Wohlfühloase im Wattenmeer
Frische Nordseeluft und viel Natur bringen die niederländische Insel Texel nicht nur im Sommer zum Leuchten. Strandspaziergänge, Radtouren und sehenswerte Ausflugsziele machen die Nebensaison zur idealen Zeit für Erholungsuchende.
Für Hannelore Vierkötter beginnt der Urlaub schon auf der Fähre. „Die Alltagshektik bleibt auf dem Festland zurück“, sagt die rüstige 73-Jährige, die sich mit Freundin und Cousine nach einem ausgedehnten Spaziergang am kilometerlangen Strand im gemütlichen „Paal 17“einen heißen Tee zum Aufwärmen bestellt. Anfang März und Anfang November gönnt sie sich jeweils eine Woche auf Texel und genießt das Inselleben in seiner ganzen Vielfalt. „Man kann hier wunderbar radeln, durch die Dünenlandschaft und Wälder wandern oder die Tierwelt erkunden“, meint Vierkötter und empfiehlt gleich einen Abstecher ins nahegelegene „Ecomare“, wo das Wattenmeer und seine tierischen Bewohner anschaulich und erlebnisreich vorgestellt werden. Eine einzigartige Wunderwelt erwartet die Besucher in diesem Naturzentrum, wo vom winzigen Wurm bis zum riesigen Wal so ziemlich alles vertreten ist, was in und am Meer kreucht und fleucht und schwimmt. Der riesige Wal ist natürlich nicht in lebendiger Schönheit zu bewundern, aber sein Skelett mit dem gewaltigen Kiefer, das im Untergeschoss von der Decke hängt, bringt es auf beeindruckende 15 Meter Länge.
In den Fischbassins darunter ziehen neugierige Rochen und Fische aller Arten, Farben und Größen ihre Bahnen, während die Schaukästen drum herum weitere Geheimnisse der faszinierenden Meeresbewohner lüften. Wer hätte zum Beispiel gedacht, dass es in der Nordsee Korallen gibt? Oder dass manche Würmer wie breite Nudeln aussehen und andere wie glitzernde Halsketten oder grüne Luftballons? Quizfragen und kindgerecht aufbereitete Ratespiele in drei Sprachen (Niederländisch, Englisch und Deutsch) vermitteln viel Wissen, bevor zweimal täglich über Lautsprecher zur großen Fütterung der Seehunde und Robben in den Außenbecken gerufen wird.
Sobald die Mitarbeiterinnen mit Eimern am Beckenrand auftauchen, werden sie von hungrigen Heulern umlagert, die gierig nach den einzeln zugeworfenen Fischen schnappen. Wer den Leckerbissen nicht schnell genug verschlingt oder damit abtaucht, muss die Beute manchmal einer nicht weniger gierigen Möwe überlassen. Während der Fütterung erzählt die Mitarbeiterin von ihren Schützlingen, die häufig als kranke, verletzte oder verwaiste Jungtiere aufgenommen und im Ecomare aufgepäppelt werden, bis sie wieder bei Kräften sind und ausgewildert werden können.
Dass in der Nordsee rund um die Insel nicht nur Tiere, sondern auch allerlei Hinterlassenschaften der Menschen umhertreiben, lässt sich im Schiffbruchund Strandräubermuseum Flora besichtigen. Auf Jan Uitgeest, den Ober-strandräuber von Texel, geht die beeindruckende Sammlung zurück, die im Lauf der Jahre vier Hütten und einen stattlichen Außenbereich gefüllt hat. Bojen, Rettungsringe, Schuhe, Flaschen, mit und ohne Post, Friesennerze, Schwimmwesten – was auch immer das Meer anspült, wurde und wird hier gebunkert.
Von der Küste ins Landesinnere radelt man problemlos auf einem sehr gut ausgebauten Radwegenetz, das die ganze Insel umspannt. Steigungen müssen auf dem flachen Eiland so gut wie keine überwunden werden, lediglich der mitunter stürmische Westwind erfordert entweder mehr Muskelkraft oder die Unterstützung eines leistungsfähigen E-bikes. Damit auch die vielen Schafe, die links und rechts auf den Weiden grasen, eine Rückzugsmöglichkeit haben, haben die Besitzer sogenannte Schafsbuden errichtet. Im Windschatten dieser wie halbierte Scheunen aussehenden Hütten finden die Tiere in stürmischen Zeiten Schutz. Texelschafe gelten ohnehin als sehr robuste Rasse, wie Käsemeister Robert vom Bauernhof Wezenspyk stolz berichtet. „Viel Fleisch, wenig Fett, dichtes Fell“, zählt er die Vorzüge der ungefähr
Der Westwind kostet Kraft
15.000 vierbeinigen Inselbewohner auf, die rein zahlenmäßig die Zweibeiner ausstechen. Zum unweit vom Hauptort Den Burg gelegenen Hof, auf dem Besucher bei einem Rundgang die Produktion leckerer Kuh-, Ziegen- und Schafskäsesorten verfolgen sowie natürlich verkosten und kaufen können, gehört auch ein kleines Schafmuseum, in dem Geschichte und Besonderheiten der Tiere mit dem markanten Kopf aufbereitet werden.
Wer gar auf Tuchfühlung mit den kuscheligen Wollknäueln gehen will, ist auf dem Schafbauernhof Texel richtig, wo Familie Witte im Stall zum „Lammetjes Knuffelen“, also Lämmerstreicheln, einlädt. Rund zwei Dutzend verschiedene Schafrassen sowie Ziegen, Hühner und anderes Kleinvieh lassen sich hier zutraulich und geduldig mit Streicheleinheiten verwöhnen und zaubern dabei jedem großen und kleinen Besucher ein entspanntes Lächeln ins Gesicht.
Nicht weit ist es von hier ins sogenannte „Alte Land“, eine idyllische Hügellandschaft rund um die höchste Erhebung der Insel. Ganze 15,3 Meter misst der „Hohe Berg“, von dem aus man auf ursprüngliche Wiesen und Weiden und die für Texel typischen Grassodenwälle blicken kann.
Den besonderen Reiz der Region erkundet man am besten auf einer „Knapzaktocht“, einer Rucksackwanderung, die Marjon Bakker vom Bauernhof
Niederländische Variante eines Berges
„De Waddel“auf Bestellung vorbereitet. Je nach Personenzahl füllt sie dafür einen oder mehrere Rucksäcke mit hausgemachten Leckereien und schickt die Wanderer damit auf einen gut ausgeschilderten drei oder fünf Kilometer langen Rundweg. Auf halber Strecke werden dann am Picknickplatz Lammschinken, Schafwurst, Lammbutter, Käse, Eier, Marmelade und selbstgebackenes Brot ausgepackt und verspeist. Alles Köstlichkeiten aus lokaler, saisonaler und artgerechter Produktion! Bei schlechtem Wetter (gibt es ja bekanntlich nicht) wird trotzdem gewandert und die Mahlzeit anschließend in der Scheune eingenommen.
Noch höher hinauf als auf den „Hooge Berg“geht es ganz oben an der Nordspitze, wo der 35 Meter hohe Leuchtturm mit seinem roten „Mantel“aus den Dünen ragt. Es lohnt sich, die 153 Stufen hinaufzusteigen, erfährt man in den sechs Stockwerken doch viel Wissenswertes über das längst zum Wahrzeichen der Insel gewordene Bauwerk und das Geheimnis seiner rot leuchtenden Hülle. Auf Etage vier lässt sich über einen schmalen Rundgang der durch zahlreiche Einschusslöcher im Zweiten Weltkrieg beschädigte Originalturm besichtigen, in dem seinerzeit hunderte georgische Soldaten Zuflucht vor den deutschen Besatzern gesucht hatten.
Und noch ein Riese zieht die Aufmerksamkeit auf sich. Am Straßenrand taucht plötzlich ein überdimensionaler, ziemlich fremd anmutender Oberkörper aus grauem Stein in einem Vorgarten auf. Die exotische Moai-skulptur will nicht so recht ins beschauliche Schaf- und Käseidyll passen, doch ein Besuch in der „Eiland Galerij“des Künstlerpaars Niek Welboren und Kerstin Edelmann bringt Licht ins Dunkel. Das Werk, 1993 von einem nach Texel eingeladenen Osterinsulaner errichtet, steht für
Monument für die Osterinseln
die historische Verbindung der beiden etwa gleich großen Eilande. Denn 1721, also vor gut 300 Jahren, starteten drei Segelschiffe von Texel aus eine Expeditionsreise auf der Suche nach einem unbekannten Kontinent und gelangten am Ostersonntag 1722 auf die 3700 Kilometer westlich von Chile gelegene Insel, die dementsprechend den Namen Osterinsel bekam.
Welboren, der 1992 dorthin reiste und viereinhalb Monate blieb, schaffte es schließlich, die Mittel für das inselverbindende Denkmal aufzutreiben. Einige seiner Bilder zeigen ebenfalls Moai-figuren, und auch die Keramik- und Tonwerke seiner Partnerin schmücken die gemütlichen Räume und den verwunschenen Garten der Galerie, der selbst im Winter eine ganz eigene Ruhe und Schönheit ausstrahlt. Wie mag das kleine Paradies dann erst in voller Blüte wirken? Texel-fans wie die eingangs erwähnte Hannelore Vierkötter werden es herausfinden, denn sie ist überzeugt: „Wer einmal hier war, kommt wieder.“