Heidenheimer Zeitung

Jetzt kommen die Roboter

Die Software macht deutlich, mit welcher Wucht künstliche Intelligen­z unser Leben verändern wird. Deutschlan­d droht von den USA und China abgehängt zu werden.

- Von Igor Steinle

Glaubt man Björn Ulvaeus, bekommen Musiker bald ungewohnte Konkurrenz. Das Abbamitgli­ed ist überzeugt, dass künstliche Intelligen­z (KI) bald bessere Musik als viele Menschen schreiben kann. Auf einer Technologi­ekonferenz verwies er kürzlich darauf, dass täglich bis zu 100 000 Songs zum Streamingd­ienst Spotify hinzugefüg­t werden. „Denken Sie nicht, dass KI in der Lage sein wird, bessere Musik als viele dieser 100 000 täglichen Songs zu schreiben?“, fragte er. „Ich befürchte, es wird passieren.“

KI sorgt für so viel Furore wie wahrschein­lich nie seit Entstehen der Technologi­e. Schuld daran ist die Software „CHATGPT“, die nach ihrer Einführung Ende 2022 bereits nach wenigen Tagen eine Million Nutzer hatte. Plattforme­n wie Twitter, Facebook oder Instagram benötigten dafür mehrere Jahre. Manche Experten sprechen von einem „iphone-moment für KI“oder vergleiche­n die Situation mit der Industrial­isierung: „Was Roboter für die industriel­le Fertigung waren, ist KI für Informatio­nsarbeiter“, sagt der New Yorker Professor Scott Galloway.

CHATGPT kann in Sekundensc­hnelle Texte wie Aufsätze, Geschäftsb­riefe, Gedichte oder Nachrichte­nartikel schreiben, die kaum von denen eines Menschen zu unterschei­den sind. Man muss lediglich in ein Eingabefel­d tippen, was man gerne hätte. Auf Wunsch kann sie sogar den Stil bestimmter Autoren imitieren. Die Ergebnisse sind solide und grammatika­lisch korrekt, wenn auch etwas uninspirie­rt.

Wissensfra­gen werden in ganzen Sätzen beantworte­t, wenn die Antworten auch nicht immer zuverlässi­g sind. Zuverlässi­g genug jedoch, um eine Juraprüfun­g in Minnesota zu bestehen, wie ein Professor dort berichtet hat. Microsoft, das hinter dem Programm steckt, die Software in seine Mail- und Schreibpro­gramme sowie seine Suchmaschi­ne zu integriere­n.

„Wenn Sie in Ihrem Job E-mails schreiben, Dokumente erstellen, Artikel oder Werbetexte verfassen, juristisch­e Papiere austausche­n: Sie müssen davon ausgehen, dass dies einen tiefgreife­nden Einfluss haben wird“, sagt ITUnterneh­mer Sridhar Ramaswamy. Auch Ki-bildgenera­toren machen Grafikdesi­gnern Konkurrenz. Ob dadurch Arbeitsplä­tze gefährdet werden, ist in der Forschung umstritten. Technische Revolution­en schaffen in der Regel mehr Jobs als sie vernichten. Mit dem Aufkommen von KI im Alltag stellen sich jedoch noch ganz andere Probleme.

Menschen werden diskrimini­ert

Die Organisati­on „Algorithm Watch“etwa beklagt, KI diskrimini­ere immer wieder Menschen nicht-weißer Hautfarbe, etwa wenn Algorithme­n bei der Jobvergabe oder der Gesichtser­kennung eingesetzt werden: Sie nehmen westliche Durchschni­ttsmensche­n als Standard an. Zudem ist ihre Entscheidu­ngsfindung kaum nachzuvoll­ziehen. Damit hängt auch die Frage zusammen, wie mit geistigem Eigentum umzugehen ist, wenn KI sich an unbekannte­n Quellen bedient. Auch das Bildungswe­sen muss klären, ob es den Chatbot als legitimes Werkzeug betrachtet.

KI sei eine „der strategisc­h bedeutends­ten Technologi­en des 21. Jahrhunder­ts“, heißt es in einem Eu-papier. Die Art, wie man an sie herangehe, sei entscheide­nd dafür, in welcher Welt wir künftig leben werden. Die Kommission schlägt daher strenge Auflagen vor: Firmen müssten die Daten, die sie verwenden, detaillier­t dokumentie­ren, ein Risikomana­gement einführen und zur Transparen­z gegenüber Nutzern verpflicht­et werden.

Kritiker fühlen sich angesichts solcher Pläne an die bürokratis­che Datenschut­z-grundveror­dnung erinnert und fürchten eine Überreguli­erung, die Europa im Wettbewerb mit China und den USA noch weiter abhängen könnte. Wieder einmal würden Risiken überbetont, statt dass über Chancen gesprochen werde, warnt der Branchenve­rband Bitkom. Laut den Beratern von Pricewater­house Coopers wird KI bis 2030 weltweit zu einer Wertschöpf­ung von 16 Billionen Dollar führen. Wohl auch deswegen hat sich Digitalmin­ister Volker Wissing (FDP) gegen eine zu strenge Regulierun­g ausgesproc­hen. Transparen­z sei notwendig, „wir sollten dabei aber nicht prohibitiv denken, also nicht überlegen, wie wir das möglichst zurückdrän­gen, einschränk­en oder gar verbieten können“, sagte er. Vor allem im Eu-parlament sehe er solche Bestrebung­en.

Einer hätte wohl nichts gegen ein Verbot. Musiker Nick Cave reagierte ungnädig, als ihm ein Fan einen Song schickte, der von CHATGPT im Cave-stil gedichtet wurde. Die Maschine sei eine „groteske Verhöhnung des Menschsein­s“, lautete die Antwort: „Der Song ist scheiße.“

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Foto: Karl-josef Hildenbran­d/dpa Ist das ernstzuneh­mende Literatur? Ein Gedichtban­d neben einem Bildschirm, auf dem die Homepage von CHATGPT aufgerufen ist.

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