrieden nach der Begegnung mit Pistorius. Wenngleich er zugibt: Einen echten Vergleich habe er nicht. Dabei ist es derzeit vor allem der Vergleich mit seiner Vorgängeri­n, der Pistorius hilft. Die Latte hängt wirklich niedrig und das allgemeine Aufatmen nach dem Ende von Christine Lambrechts Amtszeit ist Rückenwind für den Neuen. Pistorius kann Punkte sammeln, auch im Kleinen: Wenn er den Namen des französisc­hen Ministers Sébastien Lecornu tadellos ausspricht. Wenn er Nato-generalsek­retär Jens Stoltenber­g mit der Bemerkung begrüßen kann, man kenne sich ja schon seit Jahren aus der Parlamenta­rischen Versammlun­g des Bündnisses. Wenn er allen 30 Panzergren­adieren, die in Altengrabo­w aufgereiht vor ihm stehen, einzeln die Hand gibt. Und wenn er Dinge beim Namen nennt.

Zum Beispiel bei jener Ramstein-konferenz vergangene Woche, bei der die Frage nach deutschen Kampfpanze­r-lieferunge­n tief und bedrängend im Raum hing. Pistorius zählt vor Journalist­en fast fünf Minuten lang auf, was Deutschlan­d schon alles an militärisc­her Unterstütz­ung für die Ukraine leiste. Pause. „Nun sind Sie nicht hier, vermutlich, um all das zu hören.“Allgemeine­s Grinsen. Wieder kleine Pause. Dann bekennt der frischgeba­ckene Minister, wann und wie die Leopard-frage beantworte­t werde, könne er leider noch nicht sagen. Und wirkt dabei ziemlich souverän.

Kanzler Olaf Scholz dagegen hatte in ähnlicher Lage wenige Tage zuvor, als er nämlich noch keine Antwort hatte auf den Schlamasse­l nach Lambrechts Rücktritt, buchstäbli­ch die Flucht angetreten vor den Journalist­en-fragen. Statt Nochnichtw­issen einzuräume­n, hätte er sich beim hektischen Rückzug sogar fast ins falsche Fahrzeug gesetzt.

Man darf also besonders gespannt sein, wie das Duo Scholz-pistorius funktionie­ren wird. Dass er vermutlich nicht Scholz‘ allererste Wahl war und erst am

Tag vor Bekanntgab­e seiner Ernennung überhaupt vom Kanzler gefragt wurde, auch das plauderte Pistorius bereits freimütig aus. Scholz wäre es dagegen vermutlich lieber gewesen, den Anschein eines sehr sehr sorgfältig­en und sehr sehr früh eingefädel­ten Plans zu wahren. Immerhin aber bescheinig­t der Kanzler Pistorius „die Kraft und Ruhe, die man für eine so große Aufgabe angesichts der jetzigen Zeitenwend­e braucht“.

Unter Lambrecht war das Verteidigu­ngsressort quasi vom Kanzleramt aus mitgeführt worden. Das wird Pistorius sich nicht bieten lassen können. Den Erfolg aber brauchen beide: Scholz und sein neuer Minister.

Pistorius ist nicht der erste, den es als erfahrenen Landespoli­tiker auf die Bühne der Bundespoli­tik schleudert. Und er wäre nicht der erste, den die Härte des Betriebs wieder zurückschl­eudert. Der Sozialdemo­krat macht bislang allerdings nicht den Eindruck, als würde ihn das alles sonderlich beeindruck­en. Pistorius habe ein „breites Kreuz“, heißt es. Das gilt wohl auch privat: Seine Frau Sabine erlag 2015, mitten in der Flüchtling­skrise, einem Krebsleide­n. Auf dem Weg zu ihrer Beerdigung erfuhr Pistorius dann vom Tod seiner Mutter. Eine Fragestund­e im Landtag kurz darauf sagte der Innenminis­ter dennoch nicht ab.

Auf dem Truppenübu­ngsplatz Altengrabo­w hat derweil das „Zuggefecht­sschießen mit auf- und abgesessen­en Teilen in der Operations­art Angriff im scharfen Schuss“begonnen. Schützenpa­nzer rasen vorbei, Dieselwolk­en und Pulverdamp­f wehen über die Heide, es knallt, Geschossle­uchtspuren sind zu sehen. Pistorius ist zuvor selbst auf einem Puma – rote Ohrschütze­r, kein Helm – herangeras­t. Was für die Soldaten mit grüner Farbe im Gesicht und Zweigen auf den Helmen Arbeitsall­tag ist, ist für den Minister heikel: Es muss authentisc­h aussehen und würdig zugleich. Ressortche­fkopf aus Panzerluke spähend, das ist ein politische­s Vexierbild. Lächerlich, wenn der Rest nicht stimmt, irgendwie cool, wenn es stimmt. Bei Lambrecht wurden derlei Aufnahmen zuletzt gerne genommen, um zu illustrier­en, wie fehl am Platz sie ist. Bei Pistorius sieht es im Moment gut aus, künftige Verwendung allerdings offen. Er fängt gerade erst an.

Es ist derzeit vor allem der Vergleich mit seiner Vorgängeri­n, der Pistorius hilft. Die Latte hängt wirklich tief.

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Foto: Imago/florian Gaertner/photothek.de Hat selbst gedient und weist auch gerne darauf hin: der neue Verteidigu­ngsministe­r Boris Pistorius.

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