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Etwa 160 000 Menschen in Deutschland sind opioidabhängig. Der weltweite Standard in der Behandlung ist hier eine sogenannte „Substitutionstherapie“mit Drogenersatzstoffen. Auf diesem Gebiet herrscht allerdings Ärztemangel. Opioide wie Opium, Morphin oder Heroin haben eine stimmungsaufhellende, bewusstseinsverändernde Wirkung. Viele Menschen missbrauchen sie daher als Rauschmittel für „Drogenkicks“. Schnell ist allerdings der Punkt erreicht, an dem sie von dem Stoff nicht mehr loskommen. Sie frieren, zittern und erbrechen, haben hohes Fieber bis hin zu lebensbedrohlichen Krampfanfällen und Selbstmordgedanken. Aus der illegalen Beschaffung resultieren weitere gesundheitliche Probleme wie Hepatitis durch unsterile Nadeln oder Aids. Von den Drogen weg zu kommen, ist allerdings alles andere als einfach. Opioidabhängigkeit ist eine chronische Erkrankung, die eine langfristige Therapie erfordert. Diese beginnt in der Regel mit einer ambulanten Substitution. Es wird quasi eine Art „Ersatzdroge“verschrieben. Sie verhindert, dass der Patient Entzugserscheinungen bekommt, hat aber keine berauschende Wirkung. Die Betroffenen können sich also darauf konzentrieren, sich an ein Leben ohne Rauschzustand zu gewöhnen, ohne dass die genannten körperlichen Beschwerden hineinspielen.
Das hilft den Patienten dabei, wieder ein soziales Umfeld abseits des Drogenmilieus aufzubauen und beispielsweise einen Beruf auszuüben.
Zumeist erfolgt die Vergabe des Ersatzmittels in einem täglichen Rhythmus kontrolliert in der Arztpraxis. Allerdings sinkt die Zahl der substituierenden Ärzte in Deutschland kontinuierlich. Laut dem Jahresbericht der Bundesopiumstelle von Januar 2022 wird mit 81 300 gemeldeten Patienten derzeit nur die Hälfte aller Betroffenen medizinisch betreut. In Frankreich, Spanien und Norwegen sind es immerhin rund 80 Prozent.
Prekär ist die Situation vor allem in ländlichen Bereichen. „Ulm ist zum Beispiel gut versorgt, die umschließenden Landkreise Alb- Donau-kreis und der Landkreis Neu-ulm dagegen nicht“, berichtet Hans-peter Hermann. Der Diplom-sozialarbeiter und Suchttherapeut ist Geschäftsführer der Drogenhilfe Ulm/alb-donau e. V., die Abhängige und deren Angehörige begleitet. „Um mit den öffentlichen Verkehrsmitteln in die Stadt zu kommen, benötigt man oft eine Stunde oder länger – für die einfache Strecke. Für Berufstätige ist das täglich kaum zu schaffen.“
In einigen Regionen, etwa in Calw, gebe es indes schon seit Jahren keine substituierenden Ärzte mehr, so Jeanette Merges. Die Diplom-sozialarbeiterin und Sozialtherapeutin ist Leiterin der Jugend- und Drogenberatungsstelle Reutlingen des Baden-württembergischen Landesverbands für Prävention und Rehabilitation ggmbh (bwlv), dem Träger der Suchthilfe in Baden-württemberg. Dennoch gibt es Möglichkeiten, den Betroffenen zu helfen. Nach den ärztlichen Richtlinien kann stabileren Patienten beispielsweise auch ein „Depot“- und eine „Take-home“verordnet werden. Beim Depot wird das Ersatzmittel einmal wöchentlich oder monatlich unter die Haut gespritzt, wo es seinen Wirkstoff kontinuierlich freisetzt. Beim Take-home gibt es ein Rezept für die Apotheke.
Merges: „Take-home ist möglich, wenn sich die oder der Betreffende als verantwortungsvoll erweist und vor allem kein Beikonsum stattfindet, das heißt, dass sie oder er sich nicht zusätzlich auf dem Schwarzmarkt mit Drogen versorgt.“Zudem sei auch eine digitale Arzt-konsultation via Internet in der Diskussion. In Verbindung mit der psychosozialen Drogenberatung vor Ort könnten so ärztliche Ressourcen effektiver genutzt werden.
Patienten in die Eigenverantwortlichkeit zu entlassen, sei das eigentliche Ziel der Behandlung, betont Dirk Schäffer, Drogen-referent bei der Deutschen Aidshilfe. Allerdings ist die tägliche Vergabe nach wie vor das vorherrschende Behandlungsschema. Die möglichen Alternativen werden nach der geltenden Gebührenordnung (GOÄ) um rund 50 Prozent geringer vergütet, obwohl sie eine intensivere Beratung erfordern.
Dass die tägliche Vergabe lukrativer sei als eine aus fachlicher Sicht gebotene patientennähere Behandlung, setzt nach Ansicht von Ärztekammer-präsident Klaus Reinhardt „falsche Anreize“. Inzwischen hat das Thema die Politik erreicht. „Es braucht Ärzte und Ärztinnen, die verantwortungsvoll jeden Einzelfall begutachten und ohne wirtschaftliche Hintergedanken die jeweils passende Therapieform wählen können“, sagt Linda Heitmann MDB (B’90/grüne), Mitglied im Gesundheitsausschuss.
Das Land Baden-württemberg hat mit Sozialund Gesundheitsverbänden bereits vor einigen Jahren den „Pakt für Substitution“ins Leben gerufenen, der sich für eine Verbesserung der Situation stark macht.
Wer von Opioiden abhängig ist, schafft es ohne Hilfe meist nicht, von ihnen weg zu kommen. Aber immer weniger Mediziner bieten eine Therapie an.