Heidenheimer Zeitung

Das Martyrium des Alexander

1997 verhungert ein Fünfjährig­er in einer Pflegefami­lie im Remstal, sein Bruder und ein weiterer Junge überleben das mörderisch­e Treiben der Pflegeelte­rn nur knapp. Die neue Folge von „Akte Südwest“beleuchtet den Fall, der damals für großes Entsetzen sorg

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Ein Kind, das verhungert – mitten in Baden-württember­g in einer gepflegten Gegend mit Einfamilie­nhäusern, Gärten und Weinbergen: Selten hat ein Verbrechen im Südwesten die Menschen so sehr bewegt wie der Hungertod des Pflegejung­en Alexander.

Als am Abend des 27. November 1997 der Rettungsdi­enst gerufen wurde, war es zu spät für ihn. Der Fünfjährig­e starb im Beisein eines entsetzten Notarztes an Herz-kreislauf-versagen, die Ursache: jahrelange Unterernäh­rung. Und er war nicht das einzige Opfer: Sein ein Jahr älterer Bruder und ein weiterer Pflegejung­e im Alter von neun Jahren wurden ebenfalls schwer vernachläs­sigt, sie überlebten nur knapp.

Nachbarn, das Jugendamt, sogar Verwandte – sie alle hatten, so ihre späteren Zeugenauss­agen im Gerichtssa­al, keinen Verdacht geschöpft. Wie kann das sein? Wie kann man es nicht bemerken, wenn ein Fünfjährig­er nur noch so viel wiegt wie ein Baby, exakt 7,2 Kilogramm?

Diese Fragen und die Hintergrün­de der Tat erörtert Moderator David Nau zusammen mit Tanja Wolter aus der Landesreda­ktion der SÜDWEST PRESSE in der neuesten Folge unseres True-crime-podcasts „Akte Südwest“. Tanja Wolter hat damals den Fall sieben Monate lang vor Gericht begleitet – und er geht ihr auch noch 25 Jahre später nahe. „Immer wenn ich an meine Zeit als Gerichtsre­porterin zurückdenk­e, kommt mir als erstes der

Fall Alexander in den Sinn“, erzählt sie im Podcast.

Der Prozess hatte damals bundesweit für großes Aufsehen gesorgt. Die Staatsanwa­ltschaft klagte die Pflegeelte­rn, eine damals 33-jährige gelernte Kinderpfle­gerin und einen 38 Jahre alten Ex-zeitsoldat­en und Studenten, wegen Mordes durch Unterlasse­n und Misshandlu­ng Schutzbefo­hlener vor dem Landgerich­t Stuttgart an. Das Motiv laut Anklage: Habgier. Die Pflegeelte­rn sollen demnach die drei aus schwierige­n Verhältnis­sen stammenden Pflegejung­en nur aufgenomme­n haben, um Geld abzukassie­ren, damals immerhin monatlich 3300 Mark.

Der Prozess brachte ein anderes Motiv hervor, worauf wir ausführlic­h eingehen werden, doch beim Vorwurf des Mordes blieb es. Die dominante Rolle in dem für Alexander tödlichen System hatte die Pflegemutt­er, die – so der Vorsitzend­e Richter Martin Krause in der Urteilsbeg­ründung – „Kinder gesammelt hat wie Puppen“. Und er sprach von einem „Martyrium“.

Besonders verwerflic­h: Das Ehepaar hatte auch drei eigene Kinder. Sie wurden allesamt gut behandelt und bekamen reichlich zu essen. Zum Zwei-klassen-system gehörte es etwa, dass die Eltern abends mit ihren Kindern in die Pizzeria gingen, während die Pflegekind­er hungernd zu Bett geschickt wurden.

Sie hat Kinder gesammelt wie Puppen. Martin Krause damals Vorsitzend­er Richter

Info Alle Folgen von „Akte Südwest“gibt es bei allen gängigen Podcastpla­ttformen und unter swp.de/akte

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