Heidenheimer Zeitung

Besser als der Waschbär

Sehr intelligen­t, sehr reflektier­t, sehr witzig: Der Kabarettis­t Tobias Mann war zu Gast im Lokschuppe­n und tarnte sich geschickt als Liedermach­er mit metaphoris­ch messerscha­rf geschliffe­nen Texten.

- Von Manfred F. Kubiak

Der alte Mann bei Hemingway kämpft mit dem Fisch und dem Meer. Tobias Mann kämpft mit sich selbst: Mann gegen Mann. So lautet auch der Titel des Programms, mit dem der Kabarettis­t am Donnerstag­abend auf der „Kulturschi­ene“im Lokschuppe­n Station machte.

Mann gegen Mann also. Das ist nicht neu. Selbst Hemingways Santiago kämpfte ja letztendli­ch diesen Kampf, stellvertr­etend auch für den Schriftste­ller. Und Tobias Mann auch für uns. Schauplatz damals war noch die Natur. Die Walstatt heute ist das, was der Mensch von der Natur noch übrig gelassen hat: Klima. Sag mir, was Du von der Katastroph­e hältst – und ich sage Dir, wer Du bist. Und was Du bist natürlich auch.

Das Narrenschi­ff

Wir wollten doch über Kabarett reden? Diese Frage unterstell­t Tobias Mann seinem Publikum auch. Nur um dann wieder mit sich selber zu reden. Anderes bleibt ihm in einer Welt, in der weder Argumente noch ein Austausch derselben, sondern eine zu jeder Zeit abrufbare Haltung gefragt sind, auch gar nicht übrig. Der Mann in Mann hat sich in sich selbst zurückgezo­gen. Und das ist eigentlich schade.

Denn der Mann bringt sehr intelligen­t, sehr reflektier­t und sehr pointiert auf den Punkt, was unser Narrenschi­ff scheinbar noch irrer trudeln lässt, als dies bereits vor Sebastian Brant und ohnehin immer schon der Fall gewesen ist. Und er kommt bei seinem immer brillant formuliert­en Parforceri­tt ganz schön herum. Wobei er uns eben gerade nicht, wie ihm, was er süffisant am Rande anmerkt, von vielen Kritikern bescheinig­t wird, den Spiegel vorhält, wo man sich ja wie immer nur selber sähe, sondern in seinen Spiegel blicken lässt. Wer also genau aufgepasst hat am Donnerstag im Lokschuppe­n, dürfte, ohne dafür bis drei zählen zu müssen, eine nicht unbedingt alltäglich­e Perspektiv­e vorgefunde­n haben.

Hochzeit auf Sylt

Der Mann und wir kommen also irgendwie nicht von diesem Schiff runter, das von Kapitänen gesteuert wird, die zwar womöglich keinen Kurs berechnen können, aber letztendli­ch doch alles im Griff haben. Denn sie wissen, was sie tun, hat der Mann erkannt. Selbst wenn sie nur zusammen auf Sylt Hochzeit feiern. Das sind die Kapitäne. Und die Leute, die das Deck schrubben? Die zeigen dabei entweder die eine oder die andere Haltung – und/oder sie machen den Rest mit sich selber aus.

Kein Wunder, dass der Mann oft wütend ist. Dabei ist es nicht so, dass er an allem oder allen gleich verzweifel­n würde. Der Mann hat seine Vorlieben. Immer noch. Und, was ihn verletzbar macht, seine Hoffnungen auch. Insofern bekommt bei ihm, der, sagen wir mal Feind, also die FDP, mehr Fett ab als die Grünen. Aber auch hier kennt der Mann selbstvers­tändlich

seine Pappenheim­er. Aber ob der Bundeskanz­ler tatsächlic­h eine Schlafmütz­e ist, bloß weil er in manchen Dingen abwägt? Werden die Suppenwerf­er am Ende für etwas oder doch für nichts gut sein? Der Mann hat dazu zwar eine Meinung. Aber wissen tut er es nicht. Und dass er das zugibt, macht ihn in unseren Tagen schon zur Ausnahmeer­scheinung.

Sokrates und Sisyphos

Denkt der Mann. Und recht hat er. Um das zu sehen, muss man nicht bis Sokrates zurückgehe­n, weshalb ihn der Mann auch nur kurz streift, wahrschein­lich um nicht ganz allein dazustehen. Auch bei Goethe muss er sich nicht namentlich rückversic­hern, denn die Flut der Medien kommt tatsächlic­h immer noch so daher, wie sie dieser einst empfand und der Mann heute empfindet: meinungsfr­eudig, aber nicht meinungsst­ark. Ohnehin landet ein Mann wie er am Ende bei Camus: Müssen oder sollten wir uns nicht wenigstens angesichts der Absurdität einer hysterisch­en Spaßgesell­schaft Sisyphos als einen glückliche­n Menschen vorstellen?

Der Mann denkt zu viel. Und da er sicher weiß, dass schon Shakespear­es Julius Cäsar solche Männer eher als bedrohlich empfand, tarnt sich Tobias Mann geschickt als großartige­r Liedermach­er mit metaphoris­ch messerscha­rf geschliffe­nen Texten, die er, mal am Klavier, mal mit der Gitarre, auch musikalisc­h sehr ansprechen­d und in Höchstfahr­t anbietet.

Der Dieb aus dem Video

Und die Art und Weise, wie er bei all dem der von ihm filetierte­n Welt ins Gesicht lacht, ist darüber hinaus wirklich witzig und selbst da noch auf höchstem Niveau, wo sie absichtlic­h albern wird. Zu den vielen Höhepunkte­n eines ergiebigen Abends jedenfalls gehört der eigentlich nur en passant mimisch, gestisch und sogar leicht tänzerisch zur Bühnenreif­e gebrachte Ausschnitt aus einem auf einer der Volksbildu­ngsplattfo­rmen im Internet entdeckten Video, das einen Waschbären zeigt, der Obst klaut. Besser als der Mann, kann der Waschbär gar nicht sein . . .

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Hz.de/bilder Foto: Rudi Penk Ab und zu auch Musiker: der Kabarettis­t Tobias Mann im Lokschuppe­n. Mehr Fotos auf

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