Besser mit Augenmaß
Wohl kaum ein diplomatischer Besuch wöge in diesen schweren Tagen schwerer als dieser. Usaußenminister Antony Blinken wollte an diesem Sonntag China besuchen. Mehr als vier Jahre lang war kein amerikanischer Chefdiplomat mehr in der Volksrepublik. Im letzten Augenblick jedoch sagte er die Reise ab. Der Grund ist ein angeblicher chinesischer Spionageballon, der seit Donnerstag über dem Us-bundesstaat Montana schwebt. Die Auseinandersetzung zwischen den beiden Großmächten dürfte sich damit weiter verschärfen.
Das zeigt sich auch im Verhältnis der USA zum Rest der Welt. So nimmt die Regierung Joe Bidens den Angriff Russlands auf die Ukraine sehr ernst. Noch schwerer wiegt der Überfall in den Augen der USA, weil sich China ermutigt sehen könnte,
Taiwan zu überfallen. Der daraus entstehende Konflikt wäre für die USA ungleich dramatischer.
Um unabhängiger von China zu werden, ändern die USA ihre Wirtschaftspolitik und nehmen große chinesische Anbieter weitaus kritischer ins Visier als es die Europäer handhaben. Und doch, auch in Europa und in Deutschland wächst das Misstrauen gegen den fernöstlichen Handelspartner. Aus gutem Grund. Genauso vernünftig ist es aber, nicht jede Geschäftsverbindung unter Verdacht zu stellen. An vielen Stellen, beispielsweise in der internationalen Finanzordnung, könnte eine Isolation Chinas dramatische Folgen auslösen und die Kapitalmärkte durcheinander wirbeln. Das wäre letztlich zum Schaden der USA und Europas, weshalb es gut ist, sich unabhängiger von China machen zu wollen, aber unsinnig, jede Art der Verbindung zu kappen.