Schüler in Baden-württemberg wollen Lehrer bewerten
Lehrer benoten Schülerleistungen – soweit so traditionell. Der Landesschülerbeirat will in dieser Einbahnstraße nun Gegenverkehr zulassen.
Baden-württembergs Schüler sollen künftig ihre Lehrer bewerten können. Diese Forderung erhebt der Landesschülerbeirat (LSBR) in seinem neuen Grundsatzprogramm, das er am Montag in Stuttgart vorgestellt hat. Am Ende jedes Halbjahres sollen Schüler anonym und online Unterrichtsqualität und Fähigkeiten ihrer Lehrkräfte beurteilen. Die Rückmeldung soll neben dem jeweiligen Lehrer auch der Schulleiter bekommen.
„Der Landesschülerbeirat ist der festen Überzeugung, dass die institutionalisierte und verpflichtende Schüler-lehrer-evaluation die allgemeine Unterrichtsqualität deutlich fördern würde und damit dazu beitrüge, dass Badenwürttemberg auch weiterhin ein prosperierender Bildungs- und Wirtschaftsstandort bleibt“, argumentiert der Beirat.
Keine Noten für Grundschüler
Noten für Grundschüler sollen dagegen abgeschafft werden. Wer in der Grundschule mehrfach schlechte Noten erhalte, verliere nachweislich den Spaß an der Schule und die Motivation zu lernen. „Erlebnisse wie diese brandmarken sie für ihr ganzes Leben“, begründet der Beirat die Forderung nach einer „komplett notenfreien Grundschule“.
Stattdessen solle es „gesundheitsförderliche“, „kindgerechte Feedbackmechanismen“geben. Einen laufenden Modellversuch von Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) zur Ersetzung von Ziffernoten in Grundschulen begrüßt der Beirat. Augustin Renz, einer der Autoren des Papiers, sagte, dies wolle man „auch ein bisschen in den weiterführenden Schulen etablieren und auch dort eine Feedbackkultur oder ein Feedbacksystem etablieren“.
Um „eine behütete und sichere Schulsphäre“zu schaffen, solle es außerdem unabhängige Meldestellen geben, bei denen sich Schüler über Diskriminierungen, Rassismus oder sexuelle Belästigungen beschweren können. In Schultoiletten seien kostenlose Menstruationsprodukte anzubieten, die Schulsozialarbeit sei auszubauen. Zur Verbesserung von Schülerleistungen in Grundfertigkeiten fordert der LSBR eine „Vorleseoffensive an Kitas und Grundschulen“. Sprache und Literatur seien Schlüssel zu Bildungserfolgen und Integration.
Nach Ansicht des LSBR sollen auch die Lehrpläne überarbeitet werden. Die Berufs- und Studienplatzorientierung müsse ausgebaut werden. Themen wie Steuerrecht oder Anlagestrategien müssten jeden Schüler erreichen. „Zum Leben gehören nicht nur Vektorrechnung und Gedichtanalysen, sondern auch steuerrechtlicher Unterricht und Anlagestrategien“, sagte Renz.
Um Demokratiebildung zu verstärken, setzen die Schüler auf einen Ausbau des Ethik-, Politikund Gemeinschaftskundeunterrichts – und auf Abstriche am Fach Religion.
„Gerade in Zeiten, in welchen das Wahlalter für die Landtagswahlen auf 16 Jahre abgesenkt wurde, bedarf es guter politischer Bildung sowie einer Sensibilisierung für demokratische Werte“, heißt es zu Beginn des Programms. Längerfristig seien in Unter- und Mittelstufe die Kontingente für Religion „zugunsten der politischen Bildung zu verringern“. In der Oberstufe solle die „rigorose Diskriminierung der Gesellschaftswissenschaften“bei der Wahl der Leistungskurse beendet werden.
Das Grundsatzprogramm, traditionell die wichtigste Veröffentlichung und Arbeitsgrundlage des alle zwei Jahre neu gewählten Beirats, sieht auch organisatorische und strukturelle Reformen vor: So erneuerten die Schüler bereits zuvor erhobene Forderungen: etwa nach einer verstärkten Digitalisierung – sowohl der technischen Ausstattung als auch von Unterricht und Inhalten. Beispielsweise müsse ein digitales Klassenbuch das „antiquierte“gebundene Modell ersetzen.
Rückkehr zu G9
Auch die schon ältere Forderung nach einer Rückkehr zu G9, die zuletzt durch einen Volksantrag und eine deutlich in Bewegung geratene politische Debatte Nahrung erhielt, steht wieder im Programm. Die Schüler fordern das neunjährige Gymnasium als Regelmodell, bei individueller Wahlmöglichkeit für G8-züge.
Ebenfalls erneuert wird die Forderung nach gleicher Bezahlung für alle Lehrer. Derzeit verdienen Gymnasiallehrer am meisten. Das Ende der verschiedenen Besoldungsgruppen sei „lange überfällig“, sagte der Lsbr-vorsitzende Berat Gürbüz. „Wir fordern daher die finanzielle Gleichstellung aller Lehrkräfte unabhängig von der Schulart.“