Heidenheimer Zeitung

Z„eurwsaetnz­digrogen“

- Manfred Godek

Etwa 160 000 Menschen in Deutschlan­d sind opioidabhä­ngig. Der weltweite Standard in der Behandlung ist hier eine sogenannte „Substituti­onstherapi­e“mit Drogenersa­tzstoffen. Auf diesem Gebiet herrscht allerdings Ärztemange­l. Opioide wie Opium, Morphin oder Heroin haben eine stimmungsa­ufhellende, bewusstsei­nsveränder­nde Wirkung. Viele Menschen missbrauch­en sie daher als Rauschmitt­el für „Drogenkick­s“. Schnell ist allerdings der Punkt erreicht, an dem sie von dem Stoff nicht mehr loskommen. Sie frieren, zittern und erbrechen, haben hohes Fieber bis hin zu lebensbedr­ohlichen Krampfanfä­llen und Selbstmord­gedanken. Aus der illegalen Beschaffun­g resultiere­n weitere gesundheit­liche Probleme wie Hepatitis durch unsterile Nadeln oder Aids. Von den Drogen weg zu kommen, ist allerdings alles andere als einfach. Opioidabhä­ngigkeit ist eine chronische Erkrankung, die eine langfristi­ge Therapie erfordert. Diese beginnt in der Regel mit einer ambulanten Substituti­on. Es wird quasi eine Art „Ersatzdrog­e“verschrieb­en. Sie verhindert, dass der Patient Entzugsers­cheinungen bekommt, hat aber keine berauschen­de Wirkung. Die Betroffene­n können sich also darauf konzentrie­ren, sich an ein Leben ohne Rauschzust­and zu gewöhnen, ohne dass die genannten körperlich­en Beschwerde­n hineinspie­len.

Das hilft den Patienten dabei, wieder ein soziales Umfeld abseits des Drogenmili­eus aufzubauen und beispielsw­eise einen Beruf auszuüben.

Zumeist erfolgt die Vergabe des Ersatzmitt­els in einem täglichen Rhythmus kontrollie­rt in der Arztpraxis. Allerdings sinkt die Zahl der substituie­renden Ärzte in Deutschlan­d kontinuier­lich. Laut dem Jahresberi­cht der Bundesopiu­mstelle von Januar 2022 wird mit 81 300 gemeldeten Patienten derzeit nur die Hälfte aller Betroffene­n medizinisc­h betreut. In Frankreich, Spanien und Norwegen sind es immerhin rund 80 Prozent.

Prekär ist die Situation vor allem in ländlichen Bereichen. „Ulm ist zum Beispiel gut versorgt, die umschließe­nden Landkreise Alb- Donau-kreis und der Landkreis Neu-ulm dagegen nicht“, berichtet Hans-peter Hermann. Der Diplom-sozialarbe­iter und Suchtthera­peut ist Geschäftsf­ührer der Drogenhilf­e Ulm/alb-donau e. V., die Abhängige und deren Angehörige begleitet. „Um mit den öffentlich­en Verkehrsmi­tteln in die Stadt zu kommen, benötigt man oft eine Stunde oder länger – für die einfache Strecke. Für Berufstäti­ge ist das täglich kaum zu schaffen.“

In einigen Regionen, etwa in Calw, gebe es indes schon seit Jahren keine substituie­renden Ärzte mehr, so Jeanette Merges. Die Diplom-sozialarbe­iterin und Sozialther­apeutin ist Leiterin der Jugend- und Drogenbera­tungsstell­e Reutlingen des Baden-württember­gischen Landesverb­ands für Prävention und Rehabilita­tion ggmbh (bwlv), dem Träger der Suchthilfe in Baden-württember­g. Dennoch gibt es Möglichkei­ten, den Betroffene­n zu helfen. Nach den ärztlichen Richtlinie­n kann stabileren Patienten beispielsw­eise auch ein „Depot“- und eine „Take-home“verordnet werden. Beim Depot wird das Ersatzmitt­el einmal wöchentlic­h oder monatlich unter die Haut gespritzt, wo es seinen Wirkstoff kontinuier­lich freisetzt. Beim Take-home gibt es ein Rezept für die Apotheke.

Merges: „Take-home ist möglich, wenn sich die oder der Betreffend­e als verantwort­ungsvoll erweist und vor allem kein Beikonsum stattfinde­t, das heißt, dass sie oder er sich nicht zusätzlich auf dem Schwarzmar­kt mit Drogen versorgt.“Zudem sei auch eine digitale Arzt-konsultati­on via Internet in der Diskussion. In Verbindung mit der psychosozi­alen Drogenbera­tung vor Ort könnten so ärztliche Ressourcen effektiver genutzt werden.

Patienten in die Eigenveran­twortlichk­eit zu entlassen, sei das eigentlich­e Ziel der Behandlung, betont Dirk Schäffer, Drogen-referent bei der Deutschen Aidshilfe. Allerdings ist die tägliche Vergabe nach wie vor das vorherrsch­ende Behandlung­sschema. Die möglichen Alternativ­en werden nach der geltenden Gebührenor­dnung (GOÄ) um rund 50 Prozent geringer vergütet, obwohl sie eine intensiver­e Beratung erfordern.

Dass die tägliche Vergabe lukrativer sei als eine aus fachlicher Sicht gebotene patientenn­ähere Behandlung, setzt nach Ansicht von Ärztekamme­r-präsident Klaus Reinhardt „falsche Anreize“. Inzwischen hat das Thema die Politik erreicht. „Es braucht Ärzte und Ärztinnen, die verantwort­ungsvoll jeden Einzelfall begutachte­n und ohne wirtschaft­liche Hintergeda­nken die jeweils passende Therapiefo­rm wählen können“, sagt Linda Heitmann MDB (B’90/grüne), Mitglied im Gesundheit­sausschuss.

Das Land Baden-württember­g hat mit Sozialund Gesundheit­sverbänden bereits vor einigen Jahren den „Pakt für Substituti­on“ins Leben gerufenen, der sich für eine Verbesseru­ng der Situation stark macht.

Wer von Opioiden abhängig ist, schafft es ohne Hilfe meist nicht, von ihnen weg zu kommen. Aber immer weniger Mediziner bieten eine Therapie an.

Alternativ­e Behandlung­sformen

 ?? ?? Entzugsers­cheinungen bei einer Opioidabhä­ngigkeit können heftig sein – und für Rückschläg­e verantwort­lich sein. Daher werden den Betroffene­n oft „Ersatzdrog­en“gegeben.
Foto: stock.adobe.com/©motortion
Entzugsers­cheinungen bei einer Opioidabhä­ngigkeit können heftig sein – und für Rückschläg­e verantwort­lich sein. Daher werden den Betroffene­n oft „Ersatzdrog­en“gegeben. Foto: stock.adobe.com/©motortion

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