Musterprofis aus Fernost
Im Kader des Fußball-bundesligisten stehen erstmals drei Japaner: Wataru Endo, Hiroki Ito und Neuzugang Genki Haraguchi. Was zeichnet sie aus?
Sie bestimmen noch immer das Bild in den Katakomben der Bundesligastadien: die zahlreichen Fußballreporter aus Japan, die ihre Stars aus der Heimat begleiten. Mit fernöstlicher Ruhe und erstaunlicher Gelassenheit werden gemeinsam die Spiele seziert, nicht selten bis zu einer halben Stunde, ehe die wichtigsten Erkenntnisse gesammelt und in die japanischen Sportblätter überliefert sind. Ihren Sitz haben die Reporter aus Fernost in Deutschland, weshalb die Wege vergleichsweise kurz sind und auch regelmäßig nach Stuttgart führen. Gewiss auch wieder zum Vfb-heimspiel am Sonntag (15.30 UHR/DAZN) gegen Werder Bremen. Denn erstmals stehen in Wataru Endo, 29, Hiroki Ito, 23, und Neuzugang Genki Haraguchi, 31, gleich drei Spieler aus Japan im Bundesligakader. Womöglich sogar versammelt in der Startelf. Das gab es noch nie. Zufall oder System?
Nun, eine schwäbische Japanoder eine japanische Schwabenconnection steckt nicht dahinter. Etwa in Person von Japan-kenner Guido Buchwald, der seinem Klub in der Vergangenheit immer mal wieder mit Tipps zur Seite stand. Auch die Profitrainerin Tomoe Tanabe, die gerade bei Vfb-coach Bruno Labbadia hospitiert, hat damit nichts zu tun. Vielmehr verhält es sich so, dass der neue Sportdirektor Fabian Wohlgemuth die global ausgerichtete
Transferstrategie seines Vorgängers fortgeführt hat. Sven Mislintat lotste einst Endo und Ito nach Stuttgart, Wohlgemuth nun Haraguchi. Wobei Letzterer mit Stationen in Hannover, Düsseldorf und Berlin fast schon zum Bundesliga-establishment gehört.
Gert Engels, 65, kann sich noch gut an den jungen Genki Haraguchi erinnern. Der Trainer aus dem Rheinland beorderte ihn einst bei den Urawa Red Diamonds aus der Jugend zu den Profis. Er glaubt: An ihm ist ein ganz Großer verloren gegangen. „Genki war ein sehr kreativer Spieler, ein super Dribbler. Er hätte ein noch besserer Spieler werden können, wäre er früher nach Europa gegangen.“Doch zur damaligen Zeit stand in Japan das mannschaftsdienliche Spiel noch stark im Vordergrund, was Haraguchi seiner Stärken ein Stück weit beraubte, wie Engels meint.
Er kennt den japanischen Fußball aus dem Effeff, war viele Jahre als Scout, Berater und Trainer in Asien tätig, unter anderem als Co-trainer von Buchwald bei den Red Diamonds. Engels bescheinigt dem japanischen Fußball zwei Kerneigenschaften. „Es herrscht dort eine ganz andere Disziplin als hierzulande. Und die Spieler sind technisch sehr gut ausgebildet, weil sie im Kinderund Jugendbereich mehr spielen als etwa in Deutschland.“
Die fast schon preußische Disziplin, die auch Typen wie Endo und Ito auf wie neben dem Platz an den Tag legen, rührt von der fernöstlichen Mentalität her. Vereinfacht gesagt geht es in der Erziehung etwas strenger zu, weniger basisdemokratisch, weniger Laissez-faire. Herausgebildet werden so häufig Musterprofis ohne Fehl und Tadel, ohne Starallüren. Endo oder andere Japaner in der Bundesliga wie Daichi Kamada (Eintracht Frankfurt) oder Ko Itakura (Borussia Mönchengladbach). Das macht sie bei vielen Sportchefs und Trainern so beliebt. Japaner „funktionieren“. Zugleich werden sie aber auch ihrer Individualität oder Kreativität beraubt. Engels zitiert ein japanisches Sprichwort: Einen Nagel, der heraussteht, muss man reinhauen. Bedeutet: Exoten sind eher unerwünscht.
Auf der anderen Seite, und nun kommt der Experte auf die großen Stärken des japanischen Fußballs zu sprechen, steht der sehr spiel- und wettbewerbslastige Kinder- und Jugendfußball. Er beschränkt sich nicht auf zweimal wöchentliches Training im Verein, sondern nahezu tägliches an den Schulen. In Japan ist der Sport ähnlich wie in den USA stark in den Schulalltag integriert, was laut Engels dazu führt, dass es eine „sehr breite Pyramide an technisch gut geschulten Fußballern“gibt. Technisch gute und laufstarke Spieler hat das Land schon immer exportiert. Seit geraumer Zeit werden in der Fortführung zum Profibereich auch große, robuste Abwehrspieler ausgebildet. Spieler wie Ito, die es so früher nicht auf der Fußballlandkarte gab. Ex-vfb-sportchef Mislintat entdeckt den Innenverteidiger einst in der zweiten japanischen Liga. Eine Liga, die sich laut Mislintat hinter der zweiten deutschen nicht verstecken muss.
Ein großes Reservoir
Hinter all dem steckt in dem Land mit seinen 125 Millionen Einwohnern eine riesige Fußballbegeisterung. Die WM in Katar hat es im großen Stil gezeigt, im Kleinen demonstriert es Familie Endo Woche für Woche. Während Vfbkapitän Wataru in seiner Garage in Stuttgart-möhringen mit einem ehemaligen japanischen Bobpiloten Zusatzschichten einlegt, verbringt der Rest der sechsköpfigen Familie viel Zeit auf dem Fußballplatz. Sohnemann Riku trainiert, Ehefrau Manami jongliert, und der Rest der Kinderschar rennt Fußbällen hinterher.