Besser als der Waschbär
Sehr intelligent, sehr reflektiert, sehr witzig: Der Kabarettist Tobias Mann war zu Gast im Lokschuppen und tarnte sich geschickt als Liedermacher mit metaphorisch messerscharf geschliffenen Texten.
Der alte Mann bei Hemingway kämpft mit dem Fisch und dem Meer. Tobias Mann kämpft mit sich selbst: Mann gegen Mann. So lautet auch der Titel des Programms, mit dem der Kabarettist am Donnerstagabend auf der „Kulturschiene“im Lokschuppen Station machte.
Mann gegen Mann also. Das ist nicht neu. Selbst Hemingways Santiago kämpfte ja letztendlich diesen Kampf, stellvertretend auch für den Schriftsteller. Und Tobias Mann auch für uns. Schauplatz damals war noch die Natur. Die Walstatt heute ist das, was der Mensch von der Natur noch übrig gelassen hat: Klima. Sag mir, was Du von der Katastrophe hältst – und ich sage Dir, wer Du bist. Und was Du bist natürlich auch.
Das Narrenschiff
Wir wollten doch über Kabarett reden? Diese Frage unterstellt Tobias Mann seinem Publikum auch. Nur um dann wieder mit sich selber zu reden. Anderes bleibt ihm in einer Welt, in der weder Argumente noch ein Austausch derselben, sondern eine zu jeder Zeit abrufbare Haltung gefragt sind, auch gar nicht übrig. Der Mann in Mann hat sich in sich selbst zurückgezogen. Und das ist eigentlich schade.
Denn der Mann bringt sehr intelligent, sehr reflektiert und sehr pointiert auf den Punkt, was unser Narrenschiff scheinbar noch irrer trudeln lässt, als dies bereits vor Sebastian Brant und ohnehin immer schon der Fall gewesen ist. Und er kommt bei seinem immer brillant formulierten Parforceritt ganz schön herum. Wobei er uns eben gerade nicht, wie ihm, was er süffisant am Rande anmerkt, von vielen Kritikern bescheinigt wird, den Spiegel vorhält, wo man sich ja wie immer nur selber sähe, sondern in seinen Spiegel blicken lässt. Wer also genau aufgepasst hat am Donnerstag im Lokschuppen, dürfte, ohne dafür bis drei zählen zu müssen, eine nicht unbedingt alltägliche Perspektive vorgefunden haben.
Hochzeit auf Sylt
Der Mann und wir kommen also irgendwie nicht von diesem Schiff runter, das von Kapitänen gesteuert wird, die zwar womöglich keinen Kurs berechnen können, aber letztendlich doch alles im Griff haben. Denn sie wissen, was sie tun, hat der Mann erkannt. Selbst wenn sie nur zusammen auf Sylt Hochzeit feiern. Das sind die Kapitäne. Und die Leute, die das Deck schrubben? Die zeigen dabei entweder die eine oder die andere Haltung – und/oder sie machen den Rest mit sich selber aus.
Kein Wunder, dass der Mann oft wütend ist. Dabei ist es nicht so, dass er an allem oder allen gleich verzweifeln würde. Der Mann hat seine Vorlieben. Immer noch. Und, was ihn verletzbar macht, seine Hoffnungen auch. Insofern bekommt bei ihm, der, sagen wir mal Feind, also die FDP, mehr Fett ab als die Grünen. Aber auch hier kennt der Mann selbstverständlich
seine Pappenheimer. Aber ob der Bundeskanzler tatsächlich eine Schlafmütze ist, bloß weil er in manchen Dingen abwägt? Werden die Suppenwerfer am Ende für etwas oder doch für nichts gut sein? Der Mann hat dazu zwar eine Meinung. Aber wissen tut er es nicht. Und dass er das zugibt, macht ihn in unseren Tagen schon zur Ausnahmeerscheinung.
Sokrates und Sisyphos
Denkt der Mann. Und recht hat er. Um das zu sehen, muss man nicht bis Sokrates zurückgehen, weshalb ihn der Mann auch nur kurz streift, wahrscheinlich um nicht ganz allein dazustehen. Auch bei Goethe muss er sich nicht namentlich rückversichern, denn die Flut der Medien kommt tatsächlich immer noch so daher, wie sie dieser einst empfand und der Mann heute empfindet: meinungsfreudig, aber nicht meinungsstark. Ohnehin landet ein Mann wie er am Ende bei Camus: Müssen oder sollten wir uns nicht wenigstens angesichts der Absurdität einer hysterischen Spaßgesellschaft Sisyphos als einen glücklichen Menschen vorstellen?
Der Mann denkt zu viel. Und da er sicher weiß, dass schon Shakespeares Julius Cäsar solche Männer eher als bedrohlich empfand, tarnt sich Tobias Mann geschickt als großartiger Liedermacher mit metaphorisch messerscharf geschliffenen Texten, die er, mal am Klavier, mal mit der Gitarre, auch musikalisch sehr ansprechend und in Höchstfahrt anbietet.
Der Dieb aus dem Video
Und die Art und Weise, wie er bei all dem der von ihm filetierten Welt ins Gesicht lacht, ist darüber hinaus wirklich witzig und selbst da noch auf höchstem Niveau, wo sie absichtlich albern wird. Zu den vielen Höhepunkten eines ergiebigen Abends jedenfalls gehört der eigentlich nur en passant mimisch, gestisch und sogar leicht tänzerisch zur Bühnenreife gebrachte Ausschnitt aus einem auf einer der Volksbildungsplattformen im Internet entdeckten Video, das einen Waschbären zeigt, der Obst klaut. Besser als der Mann, kann der Waschbär gar nicht sein . . .