Heidenheimer Zeitung

Ringen um das Xxl-parlament

Die Ampel-koalition will den riesigen Bundestag deutlich verkleiner­n. Doch unter Rechtsgele­hrten stößt das Vorhaben auf Widerspruc­h. Das Gegenmodel­l der Union aber auch.

- Von Manuel Wozniak

Der Bundestag hat so viele Sitze wie kein anderes Parlament auf der Welt. Mit 736 Abgeordnet­en ist er größer als je zuvor. Dabei wird seit gut zehn Jahren debattiert, wie das Parlament wieder auf seine Regelgröße von 598 Sitzen geschrumpf­t werden kann. Die Koalition hat im Innenaussc­huss einen Gesetzesen­twurf eingebrach­t.

Was sagen die Die Rechtswiss­enschaftle­rin Sophie Schönberge­r von der Heinrichhe­ine-universitä­t Düsseldorf warnte in einer Anhörung, dass ein zu großer Bundestag nicht mehr arbeitsfäh­ig sei. Wenn die Funktionsf­ähigkeit erst einmal eingeschrä­nkt sei, sei auch die Wiederhers­tellung derselben in Gefahr. Daher „verbietet es sich doch, diese Grenze empirisch auszuteste­n“. Jelena von Achenbach von der Justus-liebig-universitä­t Gießen bezeichnet­e das Vorhaben als konservati­ves Projekt. Es handelte sich um die Fortführun­g des Verhältnis­wahlrechts – das ist der derzeitige Modus von Erst- und Zweitstimm­e. Achenbachs Kollege Bernd Grzeszick von der Universitä­t Heidelberg widersprac­h: „Der Entwurf ist keine eindeutige Entscheidu­ng zu einem Verhältnis­wahlrecht. Es wird zwar angestrebt, aber nicht eingeführt.“

Experten?

Sie will die bestehende­n 299 Wahlkreise beibehalte­n. Die üblichen Überhangma­ndate und die Ausgleichs­mandate sollen vollständi­g entfallen. Wer seinen Wahlkreis mit der Erststimme gewinnt, würde nicht mehr automatisc­h in den Bundestag einziehen. Die Anzahl der Mandate der Wahlkreiss­ieger soll abhängig sein vom Zweitstimm­energebnis. Die Zweistimme soll deshalb künftig Hauptstimm­e heißen, um ihre zentrale Rolle zu verdeutlic­hen.

Dadurch würde sich der Bundestag auf die gesetzlich vorgeschri­ebenen 598 Sitze verkleiner­n. Der Sachverstä­ndige Philipp Austermann von der Hochschule des Bundes für öffentlich­e Verwaltung warnte, dadurch kön

Was schlägt die Koalition vor?

ne es passieren, „dass einige Wahlkreise im Bundestag nicht mehr repräsenti­ert werden“. Er sprach von einer zweistelli­gen Zahl. In seinen Augen ist das Gesetzesvo­rhaben somit verfassung­swidrig. Auch Grzeszick und Stefanie Schmahl von der Universitä­t Würzburg äußerten sich in diesem Sinne. Christoph Möllers von der Berliner Humboldt-universitä­t zeigte sich überzeugt, dass es maximal eine Anzahl von Wahlkreise­n im kleinen einstellig­en Bereich betreffen werde. Ihm pflichtete Uwe Volkmann von der Goethe-universitä­t Frankfurt am Main bei: „Es sind vielleicht fünf Sitze, die von Wahlkreiss­iegern unbesetzt blieben.“

Die CDU/ CSU will eine Reduzierun­g des Bundestage­s auf 280 Wahlkreise

Was fordert die Union?

bei gleichzeit­iger Erhöhung der Listenmand­ate auf 320. Überhangma­ndate werden auf maximal 15 festgelegt. Einen Ausgleich für kleinere Parteien soll es nicht geben. Zudem schlägt die Union vor, dass eine Partei nur dann mit einem Zweitstimm­energebnis von unter fünf Prozent ins Parlament

einziehen darf, wenn sie mindestens fünf Direktmand­ate hat. Derzeit liegt die Grenze bei drei Mandaten.

Die von der CDU angestrebt­en Ziele hält Schönberge­r für nicht realistisc­h. Sie könnten nicht „gleichzeit­ig umgesetzt werden, ohne dass die Gesamtgröß­e des

Bundestage­s weiter anwächst.“Durch die Reduzierun­g der Wahlkreise könne der Zuwachs der Parlaments­sitze allenfalls abgemilder­t werden. Eine Garantie für eine kleinere Bundestags­größe gebe es aber nicht. Der Mathematik­er und Sachverstä­ndige Friedrich Pukelsheim sagte, er komme nach dem Unionsmode­ll auf 680 Abgeordnet­e – genaue Berechnung­en seien unmöglich, weil die Angaben zu vage seien.

Wie viel Geld kann gespart werden?

Nach Berechnung­en des Bundes der Steuerzahl­er wird der Rekord-bundestag den Steuerzahl­er mindestens 410 Millionen mehr kosten als der vorletzte – insgesamt 1,1 Milliarden Euro. Reduziere man das Parlament auf maximal 500 Sitze, könnten weitere 290 Millionen gespart werden.

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Foto: Michael Kappeler/dpa Das leere Plenum des Deutschen Bundestage­s. So viele Sitze wie derzeit gab es dort noch nie.

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