Heidenheimer Zeitung

Keine Stiege für Witwe Schuster

Der Zwist einer 76-jährigen Frau mit ihrem Sohn landete vor 300 Jahren vor dem Rat der Freien Reichsstad­t. Heimatfors­cher Ulrich Stark zeichnet ein Stimmungsb­ild über das damalige häusliche Zusammenle­ben.

- Von Thomas Grüninger

Schon vor 300 Jahren hatte sich der Rat der Stadt Giengen mit Baufragen privater Häuslesbes­itzer zu beschäftig­en. Damals ging es freilich weniger um die Fragen, welche Farbe die Dachziegel haben dürfen und ob man zwei- oder dreigescho­ssig bauen darf.

Während heutzutage das Erscheinun­gsbild eines Gebäudes eine große Rolle spielt (wie passt sich das Vorhaben in die vorhandene Bebauung ein?), spielte die Optik im Jahre 1723 noch eine stark untergeord­nete Rolle. Es ging vielmehr darum, sich durch praktische Maßnahmen das Alltagsleb­en zu erleichter­n. Und dabei konnten die Meinungen durchaus so sehr auseinande­rgehen, dass der Rat der Stadt schließlic­h eine Lösung herbeiführ­en musste.

Kleiner Anlass

In dem Fall vom Oktober 1723, den Heimatfors­cher Ulrich Stark jetzt im Giengener Stadtarchi­v recherchie­rte, ging es schlicht um das Anbringen einer Stiege, von der sich eine 76-jährige Witwe erhoffte, das Brennholz bequemer in die Küche bringen zu können. Doch ihr Sohn hatte eine andere Sichtweise. Und so wurde der innerfamil­iäre Zwist eines Tages zur öffentlich­en Angelegenh­eit.

Die Geschichte mag nicht sonderlich dramatisch erscheinen, doch zeichnet sie ein interessan­tes Stimmungsb­ild des häuslichen Zusammenle­bens in Giengen im Jahre 1723.

Und sie gibt darüber hinaus Aufschluss, wie sich in einem damals üblichen „Mehrgenera­tionenhaus“unterschie­dliche Lebensund Arbeitsber­eiche unter ein gemeinsame­s Dach bringen ließen. Bereits im Alter von zwölf Jahren war Anna Moser, Tochter eines Färbers aus Heidenheim, nach Giengen gekommen, um als Dienstmagd zu arbeiten. Im Laufe der Zeit verliebte sie sich dort in den Metzger Martin Schuster und im Jahre 1669 wurde geheiratet.

Das Leben war für das Ehepaar nicht immer einfach. Zwar brachte Anna Schuster zehn Kinder zur Welt, doch sechs von ihnen starben sehr früh. 1721 musste sie auch von ihrem Ehemann Abschied nehmen.

Leben wurde beschwerli­ch

Zwei Jahre später, also 1723, war der inzwischen 76-jährigen Witwe das Leben so beschwerli­ch geworden, dass sie sich an den alten Karpfenwir­t Johannes Bohn wandte. Der sollte sich beim Giengener Rat für die betagte Frau stark machen, die sich beim täglichen Transport von Brennholz aus dem Hof in die Küche im oberen Stock „durch vier Türen hindurch“zunehmend überforder­t sah.

Um Erleichter­ung zu schaffen, schlug Anna Schuster vor, entweder eine Stiege in den ersten Stock anzubringe­n oder eben die Räumlichke­iten neu zu ordnen. Man solle „ihro ihre aigne Vordere Stube cedieren“, wie sich die geplagte Witwe damals ausdrückte.

Um eines dieser Ziele verwirklic­hen zu können, musste der Rat allerdings den ebenfalls im Hause wohnenden Sohn vorladen, der vom mütterlich­en Ansinnen bis dahin wenig angetan war. Georg Schuster, zum Zeitpunkt des Geschehens 40 Jahre alt und im selbigen

Hause als Metzger beschäftig­t, sah mit dem Bau einer Stiege vom Hof in den oberen Stock und einem damit verbundene­n zweiten Zugang zum Haus etliche Probleme einhergehe­n.

Er befürchtet­e, dass ihm in seiner Metzgerei „dardurch die Helle benommen“werde. Außerdem müsse er dann seinen Schweinsta­ll abreißen, dessen Fundamenth­ölzer ohnehin schon „mehrerthei­ls verfault“seien und durch das Abbrechen gar unbrauchba­r gemacht würden“.

Ein solcher Umbau „zieht allerhand Leut ins Hauß, denen deßwegen dardurch beßere Gelegenhei­t gegeben würde, seine Me

zigkammer mehrers zu besuchen“, gab der Sohn laut Ratsprotok­oll weiter zu bedenken. Und führte argumentat­iv ins Feld, dass er schließlic­h auch schon bestohlen worden sei. Georg Schuster befürchtet­e durch den Anbau einer Treppe wohl eine weitere Gefährdung des ohnehin schon strapazier­ten Hausfriede­ns.

Mit Feuergefah­r argumentie­rt

Auch die Verlässlic­hkeit seiner Mutter, die mit zunehmende­m Alter offenbar nicht nur körperlich abbaute, stellte er gegenüber dem Rat in Frage: „Sie seye auch mit dem Fewer ohnvorsich­tig, wie dann verwichen (kürzlich) schier

ein Unglück hette geschehen können.“

Mit diesem Argument dürfte Georg Schuster den Rat durchaus beeindruck­t haben. Denn seit dem Stadtbrand 1634 war Feuer in Giengen ein besonderes Thema. Mit seinem Vorschlag, der Mutter „ein Schurffen einzuräume­n, daß sie ihr Holz trocken halten könne“und dem Verspreche­n, er wolle ihr „allzeit das Holz selbsten in die Kuche schaffen“, baute er die Brücke zur Lösung.

Der Stapel mit dem Brennholz muss sich neben dem als kleine Holzhütte angebauten Schweinest­all auf der Hofseite des Gebäudes befunden haben. Und natürlich fragt man sich an dieser Stelle, weshalb der Sohn seiner Mutter nicht schon vorher seine häusliche Transporth­ilfe in Sachen Brennholz angeboten hatte, denn dann wäre die Sache vermutlich auch nicht vor den Rat gekommen.

Jedenfalls nahm die in Sachen Rechtsspre­chung geschulte Giengener Ortsverwal­tung den Metzger Schuster beim Wort. „Weilen Er seiner Mutter alle Fälligkeit­en zu erweisen erbiet, solle es bey dem Vorigen sein bewenden haben“. Sprich: Keine Stiege für die Frau Mama.

Das alles freilich blieb nicht ohne eindringli­che Mahnung an die beiden Streithähn­e. Der Rat sah sich zu einer sogenannte­n „scharpffen Correction“veranlasst. Gemeint war damit eine eindringli­che Aufforderu­ng zu Verbesseru­ng des häuslichen Zusammenle­bens. Ein Beispiel, welches zeigt, dass es innerfamil­iäre Probleme zu allen Zeiten gab, wie Heimatfors­cher Ulrich Stark treffend resümierte.

 ?? Foto: Dieter Reichl ?? Das Gebäude, um das es in der vorliegend­en Geschichte geht, befindet sich aller Voraussich­t nach in der Oberen Torstraße 7. Das lässt sich aus dem Häuserbuch 1805 von Ulrich Stark schließen.
Foto: Dieter Reichl Das Gebäude, um das es in der vorliegend­en Geschichte geht, befindet sich aller Voraussich­t nach in der Oberen Torstraße 7. Das lässt sich aus dem Häuserbuch 1805 von Ulrich Stark schließen.

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