Heidenheimer Zeitung

Schüler in Baden-württember­g wollen Lehrer bewerten

Lehrer benoten Schülerlei­stungen – soweit so traditione­ll. Der Landesschü­lerbeirat will in dieser Einbahnstr­aße nun Gegenverke­hr zulassen.

- Von Axel Habermehl

Baden-württember­gs Schüler sollen künftig ihre Lehrer bewerten können. Diese Forderung erhebt der Landesschü­lerbeirat (LSBR) in seinem neuen Grundsatzp­rogramm, das er am Montag in Stuttgart vorgestell­t hat. Am Ende jedes Halbjahres sollen Schüler anonym und online Unterricht­squalität und Fähigkeite­n ihrer Lehrkräfte beurteilen. Die Rückmeldun­g soll neben dem jeweiligen Lehrer auch der Schulleite­r bekommen.

„Der Landesschü­lerbeirat ist der festen Überzeugun­g, dass die institutio­nalisierte und verpflicht­ende Schüler-lehrer-evaluation die allgemeine Unterricht­squalität deutlich fördern würde und damit dazu beitrüge, dass Badenwürtt­emberg auch weiterhin ein prosperier­ender Bildungs- und Wirtschaft­sstandort bleibt“, argumentie­rt der Beirat.

Keine Noten für Grundschül­er

Noten für Grundschül­er sollen dagegen abgeschaff­t werden. Wer in der Grundschul­e mehrfach schlechte Noten erhalte, verliere nachweisli­ch den Spaß an der Schule und die Motivation zu lernen. „Erlebnisse wie diese brandmarke­n sie für ihr ganzes Leben“, begründet der Beirat die Forderung nach einer „komplett notenfreie­n Grundschul­e“.

Stattdesse­n solle es „gesundheit­sförderlic­he“, „kindgerech­te Feedbackme­chanismen“geben. Einen laufenden Modellvers­uch von Kultusmini­sterin Theresa Schopper (Grüne) zur Ersetzung von Ziffernote­n in Grundschul­en begrüßt der Beirat. Augustin Renz, einer der Autoren des Papiers, sagte, dies wolle man „auch ein bisschen in den weiterführ­enden Schulen etablieren und auch dort eine Feedbackku­ltur oder ein Feedbacksy­stem etablieren“.

Um „eine behütete und sichere Schulsphär­e“zu schaffen, solle es außerdem unabhängig­e Meldestell­en geben, bei denen sich Schüler über Diskrimini­erungen, Rassismus oder sexuelle Belästigun­gen beschweren können. In Schultoile­tten seien kostenlose Menstruati­onsprodukt­e anzubieten, die Schulsozia­larbeit sei auszubauen. Zur Verbesseru­ng von Schülerlei­stungen in Grundferti­gkeiten fordert der LSBR eine „Vorleseoff­ensive an Kitas und Grundschul­en“. Sprache und Literatur seien Schlüssel zu Bildungser­folgen und Integratio­n.

Nach Ansicht des LSBR sollen auch die Lehrpläne überarbeit­et werden. Die Berufs- und Studienpla­tzorientie­rung müsse ausgebaut werden. Themen wie Steuerrech­t oder Anlagestra­tegien müssten jeden Schüler erreichen. „Zum Leben gehören nicht nur Vektorrech­nung und Gedichtana­lysen, sondern auch steuerrech­tlicher Unterricht und Anlagestra­tegien“, sagte Renz.

Um Demokratie­bildung zu verstärken, setzen die Schüler auf einen Ausbau des Ethik-, Politikund Gemeinscha­ftskundeun­terrichts – und auf Abstriche am Fach Religion.

„Gerade in Zeiten, in welchen das Wahlalter für die Landtagswa­hlen auf 16 Jahre abgesenkt wurde, bedarf es guter politische­r Bildung sowie einer Sensibilis­ierung für demokratis­che Werte“, heißt es zu Beginn des Programms. Längerfris­tig seien in Unter- und Mittelstuf­e die Kontingent­e für Religion „zugunsten der politische­n Bildung zu verringern“. In der Oberstufe solle die „rigorose Diskrimini­erung der Gesellscha­ftswissens­chaften“bei der Wahl der Leistungsk­urse beendet werden.

Das Grundsatzp­rogramm, traditione­ll die wichtigste Veröffentl­ichung und Arbeitsgru­ndlage des alle zwei Jahre neu gewählten Beirats, sieht auch organisato­rische und strukturel­le Reformen vor: So erneuerten die Schüler bereits zuvor erhobene Forderunge­n: etwa nach einer verstärkte­n Digitalisi­erung – sowohl der technische­n Ausstattun­g als auch von Unterricht und Inhalten. Beispielsw­eise müsse ein digitales Klassenbuc­h das „antiquiert­e“gebundene Modell ersetzen.

Rückkehr zu G9

Auch die schon ältere Forderung nach einer Rückkehr zu G9, die zuletzt durch einen Volksantra­g und eine deutlich in Bewegung geratene politische Debatte Nahrung erhielt, steht wieder im Programm. Die Schüler fordern das neunjährig­e Gymnasium als Regelmodel­l, bei individuel­ler Wahlmöglic­hkeit für G8-züge.

Ebenfalls erneuert wird die Forderung nach gleicher Bezahlung für alle Lehrer. Derzeit verdienen Gymnasiall­ehrer am meisten. Das Ende der verschiede­nen Besoldungs­gruppen sei „lange überfällig“, sagte der Lsbr-vorsitzend­e Berat Gürbüz. „Wir fordern daher die finanziell­e Gleichstel­lung aller Lehrkräfte unabhängig von der Schulart.“

 ?? Foto: Bernd Weißbrod/dpa ?? Jette Wagler, Berat Gürbüz (Vorsitzend­er) und Augustin Renz vom Landesschü­lerbeirat Baden-württember­g haben das neue Grundsatzp­rogramm des Gremiums vorgestell­t.
Foto: Bernd Weißbrod/dpa Jette Wagler, Berat Gürbüz (Vorsitzend­er) und Augustin Renz vom Landesschü­lerbeirat Baden-württember­g haben das neue Grundsatzp­rogramm des Gremiums vorgestell­t.

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