Heidenheimer Zeitung

„Der schlimmste Tag in meinem Leben“

Der wegen eines versuchten Mordes in Oberkochen angeklagte 34-Jährige hat sich erstmals selbst im Landgerich­t Ellwangen geäußert und Einblicke in sein Seelenlebe­n gegeben.

- Von Alexandra Rimkus

Zweiter Prozesstag vor dem Landgerich­t Ellwangen gegen einen 34-jährigen Anlagenfüh­rer aus Aalen. Der Mann muss sich hier wegen versuchten Mordes in Oberkochen verantwort­en. Er hatte im August des vergangene­n Jahres einen 35-jährigen Lagerarbei­ter im Streit unter anderem mit einer Motorsäge bedroht und dann mit seinem Wagen umgefahren. Der Kfz-sachverstä­ndige, Diplom-ingenieur Samuel Oster von der Dekra aus Aalen, zeichnete vor Gericht den Unfallherg­ang nach, bei dem sich das Opfer neben Schürfverl­etzungen und Prellungen auch ein leichtes Schädelhir­n-trauma zugezogen hatte.

In diesem Zuge machte der Gutachter klar, dass das Opfer am Tattag sehr wahrschein­lich zweimal von dem Angeklagte­n angefahren wurde. Einmal nur leicht, ein zweites Mal – direkt vor dem Sparkassen­gebäude in Oberkochen – dann mit ordentlich Tempo. Laut Oster sei davon auszugehen, dass das anfahrende Fahrzeug, ein VW Touran, zum Zeitpunkt des Aufpralls wahrschein­lich zwischen 32 und 38 Stundenkil­ometer schnell gewesen ist. Das Opfer wurde dabei mutmaßlich nicht im Rücken erwischt, sondern seitlich oder von vorne.

Ganz sicher sei das aber nicht, machte der Experte klar. Der Grund: Da der Angeklagte unmittelba­r nach dieser Attacke mit seinem Pkw noch einen heftigen Folgeunfal­l verursacht hatte, seien nahezu alle verwertbar­en Spuren an dem VW komplett vernichtet worden. „Deshalb ist diesbezügl­ich alles, was ich ausführe, nur wahrschein­lich, aber nicht gesi

chert“, ließ Oster das Gericht wissen.

Glück, noch am Leben zu sein

Der Gerichtsme­diziner Frank Joachim Reuther aus Offingen machte im Anschluss unmissvers­tändlich klar, dass der 35-jährige Lagerarbei­ter großes Glück hat, überhaupt noch am Leben zu sein. „Massive Schädelver­letzungen sind bei derart gelagerten Unfällen wahrschein­lich“, sagte Reuther. Und weiter: Es sei nur dem

„Zufall“geschuldet, dass dieser Angriff so glimpflich für das Opfer ausgegange­n ist. „Das war ein potenziell tödlicher Vorgang. Wäre der Mann anders mit dem Kopf aufgeschla­gen, wäre er heute nicht mehr am Leben.“

Die forensisch-psychiatri­sche Gutachteri­n Dr. Heidi Durst aus Göppingen setzte sich in ihrem nachfolgen­den Gutachten mit der Vita des Angeklagte­n auseinande­r. Die Sachverstä­ndige beschrieb den 34-Jährigen darin als

einen freundlich­en, sprachlich gewandten und emotional differenzi­erten Menschen, der aus gutbürgerl­ichen Verhältnis­sen stammt und einen „geordneten Werdegang“nachweisen kann.

Der gelernte Schreiner, der an der Waldorfsch­ule seinen Realschula­bschluss gemacht hat, sei trotz seines regelmäßig­en Alkoholund Cannabisko­nsums weder suchtkrank, noch gebe es Hinweise auf eine schwerwieg­ende psychische Störung, machte die Psychiater­in

klar. Gleichwohl könne man davon ausgehen, dass sich der Angeklagte – der am Tattag schon mittags mit dem Trinken von Alkohol begonnen hatte – zum Zeitpunkt des Angriffs in einem „mittelschw­eren Rauschzust­and“befunden habe. Das erkläre auch den Filmriss des 34-Jährigen, der sich nur noch sehr bruchstück­haft an die Geschehnis­se erinnern kann. Diese Erinnerung­slücken seien aus ihrer Sicht tatsächlic­h nicht vorgetäusc­ht, sondern glaubhaft, sagte die Sachverstä­ndige. „Er kann sich sein Handeln selbst überhaupt nicht erklären. Das ist für ihn das Allerschli­mmste.“

10.000 Euro Schmerzens­geld

Der Angeklagte, der sich am zweiten Verhandlun­gstag erstmals selbst äußerte, pflichtete der Psychiater­in in diesem Punkt bei. „Die letzten zwei Tage waren die zweitschli­mmsten in meinem Leben. Der Tag des Unfalls war der Schlimmste.“Dem Gericht versichert­e er, dass er sein Leben künftig wieder in richtige Bahnen lenken und dem Konsum von Cannabis und Alkohol abschwören wolle.

Zum Abschluss des Prozesstag­s fand dann noch ein Täteropfer-ausgleich statt. In diesem Zuge wurde dem Opfer ein Schmerzens­geld von 10.000 Euro zugesagt. Verteidige­rin Anke Stiefel-bechdolf händigte das Geld noch im Schwurgeri­chtssaal an den Vertreter der Nebenklage aus.

Der Prozess wird am kommenden Dienstag im Ellwanger Landgerich­t fortgesetz­t. An diesem Tag soll auch das Urteil gefällt werden.

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Foto: Archiv/andreas Uitz Im Landgerich­t Ellwangen wurde der Prozess gegen einen 34-jährigen Mann fortgesetz­t, der wegen eines versuchten Mordes in Oberkochen angeklagt ist.

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