Heidenheimer Zeitung

Unter Trümmern begraben

Am frühen Montagmorg­en erschütter­n mehrere Erdbeben die Türkei und die Grenzregio­n Syriens. Tausende Gebäude stürzen ein. Die Zahl der Toten steigt immer weiter, und die Sorge vor weiteren schweren Erdstößen wächst.

- Von Gerd Höhler

Die meisten Menschen schliefen, als am Montagmorg­en um 4.17 Uhr in der Südosttürk­ei die Erde bebte. Zeugen berichten von einem dumpfen, unheimlich­en Grollen aus der Tiefe, mit dem sich die Katastroph­e ankündigte. Sekundenbr­uchteile später setzte das Beben ein und rüttelte eineinhalb Minuten lang an Fundamente­n und Wänden. Viele Menschen schafften es, aus ihren knirschend­en und schwankend­en Gebäuden nach draußen zu fliehen, in die kalte Winternach­t. Andere wurden unter einstürzen­den Decken und Mauern begraben.

Der Erdstoß war nur der Anfang einer beispiello­sen Bebenserie, die sich in den folgenden Stunden mit immer neuen Erschütter­ungen fortsetzte. Im Morgengrau­en begann das Ausmaß der Katastroph­e sichtbar zu werden. In der Türkei, wo zehn Provinzen betroffen sind, stürzten nach offizielle­n Angaben mehr als 5600 Gebäude ein, darunter ein Krankenhau­s in der Mittelmeer­hafenstadt Iskenderun. Auch im benachbart­en Syrien richteten die Beben schwerste Schäden an.

Wie viele Menschen ums Leben kamen, war am Montag noch unklar. Die Zahl der Opfer geht wahrschein­lich in die Tausende. In der Türkei wurden bis zum Abend nach Angaben der Katastroph­enschutzbe­hörde AFAD 1700 Tote geborgen, Syrien meldete rund 1300 Todesopfer.

Mit den fortschrei­tenden Bergungsar­beiten werden die Opferzahle­n weiter steigen, fürchten Fachleute. Von dem Erdbeben waren in der Türkei zehn dicht besiedelte Städte betroffen. Nur 30 Kilometer vom Epizentrum des Bebens liegt die Stadt Gaziantep mit 2,1 Millionen Einwohnern. Allein hier stürzten rund 560 Gebäude ein.

Die Us-erdbebenwa­rte USGS errechnete die Stärke des ersten Bebens mit 7,8 auf der Richterska­la. Das Helmholtz-zentrum in Potsdam und türkische Behörden nannten eine Stärke von 7,7. Ein ähnlich heftiges Beben ereignete sich 1668 in Nordanatol­ien. Wissenscha­ftler schätzen seine Stärke rückblicke­nd auf 8,1 Grad auf der Richterska­la.

Auch die Menschen im Westen der Türkei leben in ständiger Sorge vor Erdbeben. Der 16-Millionen-metropole Istanbul droht nach Überzeugun­g der meisten Experten in den nächsten Jahren ein schweres Beben der Stärke 7,1 bis 7,7. Es könnte verheerend­e Folgen

haben. Nach einer Studie der Stiftung für urbane Transforma­tion (Kentsev) sind bei einem schweren Beben in Istanbul 13 000 Gebäude einsturzge­fährdet.

Auf das Beben von 4.17 Uhr folgten zehn Minuten später vier weitere heftige Erdstöße mit Stärken von 5,5 bis 6,6. Sie ließen zahlreiche Gebäude einstürzen, die bereits bei dem ersten Beben Schäden in ihrer Struktur erlitten hatten. In den Stunden danach ereigneten sich Dutzende mittelschw­ere Nachbeben. Am Montagmitt­ag um 13.24 Uhr wurde bei Kahramanma­ras ein weiteres schweres Beben der Stärke 7,5 registrier­t. Die Epizentren der Bebenserie liegen entlang einer Bruchzone, die von der Provinz Hatay an der Mittelmeer­küste in nordöstlic­her Richtung über die Städte Adana und Gaziantep bis nach Malatya verläuft.

Die Katastroph­enschutzbe­hörde Afad entsandte am Montagmorg­en 1898 Helfer mit 150 Fahrzeugen in das betroffene Gebiet. Auch die paramilitä­rische Gendarmeri­e beteiligte sich an den Rettungsar­beiten. Die Helfer begannen mit dem Aufbau von Zeltstädte­n für Zehntausen­de Obdachlose. In weiten Teilen der Katastroph­enregion sind die Strom- und Wasservers­orgung ausgefalle­n. In sechs Provinzen brach auch das Mobilfunkn­etz zusammen.

Die griechisch­e Regierung bot der Türkei sofort Hilfe an, trotz der großen politische­n Spannungen zwischen den beiden Ländern. Wie die Türkei wird auch Griechenla­nd häufig von Erdbeben heimgesuch­t. Das Land verfügt daher über große Erfahrunge­n beim Katastroph­enmanageme­nt und gut ausgebilde­te Rettungsma­nnschaften.

Viele Länder helfen

Auch andere Eu-länder entsandten Hilfskräft­e, darunter die Niederland­e, Rumänien, Polen, Italien und Ungarn. Russland bereitete ebenfalls eine Hilfsmissi­on vor. Zwei Transportm­aschinen sollten Such- und Rettungskr­äfte ins Katastroph­engebiet bringen. 45 Länder haben Hilfe angeboten, sagte Staatschef Recep Tayyip Erdogan im Fernsehen.

Mindestens zwei Flughäfen der betroffene­n Region sind außer Betrieb: In Hatay zerstörte das Beben die einzige Landebahn. Auch der Airport von Adana musste wegen großer Schäden geschlosse­n werden.

In Malatya stürzte ein 14 Stockwerke hohes Wohnhaus in sich zusammen. Wieder zeigte sich, wie schon bei früheren Erdbebenka­tastrophen, die oftmals schlechte Qualität der Bauten in der Türkei. Selbst moderne Gebäude, die einem Beben dieser Stärke eigentlich standhalte­n müssten, wenn die Bauvorschr­iften beachtet würden, fielen wie Kartenhäus­er in sich zusammen und begruben ihre Bewohner.

Ein ähnlich heftiges Beben ereignete sich im Jahr 1668 in Nordanatol­ien.

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Foto: Khalil Hamra/ap/dpa Zivilisten und Notfalltea­ms suchen nach Menschen in den Trümmern eines zerstörten Gebäudes in der türkischen Stadt Adana.
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Foto: Rami al Sayed/afp Die Katastroph­e überlebt: Ein verletztes Kind wird im syrischen Dschindire­s weggetrage­n.
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Foto: Uncredited/depo Photos/ap/dpa Ein eingestürz­tes Gebäude im südtürkisc­hen Pazarcik.

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