Weitreichende Folgen
Wir zögern, wir prüfen, wir wägen ab – und scheuen hierzulande doch zu oft das Risiko, uns in vermeintlich neues Territorium vorzuwagen. Im Ausland haben sie einen Begriff für die irrationale Sorge, dass alles Neue schlimme Folgen haben muss: German Angst.
Beispiele gibt es zur Genüge: Wir versuchen neue Wege zur Rentenfinanzierung mit Aktien? Da ist das Geschrei groß, ohne dass auf die Details geblickt wird – und wie gut das in Ländern klappt, die vor 20 Jahren den Sprung auf den Aktienmarkt wagten. Oder dass auf Papier und Fax gesetzt wird, statt sekundenschnelle Datenübertragung zu nutzen? Blendet aus, dass dies Folgen hat, wenn Menschen sich überlegen, ob sie bei diesen bürokratischen Hürden weiter in Deutschland arbeiten, forschen und produzieren wollen. Oder wenn sich vehement gegen Fortschritt, sei es Windkraft oder Automatisierung, aufgelehnt wird, mit längst widerlegten Argumenten? Das ignoriert, dass diese Angst vor Veränderung irgendwann heißt: Für Deutschland ist der Zug abgefahren.
Laut einer Studie der R+v-versicherungen steigt die Angst mit den Lebensjahren. In einer alternden Gesellschaft ist es kaum verwunderlich, dass in der Politik Vorsicht dominiert – mit Rücksicht auf die Wähler. Denn Beständigkeit verspricht Sicherheit. Doch dieses Bedürfnis darf nicht in Stillstand erstarren.
Aufrütteln sollte, wenn laut einer Allensbach-umfrage nicht einmal jeder Dritte glaubt, dass sich Deutschland in den kommenden zehn Jahren gut entwickeln wird, und nur 40 Prozent denken, das Land bleibe führende Wirtschaftskraft. Daraus muss der Wunsch nach einem neuen Aufbruch erwachsen, eine Sehnsucht, aus der Routine auszubrechen. Es kann ja nicht sein, dass wir immer erst dann effizient agieren, wenn der Druck zu groß wird – wie zuletzt bei den Lngterminals. Das geht nicht nur die Jungen an, auch im Interesse der Alten ist es, das Wohlstandsniveau zu halten, besser noch: zu vergrößern. Ohne Veränderung wird das nicht gehen.
Niemand plädiert für hastig-unüberlegtes Handeln. Doch bei der Digitalisierung und bei der Entbürokratisierung
Veränderung wird unmöglich, wenn Wandel als Bedrohung und nicht als Chance gesehen wird.
kann jeder erkennen, welche Folgen das Zögern hat: Neue Projekte scheitern an den langen Verfahren, und talentierte Nachwuchskräfte verlassen frustriert das Land, weil sie die amtlichen Mühlsteine nicht mehr ertragen wollen.
Die weit verbreitete Verunsicherung erwächst oft aus aktuellen und sehr präsenten Herausforderungen. Fälschlich rückt mitunter der unwahrscheinlichste, aber schlimmste anzunehmende Fall in den Fokus. Themen hingegen, die tatsächlich Sorge bereiten sollten, wie die Altersvorsorge, die nachlassende Produktivität und Innovationshürden, zunehmender internationaler Wettbewerb, werden leichtfertig ausgeblendet. Und das, obwohl Lösungen entweder schon bereitliegen oder Innovation zum Greifen nahe sind. Veränderung ist notwendig. Sie wird nur dann unmöglich, wenn Wandel als Bedrohung und nicht als Chance gesehen wird.