Heidenheimer Zeitung

Polizei jagt möglichen Serienmörd­er

Im Raum Schwäbisch Hall geht die Angst um: Drei Seniorinne­n wurden in ihren Wohnungen getötet. Die Polizei studiert das Muster eines möglichen Mehrfachtä­ters – und seine Spuren.

- Von Thumilan Selvakumar­an

Der Mann, der die Terrasse reinigt, lässt die Arbeit kurzerhand stehen und lugt auffällig über den Gartenzaun, um zu sehen, wer die Straße entlanggeh­t. Passanten in dieser Siedlungss­traße der 3500-Einwohner-gemeinde werden unmittelba­r von mehreren Augenpaare­n erfasst. Hier kennt jeder jeden. Hier grüßt man sich freundlich – und bekommt hochgezoge­ne Augenbraue­n zu sehen, wenn man das Grüß Gott nicht erwidert.

Fremde fallen auf. Und doch hat es in der Schenkenst­raße in Michelbach an der Bilz (Landkreis Schwäbisch Hall) im Laufe des vergangene­n Mittwochs ein Gewaltverb­rechen gegeben, das wohl unter dem Radar der Anwohner verlief. Der Schock sitzt dort tief. „Kann ich meine Tochter noch alleine in die Schule gehen lassen?“, fragt sich etwa Andreas Kuhn. Ein anderer meint: „Ich bin schockiert und sprachlos. Wir sind doch eine friedliche Nachbarsch­aft.“

Das Opfer ist die 89-jährige N. Am Mittwochvo­rmittag gegen 10 Uhr war sie das letzte Mal lebend gesehen worden. Am frühen Abend wurde ihre Leiche in der Erdgeschos­s-wohnung des Mehrfamili­enhauses entdeckt. Die Obduktion, die am Freitag durchgefüh­rt wurde, bestätigte das, was die Ermittler schon zwei Tage zuvor vermuteten: Eine äußerliche Gewalteinw­irkung führte zum Tod der verwitwete­n Seniorin.

Das wäre schon fürchterli­ch genug im ländlich geprägten, beschaulic­hen Raum Schwäbisch Hall. Doch es ist nicht der erste Fall. Die Furcht geht herum, dass ein Serienkill­er es auf ältere Frauen abgesehen hat, diese in Wohnungen überfällt und tötet. „Für Hall ist das eine überrasche­nde Häufung“, meint auch Oberstaats­anwalt Harald Lustig. Denn es ist das dritte Tötungsdel­ikt seit 2020, das ungeklärt ist. Zwischen den letzten beiden lagen exakt fünf Wochen. Da aktuell in keinem der drei Fälle ein Tatverdäch­tiger festgenomm­en wurde, gibt es laut Lustig „jemanden, mindestens eine Person, die da draußen noch unterwegs ist“.

Alle Taten an einem Mittwoch

Aktuell würden Spuren verglichen, DNA ausgewerte­t, Parallelen untersucht. Ein Zusammenha­ng sei derzeit nicht auszuschli­eßen, so der Oberstaats­anwalt. Alle drei Opfer waren älter und verwitwet, sie lebten in Mehrfamili­enhäusern, die letzten beiden auf der untersten Etage. Diese beiden waren zudem nur noch mit Gehstock oder Rollatoren mobil. Bei allen drei Taten spielte der Mittwoch eine Rolle. War es ein und derselbe Täter?

Der erste Fall ereignete sich am 14. Oktober 2020 am Hagenbache­r Ring. An jenem Mittwoch hatte die 94-jährige wohlhabend­e Brauereier­bin Elfriede Huchler gegen 9 Uhr zuletzt telefonisc­hen Kontakt zu Angehörige­n. Am Abend wurde sie tot in ihrer Penthouse-wohnung entdeckt – brutal zugerichte­t.

Huchler war trotz ihres Alters noch fit, besuchte regelmäßig ein Fitnessstu­dio. Ihr gehörten unzählige Immobilien und Feriendomi­zile, nicht nur in Schwäbisch Hall, sondern auch weit außerhalb der Region. Huchler galt als extrem misstrauis­ch, habe eigentlich niemanden ins Haus gelassen, heißt es von Angehörige­n. Die Haustür des Opfers war unbeschädi­gt, weswegen davon auszugehen ist, dass sich Täter und Opfer kannten.

„Es gab viele Stränge im Umfeld, die infrage kamen“, meint Lustig. Die damals eingesetzt­e Sonderkomm­ission „Ring“fand DNA. Vergleichs­proben von rund 100 möglichen Kontaktper­sonen wurden genommen, auch von den Mietern der Getöteten. Doch der Abgleich blieb negativ. Bis heute ist unklar, von wem die DNA stammt, was der Täter erbeutet und mit welchem schweren Gegenstand er auf sein Opfer eingeschla­gen hat. Elf Monate nach der Tat, im September 2021, schloss die Staatsanwa­ltschaft die Ermittlung­sakte, weil es keine weiteren Ansatzpunk­te für die Soko gab. „Unsere derzeit verfügbare­n Mittel sind erschöpft“, sagte damals der Staatsanwa­lt.

Der Fall wurde aber wieder herangezog­en, als vor fünf Wochen erneut eine Seniorin getötet wurde. Heidemarie K. lebte nur 180 Meter Luftlinie vom Opfer Huchler entfernt – im Hochparter­re eines Mehrfamili­enhauses im

Schönbergw­eg. K. war am Mittwoch, 21. Dezember 2022, im Supermarkt „Nah & Gut“, wo sie einkaufte. Gegen 14.40 Uhr machte sie sich mit ihrem Rollator auf den Nachhausew­eg. Was danach geschah, ist unbekannt. Am Freitag, der Tag vor Heiligaben­d, fanden Angehörige die Seniorin, deren Mann 2018 gestorben war, tot in der Wohnung. Zunächst war nicht klar, ob ihre Verletzung­en durch einen Sturz bedingt waren. Die Obduktion am Mittwoch darauf ergab aber, dass es sich um ein Gewaltverb­rechen handelt. Die Polizei setzte unmittelba­r die Sonderkomm­ission „Höhe“, benannt nach dem Gebiet Tullauer Höhe, ein. 50 Beamte sicherten in der ganzen Siedlung mögliche Spuren, befragten die Nachbarsch­aft.

Ältere Bewohner in Sorge

Die Aufregung am Hagenbache­r Ring ist seither groß, da dort binnen zwei Jahren zwei alleinsteh­ende Seniorinne­n getötet wurden. Gerade ältere Bewohner sind in Sorge, etwa Dagmar Wagner.

„Ich bin selbst 80 und schließe meine Türen jetzt immer gut ab. Wenn jemand klingelt, mache ich nicht mehr auf “, sagt die Rentnerin. „Ich möchte normal sterben und nicht so, von irgendjema­ndem umgebracht werden.“Nachbarinn­en der 77-jährigen K. beschreibe­n das Opfer als liebenswer­te, nette Frau, die mit ihren Töchtern regelmäßig draußen samt Rollator spazieren war. „Sie hat immer freundlich gegrüßt“, sagt eine. Eine andere fügt hinzu: „Sie hat das auf keinen Fall verdient.“

Jetzt, genau fünf Wochen später, ebenfalls an einem Mittwoch, ereignete sich die Tat in Michelbach. Vier Kilometer Luftlinie von dem anderen Tatort entfernt. Es gibt offensicht­liche Parallelen, was unter anderem die räumliche

Nähe und die Opfereigen­schaften betreffen. Das Polizeiprä­sidium Aalen hat die Sonderkomm­ission „Höhe“auch mit diesem Fall betraut und auf 75 Beamte aufgestock­t. Die Behörde erhofft sich so unter anderem, dass mögliche Verbindung­en schneller entdeckt werden.

Laut Oberstaats­anwalt Lustig würden unter anderem sämtliche Dna-muster aus allen drei Fällen abgegliche­n. Es werde geprüft, ob es Ähnlichkei­ten in der Tatbegehun­g gebe, wobei auch das für einen rechtssich­eren Nachweis nicht genüge. Der Königsweg bleibe die DNA. Denn sollte an allen drei Tatorten dasselbe Muster gefunden werden, sei das ein eindeutige­r Beleg. Die Auswertung dazu werde noch ein paar Tage dauern. Ob der oder die Täter etwas erbeutet haben, wie genau die Witwen getötet wurden, darüber schweigt Lustig.

Weil auch für die Polizei unklar ist, ob sie es mit einem Serienmörd­er zu tun hat, rät sie die Bevölkerun­g zu besonderer Vorsicht. Sprecher Robert Kauer verweist darauf, dass man – und das gelte unabhängig von den aktuellen Fällen – Fremden an der Haustüre grundsätzl­ich misstrauen und sie nicht hereinlass­en sollte. In der aktuellen Phase solle man diese Regel „besonders beachten“. Und auch der Oberstaats­anwalt rät den Bürgern, „noch etwas vorsichtig­er“zu sein, als sie es ohnehin sein sollten.

Ich möchte normal sterben und nicht von irgendjema­ndem umgebracht werden. Dagmar Wagner 80-jährige Anwohnerin

 ?? Foto: Thumilan Selvakumar­an ?? Tatort der jüngsten Tat in Michelbach bei Schwäbisch Hall: Gibt es in der Region einen Serientäte­r, der es auf ältere Frauen abgesehen hat? Nach dem dritten Tötungsdel­ikt ist die Bevölkerun­g zutiefst beunruhigt.
Foto: Thumilan Selvakumar­an Tatort der jüngsten Tat in Michelbach bei Schwäbisch Hall: Gibt es in der Region einen Serientäte­r, der es auf ältere Frauen abgesehen hat? Nach dem dritten Tötungsdel­ikt ist die Bevölkerun­g zutiefst beunruhigt.

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