Wenn vor allem die Rendite zählt
Rund 1,3 Milliarden Euro werden tagtäglich im deutschen Gesundheitswesen ausgegeben. Das lockt Investoren aus aller Welt, die Praxen aufkaufen. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung warnt vor einer „versorgungstechnischen Monokultur“.
Ausländische Finanzinvestoren haben den deutschen Gesundheitsmarkt im Visier. Denn der verspricht Geld – viel Geld. Zuerst sichtbar wurde das im Zahnarztbereich, wo Dentalketten entstanden. Mittlerweile, sagt Andreas Gassen, Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, seien auch in der Augenheilkunde und der Radiologie viele Praxen von Privatinvestoren aufgekauft worden. Dort würden „nur noch die Leistungen angeboten, die eine entsprechende Rendite versprechen. Es droht eine versorgungstechnische Monokultur. Das dürfen wir nicht zulassen.“Auch Klaus Reinhardt, Präsident der Bundesärztekammer, konstatiert, dass immer häufiger „fachfremde Investoren“am Werk seien, „die allein Kapitalinteressen verfolgen“.
Seit Jahren kaufen sich Kapitalbeteiligungsgesellschaften, sogenannte Private-equity-gesellschaften, auch als Heuschrecken betitelt, hierzulande ein. Firmen aus den USA, Schweden, Holland, Bahrain oder von den Kanalinseln sind schon da.
Einfallstor sind die Medizinischen Versorgungszentren (MVZ). Eigentlich stellt man sich ein MVZ als Ansammlung verschiedener Ärzte vor, als einen Ort also, an dem der Patient unterschiedliche Behandlungen bekommen kann – von angestellten Ärzten. In der DDR hieß das Poliklinik. Seit 2004 gibt es das Modell offiziell auch in der Bundesrepublik. Seit 2015 allerdings dürfen sich auch Ärzte einer einzigen Fachrichtung zu einem MVZ zusammentun. Zur Gründung eines MVZ sind Ärzte, Kliniken, Kommunen und Erbringer von Dialyseleistungen berechtigt. Ein beliebter Trick: Kleine, in Finanznot befindliche Kliniken wechseln den Besitzer. Wobei es dem
Erwerber nur darum geht, auf diese Weise MVZ gründen zu dürfen – die ganz woanders entstehen.
Fakt ist: Immer mehr Mediziner wünschen ein Angestelltendasein, wollen Zeit für die Familie haben. Eine Praxis zu gründen oder zu übernehmen, erscheint zunehmend unattraktiv. Das liegt auch daran, dass die Medizin immer weiblicher wird. Zwei Drittel der Studierenden sind laut Statistischem Bundesamt Frauen.
Zudem versprechen die Ketten Entlastung von Bürokratie. Die Investoren führen Verwaltung, Einkauf, Labor zusammen. Das spart Geld und macht die Gewinnspanne groß, zumindest in Gegenden mit Kaufkraft. MVZ siedeln sich insbesondere in Großstädten und Ballungsräumen an. Dem Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung zufolge sind dagegen nur 15 Prozent in ländlichen Regionen verortet.
Die Bundesärztekammer fordert, dass nur fachübergreifende MVZ zugelassen werden. Auch der Bestandsschutz etwa für reine Dentalketten solle fallen. Darüber hinaus solle der Marktanteil pro Betreiber auf zehn Prozent beschränkt und Transparenz über Inhaber geschaffen werden – indem etwa auf dem Praxisschild klar wird, dass hier im Auftrag von „Heuschrecken“praktiziert wird. Denn die, sagt Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD), würden aus „absoluter Profitgier“agieren. Zehn Prozent oder mehr Rendite herauszuholen, sei aber „mit seriöser Medizin kaum möglich“.
Aber sind diese Investoren wirklich alle „Heuschrecken“? So will sich Thomas Bäumer, Executive Chairman von Colosseum Dental Deutschland, nicht in einen Topf mit rein renditeorientieren Finanzinvestoren werfen lassen: „Unsere Strategie ist es eben nicht, Zukäufe nach vier oder fünf Jahren gewinnbringend weiterzureichen, sondern für uns steht die nachhaltig flächendeckende zahnärztliche Grundversorgung im Fokus.“
Hinter Colosseum Dental steht die Jacobs Holding, die das Geld der einstigen Besitzerfamilie des Bremer Kaffee-großrösters Jacobs verwaltet. Colosseum Dental gehören bereits mehr als 700 Praxen in elf europäischen Ländern. Die Erträge kommen letztlich der Jacobs Foundation zugute, einer der weltweit führenden gemeinnützigen Stiftungen, die sich vor allem um Kinder und Jugendliche kümmert. Und da passt das Dental-geschäft, denn es gilt als konjunkturunabhängig.
„Dringend benötigtes Geld“
Peter Velling, Vorsitzender des Bundesverbandes Medizinische Versorgungszentren, moniert denn auch die „Schwarz-weißperspektive“Lauterbachs. Und der Bundesverband der Betreiber medizinischer Versorgungszentren betont, die als „Heuschrecken“Gebrandmarkten würden „dringend benötigtes Geld zur Modernisierung der ambulanten Versorgung bereitstellen“, sagt Verbandschefin Sibylle Staucheckmann.
Der Spitzenverband aller 96 gesetzlichen Krankenkassen weist auf einen Aspekt hin, der Finanzinvestoren hilft. Beim Verkauf von Praxen gehe es weniger um Räume und Ausstattung, sondern vor allem um die Zulassung, „also das Recht, mit einer gesetzlichen Krankenkasse abrechnen zu dürfen“, sagt der Sprecher Florian Lanz. Die dafür aufgerufenen Summen schreckten junge Ärzte ab, was Großinvestoren den Weg ebne. Richtiger wäre, sie „gezielt und kostenlos an Nachwuchsärzte zu vergeben, wo sie für die Versorgung der Menschen benötigt werden, statt dass Ärzte sie meistbietend an irgendjemanden verkaufen“.
Für uns steht die nachhaltig flächendeckende zahnärztliche Grundversorgung im Fokus. Thomas Bäumer Colosseum Dental