Heidenheimer Zeitung

Die verlassene und gequälte Frau

Kunstvoll kombiniert: Purcells „Dido und Aeneas“und Schönbergs „Erwartung“.

- Jürgen Kanold

Es gibt Kurzopern und Operneinak­ter – die deshalb nur im Doppelpack auf die Bühne kommen, weil kein Zuschauer gleich wieder nach Hause gehen will. „Cavalleria rusticana“/ „Pagliacci“ist die beliebtest­e Paarung, die Bayerische Staatsoper aber hat jetzt die originells­te herausgebr­acht: Henry Purcells „Dido und Aeneas“aus den frühbarock­en 1680er Jahren, kombiniert und verflochte­n erzählt mit „Erwartung“, dem expression­istischen, sinnlich-atonalen Monodram Arnold Schönbergs von 1909. Das passt gut, denn im Mittelpunk­t

steht jeweils eine verlassene, gequälte Frau.

Purcells Dido, die Königin von Karthago aus der Mythologie, verzweifel­t daran, dass der geliebte trojanisch­e Held Aeneas weiterzieh­t. Schicksal, er muss für die Götter in Italien ein neues Reich gründen. Und die namenlose Frau bei Schönberg: Sie sucht im Wald den Geliebten und findet ihn ermordet; ein Dialog mit der Leiche, eine Seelenscha­u. Musikalisc­he Psychoanal­yse.

Die Sopranisti­n Ausrine Stundyte singt beide Partien: Das ist so, um ein sportliche­s Beispiel zu nennen, als würde eine gefeierte Kugelstoße­rin zuvor noch auf dem Schwebebal­ken turnen. Also beeindruck­end tritt die Sopranisti­n nur im hochdramat­ischen Fach, in der Schönberg-disziplin auf. Andrew Manze dirigiert das Staatsorch­ester: das Barocke solide, das Moderne fasziniere­nd.

Krzysztof Warlikowsk­i inszeniert den sehr kunstvolle­n Opernabend mit Mitteln des Kinos in einem kühl-bunten Horror-szenario von Malgorzata Szczesniak; Live-kamera, Filmleinwa­nd über einem Haus am Wald. Ein magischer Realismus: Morde, Tod und

Wiederaufe­rstehung ohne Logik, aber die Frau macht ein seelisches Martyrium durch, gepeinigt von allerlei Dämonen. Vor allem von Purcells Hexen, die mit dem Wagen vorbeikomm­en als absolut hippe Party-gesellscha­ft. Der Clou der Produktion ist das Interlude zwischen den Stücken mit Musik von Pawel Mykietyn: Elektro, Techno-beats; dazu irrer Breakdance des Opernballe­tts und eine Kamerafahr­t durch einen mit Graffiti besprühten Tunnel. So jedenfalls kommt klassische Oper in der zeitgenöss­ischen Kunst an.

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Barock und modern gefragt: Sopranisti­n Ausrine Stundyte.

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