Heidenheimer Zeitung

Siegfried und Blutsbrude­r Winnetou

Was Karl May mit Richard Wagner verbindet – auch davon erzählt Regisseur Marco Štorman in der „Götterdämm­erung“. Eine gefeierte Premiere.

- Von Jürgen Kanold

Zu neuen Taten bricht er auf, Siegfried, der Kraftprotz. Er benimmt sich wie ein fröhlicher Volldepp, möchte man profan sagen, denn am Hof der Gibichunge­n fällt er dem hinterhält­igen Hagen schnell zum Opfer. Er verrät auch, umnebelt von einem Zaubertran­k, Brünnhilde, seine Liebste. Aber so ist sie, die Welt in Richard Wagners Musikdrama „Der Ring des Nibelungen“: unheilvoll, verkommen, ein System aus Lug und Trug. Siegfried, „der freieste Held“, reitet deshalb in die ewigen Jagdgründe wie Kollege Winnetou, Karl Mays „Edelmensch“, der Häuptling der Apachen.

„Hoiho!“Das ist kein Schlachtru­f indigener Völker, sondern Hagens martialisc­her Gruß, wenn er seine Mannen um sich schart. Aber diese von Marco Štorman inszeniert­e „Götterdämm­erung“, das Finale der „Ring“-neuprodukt­ion der Staatsoper Stuttgart, hat recht viel mit Karl May zu tun. Eine Erkenntnis, zu der einem freilich erst das Programmbu­ch und Texte von Dramaturg Ingo Gerlach verhelfen.

Es wird erzählt und erzählt bei Wagner, und auch die drei Nornen versuchen am Anfang der „Götterdämm­erung“den Mythos zu rekapituli­eren, ihn weiterzusp­innen – bis der Faden reißt. In dieser Inszenieru­ng packen die Nornen gerahmte Gemälde aus, beschrifte­n sie museal – bis eine Leinwand kaputtgeht, die sie notdürftig zusammenkl­eben. Es sind Bilder aus der Zeit des Symbolismu­s, und das wichtigste zeigt einen nackten, schwebende­n Mann mit wallendem Haar. Es ist „Winnetous Himmelfahr­t“, 1904 geschaffen

von Sascha Schneider (1870-1927) fürs Buchcover von „Winnetou III“– nur dass jetzt ein Speer den Helden durchbohrt. Bühnenbild­ner Demian Wohler hat eine Reihe Originalil­lustration­en aufbereite­t. So dürfen sich die Zuschauer viele Gedanken machen über Analogien zwischen Richard Wagner und seinem sächsische­n Zeitgenoss­en Karl May – und verstehen dann auch, weshalb auf der Stuttgarte­r Bühne ein Totempfahl herumsteht zwischen all den Fragmenten aus Kirchen und Tempeln und einem Parlament. Es ist tatsächlic­h verblüffen­d, dass in „Winnetou I“davon die Rede ist, dass der Goldstaub, nach dem alle streben, „ein Staub des Todes“sei: „Trachte nie danach, ihn zu erlangen, denn er tötet nicht nur den Geist, sondern auch die Seele.“Klingt sehr nach dem Rheingold-fluch.

Parlament? Immer wieder sprechen die Akteure in dieser „Götterdämm­erung“in Mikrofone und teilen sich damit uns, den Zuschauend­en, mit, sie machen gewisserma­ßen den Skandal dieser Welt öffentlich. Eine assoziativ­e Regie, ein Bilderstur­z, Wagner’scher Mythos ins Kolportage­hafte gezogen. Aber mit weniger Dekonstruk­tion, als es zunächst den Anschein hat: Štorman gelingen sehr aufschluss­reiche Charakterp­orträts.

„Schläfst du, Hagen, mein Sohn?“Alberich beschwört ihn dranzublei­ben als Rächer, den Ring zurückzuho­len. Ein Alptraum – und der ist hier außergewöh­nlich inszeniert, denn Patrick Zielke singt schneidend fies beide Partien, Hagen und Alberich: wie von einem Dämon verfolgt, geschüttel­t von innerliche­r Aggression. Grandios, wie Zielke auch spielt: nicht nur den Bösen, den Psychopath­en, auch den Zyniker. Hagen lässt sich triumphal feiern von den Mannen (gewaltig, mächtig der Staatsoper­nchor). Und am Ende wird er von der verdorrten Weltesche, dem Symbol des Untergangs, erschlagen, als er am Wasser nach dem Ring greifen will. Ein Kind aber findet das Gold, wie ein Spielzeug – und wirft es zurück: in musikalisc­her Dur-emphase die Hoffnung von einem Neuanfang der Schöpfung.

Dazu ein gefeiertes Ensemble: Christiane Libor als solide Brünnhilde, Esther Dirkes als Gutrune, Shigeo Ishino als waschlappi­ger Gunther mit freilich eindrucksv­oller Stimme, Stine Marie Fischer als Waltraude. Und Daniel Kirch als der blöde Siegfried: aber ein starker Wagner-tenor.

„Wagner isch wahnsinnig anschtreng­end“, wissen zwei ältere schwäbisch­e Damen, belauscht auf dem Nachhausew­eg von der Staatsoper. Ja, stimmt schon, sechs Stunden „Götterdämm­erung“erfordern Kondition. Diese Neuprodukt­ion gehört aber zu den kurzweilig­eren. Und sie beglückte das Premierenp­ublikum am Sonntag: ausdauernd­e Ovationen. Vor allem auch für das sich auf der Bühne verbeugend­e Staatsorch­ester unter der Leitung von Generalmus­ikdirektor Cornelius Meister. Dabei hatten nicht alle Blech- und Holzbläser den besten Tag erwischt, aber wie in Siegfrieds Trauermusi­k die Solotrompe­te mit unglaublic­h langem Atem das Crescendo aufzog zu den brutalsten Tuttischlä­gen und Meister diese Passage eiskalt exekutiert­e, war – nicht anstrengen­d, sondern mitreißend.

Der Bayreuth-erfahrene Meister ist die Konstante des neuen Stuttgarte­r „Rings“: Es ist keine rein romantisch­e Schwelgere­i, und in der sehr direkt-lauten Akustik des Opernhause­s klingt der Wagner gerne dunkel und rustikal. Aber es packt durchaus.

Eine Galerie aus symbolisti­schen Gemälden und auch ein Totempfahl auf der Opernbühne.

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Foto: Matthias Baus Böse, zynisch, triumphal: Hagen (Patrick Zielke) lässt sich von seinen Mannen feiern. In der „Götterdämm­erung“bricht mit Gewalt der Chor der Menschen ein.
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Christiane Libor singt die Brünnhilde.

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