Der Schwarm ist die Zukunft
Wie Museum Ulm und Nrw-forum Düsseldorf mit der offenen Digtal-plattform „nextmuseum.io“Besucher und Künstler zu Mit-kuratoren machen.
So richtig positive Botschaften sucht man auf dieser Kleiderstange im Museum Ulm vergebens. Aber sie steht schließlich auch in der Ausstellung „Protest! gestalten“. Marina Bauernfeind holt die einzelnen Stücke nacheinander hervor. Das rote T-shirt mit dem Aufdruck „Europe is lost“, den Bademantel mit dem Hashtag #fridaysforoffline, auch den weißen Hoodie in Mädchengröße, auf dem, von bunten Stinkefingern umkreist, der Schriftzug „Fuck NFTS“prangt. Es könnte ein Merchandise-shop für auf Krawall gebürstete „Digital Natives“sein. Tatsächlich ist die Auswahl selbst ein Beispiel dafür, wie Museen die digitalen Kanäle nicht nur für Werbung, sondern für ihre Arbeit nutzen können. Alle Designs kamen über die Plattform „nextmuseum.io“in die Ausstellung.
Die Marketing-expertin Bauernfeind betreut seit 2020 für das Museum Ulm dieses Projekt, eine Kooperation mit dem Nrw-forum Kunstpalast in Düsseldorf, gefördert mit 760 000 Euro von
Die Museen geben ein Stück Kontrolle ab. Wie viel, entscheidet jedes Haus selbst.
der Kulturstiftung des Bundes. Mit Geld aus diesem „Fonds Digital“entwickeln zum Beispiel auch das Kunstmuseum Stuttgart und die Kunsthalle Mannheim ein digitales Vermittlungsformat – für Kunst aus ihren eigenen Sammlungen. Ulm und Düsseldorf hingegen wollen der gesamten Museums- und Kunstwelt neue Wege aufzeigen.
Als „Plattform für Schwarmkuration und Co-kreation“bezeichnen die beiden Häuser „nextmuseum.io“. Normalerweise entstehen Ausstellungen meistens in etwa so: Eine Idee wird formuliert, Kuratorinnen und Kuratoren suchen die passende Kunst, am Ende kommt das Publikum und schaut sich das Ergebnis an, vielleicht darf es noch Lob und Kritik im Gästebuch oder – innovativ! – an einer digitalen Pinnwand hinterlassen. Mit „nextmuseum. io“wird ein neuer Kanal geöffnet: Die Museen – mitmachen darf jeder – posten auf der Plattform ihre Konzepte als „Open Call“, also offene Ausschreibung. Künstlerinnen und Künstler reichen digital Arbeiten ein und stellen zusammen mit anderen Kunstinteressierten auch gleich die Ausstellung zusammen.
Das Kollektiv übernimmt die Kontrolle – im Extremfall. Das Zeppelin Museum Friedrichshafen hat für „Beziehungsstatus: Offen. Kunst und Literatur am Bodensee“einen Raum komplett von der Netz-community bestücken lassen, die Endauswahl entstand per Online-abstimmung. Die Initiatoren selbst gingen in ihren Projekten nicht ganz so weit. Bei „Kunstreichgewächse“
in Ulm etwa entschied Direktorin Stefanie Dathe als Kuratorin über die finale Auswahl. Bauernfeind: „Schwarmkuration ist keine Anarchie, sondern ein moderierter Prozess, in dem ausgewogen miteinander gearbeitet wird.“
Auch im Nrw-forum, das über keine Sammlung verfügt, nutzt man „nextmuseum.io“als Kanal, über den neuer Input in das Haus strömt. Alain Bieber, künstlerischer Leiter, will die Möglichkeiten nicht mehr missen: „Wir haben so Namen entdeckt, die uns vorher kein Begriff waren.“Alina Fuchte, die Düsseldorfer Projektmanagerin, berichtet auch von regen Diskussionen. „Da hat sich eine richtige Community gebildet.“Das Nrw-forum hat unter anderem eine Schau über „Subversives Design“zusammengestellt und nach Kunst für die „AR Biennale“gesucht.
Am besten funktioniert die Plattform bei Themen, die eng mit der Netzwelt verknüpft sind, Digital- und Videokunst, Virtual und Augmented Reality. So erreiche man auch neue Zielgruppen. „Wir kommen nicht mit dem Ausstellungsplakat um die Ecke, sondern mit den Themen“, sagt Bauernfeind. Themen, für die die Spezialisten immer noch zumeist außerhalb der Kunstinstitutionen sitzen. „Schwarmkuration bringt
einem nicht viel, wenn man mit einer historischen Sammlung arbeitet“, sagt Bauernfeind. Aber wäre es nicht auch da spannend, neue Blicke auf die bekannten Objekte zu bekommen, neue Verbindungen herzustellen? Der Schwarm ließe sich auf viele Arten anzapfen.
Noch ist „nextmuseum.io“ein „lebender Prototyp“, wie es Bauernfeind beschreibt, immer wieder werden neue Ideen implementiert und alte verworfen. Anfangs gab es einen ausgelagerten Chat auf Telegram, bis dieses zum Lieblingstreff der Rechten und Querdenkenden wurde, zudem war die Trennung von der Plattform kontraproduktiv. Gelernt haben
die Macherinnen auch, dass „nextmuseum.io“keine Seite ist, die man schnell auf dem Handy ansurft. Am Anfang sei „Mobile first“die Idee gewesen, sagt Bauernfeind, inzwischen „Desktop first“. Schwarmkuration geht eben nicht nebenbei.
In diesem Jahr wollen die Projektpartner noch stärker das „normale“Publikum auf die Seite locken. Eine größere Herausforderung: In der Kunst- und Techbubble spricht man eine andere Sprache als im Museumsfoyer. „Über Kunst reden ist nicht einfach, wenn man kein Professional ist“, sagt Bauernfeind. 2023 ist aber auch das letzte Jahr, in dem „nextmuseum.io“von der Bundeskulturstiftung gefördert wird.
Danach wollen Bauernfeind und ihre Kollegin Fuchte die Plattform als DAO (Dezentralisierte Autonome Organisation) weiterführen, eine Art Onlineverein, abgesichert über Blockchain-technologie. Museen und Kunstschaffende würden die Plattform dann selbst verwalten, sie wäre nicht mehr an bestimmte Institutionen gebunden. Damit wäre „nextmuseum.io“noch tiefer im „Web3“angekommen – und erst recht ein Vorbild für partizipative Museumsarbeit. Bauernfeind: „Da passiert etwas, da verändert sich etwas.“