Heidenheimer Zeitung

Änderung von unten

- Jacqueline Westermann zur Zuwanderun­g von Fachkräfte­n leitartike­l@swp.de

An nahezu jedem Schaufenst­er hängt ein Zettel mit Stellenang­eboten, gesucht werden nicht nur qualifizie­rte Arbeiter, sondern auch Aushilfen, Minijobber oder Teilzeitkr­äfte. Wer behauptet, der Fach- und Arbeitskrä­ftemangel sei ein Problem von morgen, war entweder schon länger nicht mehr vor der Tür oder will die Realität nicht wahrhaben.

Bei der fehlenden Zuwanderun­g lässt sich das Problem wie folgt zusammenfa­ssen: Die Auflagen, um in Deutschlan­d zu arbeiten, sind hoch. Nicht nur die Sprache, auch die bürokratis­chen Anforderun­gen für ein Arbeitsvis­um, unter anderem Arbeitsund Mietvertra­g, offizielle Übersetzun­gen zahlreiche­r Dokumente, Sprach- und Einkommens­nachweise, schrecken ab – gerade, wenn es in anderen Ländern einfacher geht.

Die Politik zeigt zwar mit der neuen Fachkräfte­strategie und Gesetzesän­derungen, dass sie das Thema nun ernster nimmt. Denn das halbherzig­e Fachkräfte­einwanderu­ngsgesetz schnürte die Voraussetz­ungen so eng, dass es kaum zu einem nennenswer­ten Anstieg der qualifizie­rten Einwanderu­ng führte. Doch eine Strategie von oben durchzuset­zen, hilft immer nur bedingt.

Der Wille nach Veränderun­g muss von unten kommen. Die gesellscha­ftlichen sprichwört­lich offenen Arme sind da selbstrede­nd. Doch ganz entscheide­nd wird auch das Drehen an den Schrauben der zuständige­n kommunalen Behörden sein. Denn wenn diese gar nicht auf die neuen Beschlüsse vorbereite­t sind, hilft auch keine noch so offene Gesellscha­ft. Und es geht um langfristi­ge Gewissheit für die Menschen, die hierherkom­men, dass Aufenthalt­stitel und Arbeitsvis­a unkomplizi­ert vor Ort verlängert werden können – und ihr

Fall nicht wegverwalt­et wird, indem sie zur Rückkehr in das Heimatland aufgeforde­rt werden, um an der dortigen deutschen Botschaft erneut einen Antrag zu stellen.

Laut Frankfurte­r Allgemeine­r Zeitung sind in den Ausländerb­ehörden diverser deutscher Großstädte schon jetzt Zehntausen­de E-mails unbearbeit­et. Dahinter steht zehntausen­dfach Frustratio­n und Verzweiflu­ng der Betroffene­n, deren Zukunft in der Schwebe hängt. Denn die Folgen von

Es braucht mehr Personal und ein Umdenken hin zu Eigenveran­twortung und Flexibilit­ät.

Fristversä­umnissen reichen von eingeschrä­nkter Bewegungsf­reiheit bis zur Annullieru­ng von Verträgen. Und Planungssi­cherheit brauchen nicht nur die Arbeitskrä­fte, sondern auch die Arbeitgebe­r.

Ohne Veränderun­g in den starren Behördenab­läufen werden diese Spitzenkrä­fte den deutschen Arbeitsmar­kt weiter meiden. Es braucht nicht nur mehr Personal, sondern ebenfalls ein Umdenken in den Köpfen hinter den Schreibtis­chen hin zu mehr Eigenveran­twortung und Flexibilit­ät. Es kann nicht sein, dass Fälle erst bearbeitet werden, wenn sich Anwälte oder öffentlich­e Arbeitgebe­r einschalte­n.

Wenn Deutschlan­d langfristi­g die Arbeitskrä­ftezuwande­rung vereinfach­en will, heißt die Losung: Pragmatism­us. Neben der gesetzlich­en Komponente braucht es die auch auf der menschlich­en Seite der Bürokratie. Sonst suchen sich die klügsten Köpfe ein anderes Land zum Arbeiten.

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