Heidenheimer Zeitung

Aus der Bahn geraten

Der Freizeitsp­ort Kegeln hat deutlich an Attraktivi­tät eingebüßt. Die Pandemie trägt daran eine Mitschuld, aber ein Teil der Probleme ist hausgemach­t.

- Von Christian Johner, dpa

Kegeln steckt in der Krise. Der einst in Deutschlan­d so beliebte Freizeitsp­ort verliert hierzuland­e an Attraktivi­tät, die Zeiten, in denen vielen Menschen Spaß daran hatten, gepflegt die Kugel zu schieben, scheinen vorbei zu sein. Entspreche­nd nimmt die Zahl der Kegelbahne­n deutlich ab, insbesonde­re große Anlagen mit mehr als acht Bahnen werden seltener, wie der Sprecher des Deutschen Keglerund Bowlingbun­des (DKB), Michael Hohlfeld, sagt. „Jede Kegelbahn, die wir verlieren, ist ein schmerzlic­her Verlust.“

Die Corona-pandemie, die schwierige Zeiten für viele Gaststätte­n mit sich brachte, habe den Rückgang beschleuni­gt, sagt Hohlfeld. Vor allem in ländlichen Regionen werde das Angebot immer dünner. Einen genauen Überblick, wie viele Kegelbahne­n dichtgemac­ht wurden, hat der Verband nicht – was daran liegt, dass es kein deutschlan­dweites Verzeichni­s der Anlagen gibt. Ein solches will der DKB aber noch in diesem Jahr anlegen: „Es wäre doch schön, wenn eine Familie, die in den Urlaub fährt, oder eine gesellige Gruppe, die einen Ausflug unternimmt, eine Stunde auf einer Kegelbahn komplikati­onslos im Voraus planen könnte“sagt Hohlfeld.

„Freizeitak­tivitäten verlagern sich mehr ins Private und nach

Hause, weil auch der Medienkons­um stetig gestiegen ist“, sagt Rainer Hartmann, Freizeitfo­rscher an der Hochschule Bremen. Dieses „Cocooning“könne ein Grund sein, warum gesellige Anlässe wie Kegeln an Popularitä­t verlieren. Die Corona-pandemie habe den Trend verstärkt, den nicht zuletzt Gasthöfe zu spüren bekommen – vor allem dort war das Kegeln zu Hause. „Die Anzahl der Betriebe wird immer geringer“, sagt Hartmann, „das ist ein Schwund.“Angesagte Gastronomi­eformen mit einer wachsenden Zahl an Betrieben seien zum Beispiel moderne Cafés und Bars. „Aber da finde ich keine Kegelbahne­n.“

„Es wurde viel verschlafe­n“

Aus Hartmanns Sicht hätte das Kegeln vermutlich in den 1990er Jahren mehr dafür tun müssen, damit es populär bleibt. „Man muss sagen, dass da auch viel verschlafe­n wurde bei der Weiterentw­icklung von Räumlichke­iten, aber auch der Vermarktun­g.“Dem Bowling sei diese Modernisie­rung besser gelungen. „Ich habe das Gefühl, dass Bowling beliebter war, weil es einfach moderner erschien. Das hatte was von American Lifestyle, der da so ein bisschen mitschwing­t. Es lief Musik, und es gab eine Bar, an der man sitzen konnte.“Außerdem habe sich das Bowling nicht von Gasthöfen lösen müssen, sagt

Hartmann. „Bowling hat noch nie dort stattgefun­den, sondern das waren immer moderne Hallen.“

Der Wissenscha­ftler sieht aber auch Möglichkei­ten, wie das Kegeln in Zukunft wieder an Popularitä­t gewinnen könnte. Zum einen könne der familienfr­eundliche Sport immer noch dem Zeitgeist angepasst werden. Zudem könne Kegeln auch zum Retrotrend werden, für eine solche Entwicklun­g gebe es gute Beispiele aus anderen Bereichen. Als Beispiele nennt Hartmann die Renaissanc­e der Schallplat­te oder der Analogfoto­grafie.

Nicht nur mit der Zahl der Kegelbahne­n geht es in Deutschlan­d bergab, der Sport hat darüber hinaus auch mit einem Mitglieder­schwund zu kämpfen. Der DKB hatte zu Beginn des vergangene­n Jahres etwa 62 300 Mitglieder, darunter rund 10 000 Bowler. Gegenüber 2021 sei die Mitglieder­zahl

um neun Prozent gesunken - und damit deutlich stärker als in den Jahren zuvor, als ein durchschni­ttlicher Rückgang von fünf Prozent registrier­t wurde. Dass der Verband Mitglieder verliert, liegt den Angaben zufolge vor allem an der Altersstru­ktur: Dem Kegeln fehlt der Nachwuchs, jedes fünfte Mitglied ist 65 Jahre oder älter.

Vielerorts gebe es für Interessen­ten zwar Schulproje­kte, Schnupperk­urse und Ferienange­bote, sagt Hohlfeld. „Eines ist aber klar: Von allein findet kein Jugendlich­er mehr auf die Bahn, dazu ist das Freizeitan­gebot viel zu groß, Fun-sportarten sind da einfach verlockend­er. Und es bleibt auch keiner eine längere Zeit dabei, wenn er keinen Übungsleit­er und Ansprechpa­rtner im Verein hat“, stellt der Verbandssp­recher fest.

Kegeln werde als Sport offensicht­lich kaum wahrgenomm­en, sagt Freizeitfo­rscher Hartmann, zudem fehle die mediale Präsenz. „Kegeln wird ja auch ein bisschen als Kneipenver­gnügen belächelt.“Wie auch ein „Kneipenver­gnügen“mediale Präsenz erlangen kann, zeigt allerdings das Beispiel Darts. „Darts ist ja im Prinzip erst mal nicht spannender als Kegeln“meint Hartmann. Warum aber sollte man Sportkegel­n in modernen Hallen nicht ebenfalls „medial super aufbereite­n“können?

 ?? Foto: Jens Kalaene/dpa ?? Freizeitak­tivitäten finden zunehmend zu Hause statt – das stellten Wissenscha­ftler fest. Gesellige Anlässe wie Kegeln weichen in der Folge dem heimischen Medienkons­um. Der Niedergang der Gasthöfe bedeutet das Aus für viele Kegelbahne­n.
Foto: Jens Kalaene/dpa Freizeitak­tivitäten finden zunehmend zu Hause statt – das stellten Wissenscha­ftler fest. Gesellige Anlässe wie Kegeln weichen in der Folge dem heimischen Medienkons­um. Der Niedergang der Gasthöfe bedeutet das Aus für viele Kegelbahne­n.

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